Hände hoch! Mit erhobenen Armen stehen drei Männer auf der Bühne und schauen direkt ins Publikum – als ob es den Befehl zu ihrem steifen Auftreten gegeben hätte. Doch mit den Beinen tänzeln die drei gleichzeitig leichtfüssig über den Boden und verschieben scheinbar spielerisch ihre Positionen.
«Displacement» – Vertreibung – heisst das beklemmende Stück des syrischen Tänzers und Choreografen Mithkal Alzghair, der aus seiner Heimat fliehen musste und heute im französischen Exil lebt.«Displacement» – Ablösung – heisst eines der Stücke, mit denen Sandro Lunin (59) letztes Wochenende die letzte Ausgabe des Zürcher Theater-Spektakels unter seiner künstlerischen Leitung startet. Das Festival auf der Landiwiese am Seeufer dauert bis zum 3. September.
«Spannende Künstler in den Metropolen des Südens»
Zehn Jahre lang hat Lunin das Programm des grössten Schweizer Theatertreffens freischaffender Truppen aus aller Welt geprägt. Dafür reist er jeweils von Kontinent zu Kontinent, schaut sich rund 200 Aufführungen an und lädt gegen 40 Produktionen zu einem Gastspiel an den Zürichsee. Jahr für Jahr.
Das Publikum dankt es ihm: Für die 140 kostenpflichtigen Vorstellungen in der temporären Zeltstadt verkaufen sich jede Saison zwischen 25'000 und 30'000 Tickets – die Auslastung liegt regelmässig über 80 Prozent. Und weitere rund 120'000 Menschen erfreuen sich an den Gratisdarbietungen von Clowns und Gauklern vor den diversen Restaurants und Bars. Sandro Lunin sitzt an einem Tisch im Selbstbedienungslokal Tao Yuan und schaut auf den See: «Diesen Ausblick werde ich nächstes Jahr vermissen.»
Der gebürtige Zürcher wechselt 2018 nach Basel und übernimmt die künstlerische Leitung der «Kaserne». Beim Theaterspektakel übernimmt der deutsche Matthias von Hartz (47) das Zepter. «In Basel werde ich bestimmt die interkontinentale Arbeit weiterführen», sagt Lunin. Afrika, Asien und Lateinamerika sind Gebiete, die er häufig bereist hat, um vermehrt Ensembles von dort ans Theater-Spektakel zu holen.«In den Metropolen des Südens gibt es sehr spannende junge Künstlerinnen und Künstler», sagt Lunin. Ihr Wille zum Theater-Spielen ist unbändig. «Selbst im Südsudan bieten die Menschen unter misslichen Umständen Aufführungen», sagt Lunin und konstatiert: «Es gibt offenbar eine genuine Lust des Menschen, sich eine Rolle anzueignen und damit zu spielen.»
Dieses Jahr hat Lunin Schauspielerinnen und Schauspieler unter anderem aus Mali, Burkina Faso oder Südafrika in die Schweiz geholt. Oder eben aus Syrien. Lassen sich Themen wie Migration mit theatralischen Mitteln erzählen? «Eine direkte Wirkung ist immer sehr schwierig zu belegen», sagt Lunin, «aber man sensibilisiert und schafft andere Bilder in den Köpfen.» Durch das Flüchtlingselend nehme man die Menschen aus solchen Gegenden gar nicht mehr als Individuen wahr. «Da ist es wichtig, genau hinzuschauen», so Lunin. «Und da können wir mit dem Theaterspektakel etwas dazu beitragen.»
Ausgebildeter Primarschullehrer im Einsatz für Kinder
Er schaut listig durch seine Brille und lacht wie ein kleiner Junge. Der ausgebildete Primarlehrer hat seinen Beruf nie ausgeübt, aber immer wieder für Kinder gearbeitet. So war er ab 1992 in der Roten Fabrik in Zürich verantwortlich für den Bereich «Fabrik für Chind» und baute das Kinder- und Jugendtheaterfestival Blickfelder mit auf. Die Jungen und Junggebliebenen hat Lunin auch bei der Programmation des Theaterspektakels nie aus den Augen verloren – sei es mit speziellen Aufführungen für diese Altersgruppe oder der «Short Pieces»-Reihe vom theatralen Nachwuchs.
«Der Aufbau der Short Pieces in den letzten sechs, sieben Jahren war inhaltlich spannend und stimmig für das Festival», sagt Lunin, «Gerade auch, weil uns die Förderung des Nachwuchses sehr am Herzen liegt.»
Und manchmal wächst daraus der zweite Punkt, der Lunin wichtig ist: die langfristige Zusammenarbeit. Eine solch enge Bindung gibt es in Lunins Ära mit dem Schweizer Theatermacher Milo Rau (40): Alle drei Stücke seiner mittlerweile berühmten Europa-Trilogie waren am Theaterspektakel zu sehen, zwei hatten hier ihre Weltpremiere.
Was sollen die Besucher aus der Ära Lunin mitnehmen? «Man soll sich an Produktionen erinnern, die einen berührt, aber auch geärgert haben – Aufführungen, die einfach unvergesslich bleiben.» Sagts und lacht spitzbübisch.
Die Manege hat keine zwei Meter Durchmesser, der schwarze Wuschelhund für die Tiernummer ist nicht grösser als ein Wischmopp. «Petit théâtre de gestes» – kleines Theater der Gesten – nennt sich das südfranzösische Zirkusduo von Bêtes de foire zu Recht im Untertitel. Doch mit geschickten Handreichungen schaffen die Kostümbildnerin Elsa De Witte und der Artist Laurent Chabrol in ihrem gut einstündigen Programm eine Magie, die das kleine Chapiteau weit überragt und wie ein Stern im Nachthimmel leuchtet. So verwandelt sie sich in ein neckisch tanzendes Puppenpaar, wobei ihre Arme die Beine der Dame bilden; und er jongliert mit einem guten halb Dutzend Pingpong-Bällen in seinem Mund. Einfache Mittel mit grossem Effekt, der Gross und Klein zum Staunen und Lachen bringt.
Bêtes de foire läuft noch bis am 29. August am Theater-Spektakel Zürich. Ticktes: Abendkasse.Die Manege hat keine zwei Meter Durchmesser, der schwarze Wuschelhund für die Tiernummer ist nicht grösser als ein Wischmopp. «Petit théâtre de gestes» – kleines Theater der Gesten – nennt sich das südfranzösische Zirkusduo von Bêtes de foire zu Recht im Untertitel. Doch mit geschickten Handreichungen schaffen die Kostümbildnerin Elsa De Witte und der Artist Laurent Chabrol in ihrem gut einstündigen Programm eine Magie, die das kleine Chapiteau weit überragt und wie ein Stern im Nachthimmel leuchtet. So verwandelt sie sich in ein neckisch tanzendes Puppenpaar, wobei ihre Arme die Beine der Dame bilden; und er jongliert mit einem guten halb Dutzend Pingpong-Bällen in seinem Mund. Einfache Mittel mit grossem Effekt, der Gross und Klein zum Staunen und Lachen bringt.
Bêtes de foire läuft noch bis am 29. August am Theater-Spektakel Zürich. Ticktes: Abendkasse.Das Zürcher Theaterspektakel läuft noch bis am 3. September.