Margrit Stamm ermahnt die Frauen
«Mütter, vertraut euren Männern!»

Erziehungsexpertin Margrit Stamm (67) mahnt die Mütter: Lasst die Väter machen, wenn sie sich um die Kinder kümmern.
Publiziert: 10.08.2018 um 01:06 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 23:28 Uhr
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Margrit Stamm ist als Erziehungswissenschaftlerin eine wissenschaftliche Pionierin.
Foto: Lunax
Elisabeth Zirk

Kindern tut es gut, wenn nicht nur die Mutter sie betreut. In ihrem neuen Buch «Neue Väter brauchen neue Mütter. So gelingt Familie gemeinsam» mahnt Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm (67) und bricht eine Lanze für die Männer: Sie sollen sich aktiv an der Erziehung beteiligen – und die Mütter sollen sich dann zurückhalten und nicht dreinreden.

BLICK: Stimmt es, dass sich Väter um die Söhne kümmern sollen, die Mütter um die Töchter?
Margrit Stamm: Grundsätzlich nicht. Forschungen zeigen, dass Eltern zu Geschlechts-Stereotypen beitragen. Sie kaufen Mädchen rosa Sachen und Buben blaue. Das zieht sich durch die Spielzeugläden bis zu den Rucksäcken. Grundsätzlich sollte man versuchen, die Kinder geschlechtsneutraler zu erziehen. Ideal wäre es auch, wenn die Mama mit dem Sohn oder der Tochter den Fussballmatch anschaut und der Vater mit der Tochter oder dem Sohn zum Ballett geht. Die Stereotypen sollen aufgebrochen werden.

Sind das «neue Väter»?
Der Begriff ist sehr schwammig. Entweder meint man damit Väter, die Teilzeit arbeiten oder dann solche, die freitags frei nehmen und sich freuen, Windeln wechseln zu können. Manchmal versteht man darunter auch eine gleiche Rolle in Erziehung und Haushalt zwischen Mutter und Vater. 80 Prozent der Väter denken bereits modern und helfen in der Erziehung mit. Der Wille, mehr für die Familie zu leisten, ist da, in der Praxis sieht es aber anders aus.

Warum brauchen neue Väter neue Mütter und wie müssen die sein?
Väter können sich nur entwickeln, wenn Mütter ihnen Autonomie und Vertrauen schenken. Das ist notwendig, damit Männer sich engagieren können und wollen. In einem Drittel der Fälle in einer unserer Studien geben die Frauen in der Familie Normen und Standards vor und behandeln den Partner nicht selten wie einen Praktikanten oder einen Juniorpartner. «Du musst es so machen, wie ich es mache.» Dieses Kontrollverhalten fördert die Motivation der Männer kaum.

Wie macht sich das im Alltag bemerkbar?
Ein Beispiel: Die Mama geht mit einer Freundin ins Kino. Sie legt ihrem Partner einen detaillierten Plan auf den Tisch, wann und wie er was machen soll. Und bitte nicht vergessen den Müll rauszubringen. Dabei geht es um Kleinigkeiten. Männer füttern das Kind anders, oder Mütter sind überzeugt, dass der Vater das Baby weniger gut beruhigen kann. Im Haushalt soll er so putzen wie sie es zu tun pflegt. Bei dieser Vormachtstellung der Frau ist es für Männer schwer, sich durchzusetzen.

Warum ergreifen Sie so eindeutig Partei für die Männer?
Das tue ich nicht. Mein Ziel ist eine objektivere Sichtweise, welche alle väterlichen Leistungen einschliesst, nicht nur die Präsenz. Und ich plädiere auch für mehr Selbstkritik der Frauen. Dass Männer in der Erziehung genauso aktiv sein können wie die Frauen. Aber wenn Frauen einen «neuen» Vater als Partner haben wollen, müssen sie sich auch selbstkritisch fragen, ob sie das auch tatsächlich unterstützen.

Warum ist der Papa oft beliebter als die Mama?
Oft ist der Vater das spielerische, herausfordernde Element. Danach sehnen sich Kinder. Bei der Mama gibt es Nähe und Fürsorge – das gibt es immer. Doch Mütter reagieren oft sehr emotional, wenn das Kind in der Nacht nach dem Papa ruft und nicht nach der Mama. Für sie ist es eine Art Kränkung.

Was passiert, wenn Mütter nicht loslassen können?
Viele Frauen wünschen sich sehr, dass der Mann sich zu Hause mehr engagiert. Allerdings sagen viele, dass sie keine Zeit oder Lust haben, ihm alles zu erklären. Deswegen machen sie es lieber selbst. Männer können darauf mit Rückzug reagieren oder mit mehr Berufsarbeit. Sind sie allein mit dem Kind, verhalten sie sich wie hilflose Babysitter. Sie haben das Gefühl, viel falsch zu machen.

Bricht in Diskussionen um die Erziehung nicht immer Streit aus?
Die Diskussion wird zum Problem, wenn man nicht einer Meinung ist und der Mann das Gefühl hat, an den Rand gedrängt zu werden. Bisher hat man diese Problematik kaum in den Blick genommen und Mütter vor allem als Opfer oder unterwürfiges Geschlecht dargestellt. Für die Partnerschaft ist es aber wichtig, dass Mütter loslassen können.

Was können Mütter ändern?
Es ist wichtig, dass Väter bestimmte Aktivitäten mit den Kindern alleine unternehmen. Immer alles zusammen machen, ist ungünstig. Väter sollten auch mal alleine losziehen. Doch dies müssen Mütter dem Partner auch zutrauen und nicht die Überzeugung haben: «Mein Mann schafft es nicht, mit den Kindern alleine ins Schwimmbad zu gehen.

Wenn der Vater sich als Zaungast wieder erkennt, wie kann er die Situation ändern?
Als Wissenschaftlerin kann ich keine Ratschläge geben. Aber aus meiner eigenen Erfahrung glaube ich, dass Paare, die miteinander diskutieren können, es einfacher haben, etwas zu ändern. Und am günstigsten ist es, wenn man Probleme in der Ich-Form anspricht und nicht in der Du-Form: «Ich möchte gerne mehr tun.» Nicht: «Du musst das anders machen.» Im Buch zeige ich, in welche Richtung es gehen kann, wenn man an sich arbeitet.

Margrit Stamm: Neue Väter brauchen neue Mütter. So gelingt Familie gemeinsam. Piper Verlag. ca. 38.90 Fr.

Pionierin der Bildungsforschung

Margrit Stamm (67) gilt als Pionierin der Bildungsforschung. Sie hat selbst als Primarlehrerin gearbeitet, bevor sie sich wissenschaftlich mit Erziehung und Pädagogik befasste und zuletzt an der Uni Freiburg lehrte. Sie ist weiterhin auch Gastprofessorin an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland und sitzt in vielen wissenschaftlichen Beiräten von nationalen und internationalen Organisationen. Im März 2018 wurde sie mit dem internationalen Doron-Preis geehrt. Margrit Stamm ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Margrit Stamm (67) gilt als Pionierin der Bildungsforschung. Sie hat selbst als Primarlehrerin gearbeitet, bevor sie sich wissenschaftlich mit Erziehung und Pädagogik befasste und zuletzt an der Uni Freiburg lehrte. Sie ist weiterhin auch Gastprofessorin an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland und sitzt in vielen wissenschaftlichen Beiräten von nationalen und internationalen Organisationen. Im März 2018 wurde sie mit dem internationalen Doron-Preis geehrt. Margrit Stamm ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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