Pornydays feiern «Sexpositive»-Trend
Zürcher Festival im Zeichen der entspannten Lust

Unter dem Begriff «sexpositive» macht sich eine neue Einstellung zur Sexualität breit. Das Festival Porny Days feiert diesen lockeren Umgang mit der Lust.
Publiziert: 19.11.2018 um 21:15 Uhr
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Szene aus «Io sono Valentina Nappi». Der Film läuft an den Porny Days in Zürich.
Jonas Dreyfus

«Klatsch, klatsch, klatsch, klatsch, klatsch.» Es ist Sonntagnachmittag, und Talaya Schmid schlägt in rhythmischen Bewegungen mit der flachen Hand auf den nackten Hintern eines Mannes, der vor ihr auf dem Boden kniet.

In diesem Zusammenhang könnte man auch das Wort «versohlen» gebrauchen. Doch anrüchig ist sie nicht, diese Mischung aus Performance und Vortrag. Ungewöhnlich schon.

Sie findet vor ein paar Wochen in der Zürcher Bibliothek «Material» statt. Das grösstenteils weibliche Publikum unterscheidet sich nicht von den jungen Menschen, die an diesem Tag auf den Strassen des Kreis 4 unterwegs sind. Die Perfor­merin trägt Sport-­Leggings und eine bunte Bluse, ihr Vorführmodell eine Sturmhaube aus goldfarbenem Elastan. 

Schmid bläst die rot angelaufenen Hinterbacken des Mannes an. Beim sogenannten Slapping, erklärt sie dem Publikum, gehe es nicht zwingend um Dominanz und Unterwerfung, sondern darum, die Durchblutung anzuregen und seinen Körper anders wahrzunehmen. Einen sanften Luftzug zu spüren, zum Beispiel.

Künstlerische Filme mit und über Sex ziehen Massen an

Talaya Schmid (34) ist Direktorin der Porny Days in Zürich, die vom 22. bis 25. November zum sechsten Mal in Zürich stattfinden. Die Performance der Künstlerin mit Master-Abschluss gibt einen Vorgeschmack auf das Programm des Festivals, das neben Spiel­filmen und Dokus auch Darbietungen, Ausstellungen und Workshops beinhaltet. Alles mit und über Sex und mit künst­lerischem sowie intellektuellem Anspruch.

Was als spontane Idee in Schmids Freundeskreis begann, hat sich zu einem dreitägigen Anlass mit rund 2500 Besuchern entwickelt. Grosse Zürcher Studiokinos bieten ihre Räumlichkeiten an. Ebenso die Langstrassen-Niederlassung der deutschen Hotelkette 25hours.

Der Erfolg des Festivals kommt nicht von ungefähr: Die Art, wie es sich mit Sexualität auseinandersetzt, läuft unter dem Begriff «sexpositive» – eine Einstellung zur schönsten Sache der Welt, für die sich offenbar immer mehr Menschen interessieren. Ähnliche Festivals ziehen in Deutschland bereits Zehntausende Besucher an.

Sexpositive Aktivisten sind frei. Sehr frei

Bei «sexpositive» geht es vereinfacht gesagt darum, Sexualität in einen positiven Kontext zu rücken, sie zu enttabuisieren und in allen Facetten zu feiern. Aktivistinnen wie Schmid sehen das Ausleben der ­Sexualität in unserer Kultur an den Rand gedrängt – thematisiert in ­einem verklemmten Aufklärungsunterricht in der Schule, reduziert auf das Aufzählen von Verhütungsmethoden und Safer-Sex-Regeln. Schmid: «Welche verspielten und lustvollen Möglichkeiten Sex bietet, sagt einem niemand.»

Es sei die kleinste Einheit von Beziehung zwischen Menschen. Wer es schaffe, dort seine Bedürfnisse zu äussern, dem gelinge dasselbe 
in allen anderen Lebensbereichen. «Für mich sollte Sex denselben Stellenwert geniessen wie Sport oder ein gutes Essen. Ich stelle mir vor, dass man eine Sex-Weiterbildung besucht und sich niemand darüber wundert.»

Das klingt weniger banal, wenn man in die 1980er-Jahre zurückblickt. Damals bezeichneten sich Feministinnen, die sich dagegen wehrten, Pornografie per se als frauenfeindliches Genre abzustempeln, als sexpositiv. Ihnen ging es darum, ein Gegengewicht zur vorherrschenden, von Männern geprägten Sichtweise auf Sex zu schaffen.

Eine Sichtweise, die Schmid schon früh kennenlernte. Sie erinnert sich, wie sie mit den beliebtesten Typen der Schule nach Hause ging. «Er war der coole, der mich abgeschleppt hat. Ich die Schlampe.» Ihr sei das erste Mal bewusst geworden, dass sie hier offenbar nicht dieselben Rechte hatte wie ein Mann.

Türsteher stellen Party­gängern Fragen, um sie zu testen

Sexpositive-Aktivisten wollen, dass jeder seine Sexualität so ausleben kann, wie er möchte. Safer Sex, Einvernehmen und Achtsamkeit sind zentral. An sogenannten sexpositiven Partys wird eine Art geschütztes Umfeld geschaffen, in dem jeder gleichberechtigt sein soll.

Zugang erhält oft nur, wer eine Referenz hat oder irgendwie beweisen kann, dass er weiss, welche Regeln gelten. Sex zu haben, stehe bei den Partys nicht im Vordergrund, sagt Schmid. Es gehe darum, sich sexy zu fühlen, zu flirten. In Mainstream-Clubs sei das für sie als Frau kaum möglich, weil viele keine Grenzen kennen würden.

Die #MeToo-Debatte über Sexismus und sexualisierte Gewalt sorgt dafür, dass viele Frauen die verbreiteten Grapschereien im Nachtleben nicht mehr hinnehmen. Das führt dazu, dass immer mehr grössere Veranstalter die Dogmen der Sexpositive-Bewegung übernehmen.

In Städten wie Zürich oder Wien, Paris, London oder New York wollen immer mehr Partyveranstalter wissen, wer bei ihnen feiert. Sie setzen auf Mitgliedschaften oder versuchen, das Wesen der Partygänger an der Tür mit Hilfe spezifischer Fragen einzuschätzen.

Sexpositive gibts sogar als Schulfach. An der F+F in Zürich, der grössten privaten Kunst- und Gestaltungsschule der Schweiz, betreut Talaya Schmid momentan einen interdisziplinären Kurs, der sich gestalterisch mit dem Thema auseinandersetzt. 19 Studenten besuchen ihn. Ihre Arbeiten, darunter Modekreationen, Videoinstallationen und Fotografien sind im Rahmen der Porny Days zu sehen.

Le Ragazze del Porno & Co.

Valentina Nappi (28) ist einer der bekanntesten Pornostars Italiens. An den Porny Days ist sie im Film «Io sono Valentina Nappi» als sie selbst zu sehen. Die Regisseurin des Streifens gehört zum Künstlerkollektiv Le Ragazze del Porno und geht der Frage nach, wie nahe man jemandem wie Nappi kommen kann, der jeden Zentimeter seines Körpers sichtbar macht.

Als Schweizer Premiere zu sehen: der Film «Touch Me Not», der bei der diesjährigen Biennale den Goldenen Bären gewann. Der halbdokumentarische Experimentalstreifen der rumänischen Regisseurin Adina Pintilie (38) erforscht die Spiel­arten und Grenzen mensch­licher Sexualität. Der Abend­anlass «Psychedelic Porn Trips» zeigt Kurzfilme, in denen Sex und Rausch ineinander verschwimmen. ­Darunter ein Porno von Manuel Scheiwiller, in dem der Schweizer Künstler versucht, die inneren ­Zustände, in die Menschen beim Sex geraten, zu visualisieren.

Porny Days. 22. bis 25. November. 
Vorverkauf: Riffraff.ch und Kinokassen Riffraff oder Houdini.

Valentina Nappi (28) ist einer der bekanntesten Pornostars Italiens. An den Porny Days ist sie im Film «Io sono Valentina Nappi» als sie selbst zu sehen. Die Regisseurin des Streifens gehört zum Künstlerkollektiv Le Ragazze del Porno und geht der Frage nach, wie nahe man jemandem wie Nappi kommen kann, der jeden Zentimeter seines Körpers sichtbar macht.

Als Schweizer Premiere zu sehen: der Film «Touch Me Not», der bei der diesjährigen Biennale den Goldenen Bären gewann. Der halbdokumentarische Experimentalstreifen der rumänischen Regisseurin Adina Pintilie (38) erforscht die Spiel­arten und Grenzen mensch­licher Sexualität. Der Abend­anlass «Psychedelic Porn Trips» zeigt Kurzfilme, in denen Sex und Rausch ineinander verschwimmen. ­Darunter ein Porno von Manuel Scheiwiller, in dem der Schweizer Künstler versucht, die inneren ­Zustände, in die Menschen beim Sex geraten, zu visualisieren.

Porny Days. 22. bis 25. November. 
Vorverkauf: Riffraff.ch und Kinokassen Riffraff oder Houdini.

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