Insel Ærø in Dänemark
Aufruhr im Hochzeitsparadies

Tausende pilgern jährlich auf die 
dänische Insel Ærø, um sich dort das Jawort zu geben. Wegen der Strände. Vor allem aber, weil das Standesamt kaum Papiere verlangt. Eine Gesetzesänderung droht nun die Idylle und das Geschäft der ­Insulaner zu zerstören.
Publiziert: 14.12.2018 um 08:20 Uhr
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Aktualisiert: 08.04.2020 um 15:02 Uhr
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Der Krankenpfleger Alex aus Deutschland und die Journalistin Thirusha aus Südafrika heirateten auf Ærø, nachdem Thirushas Geburtsurkunde in ­Zürich nicht akzeptiert worden war. Weil es zu lange ­gedauert hätte, aus Südafrika eine neue anzufordern, reiste das Paar mit dem Fernbus ab Zürich via ­Hamburg auf die dänische Insel.
Janine Gloor und Pascal Ritter

Auf dem kleinen Standesamt der dänischen Insel Ærø herrscht eine Stimmung wie auf ­­einer Autobahnraststätte. Beinahe im Minutentakt ­fahren Autos auf dem Parkplatz des einstöckigen Backsteingebäudes vor. Kleinbusse laden gleich ­meh­rere Hochzeitspaare aus.

Im Innern unterteilen Stellwände den grossen Warteraum vor dem Schalter. Jedes Abteil wird von einer ­anderen Hochzeitsgesellschaft ­besetzt. Es riecht nach Filterkaffee. Beamtinnen huschen umher und führen eine Hochzeitsgesellschaft nach der anderen in den Trauungs­raum, als würden sie Patienten ins Sprechzimmer eines Arztes ­begleiten. Grund für diesen ­grossen Ansturm sind die liberalen ­Ge­ setze Dänemarks, die schnelles und unkompliziertes Heiraten ermöglichen. Ærø hat ­daraus eine Industrie ­gemacht.

Hochzeitsparadies Ærø

In einem der Warteabteile sitzen Jackob und Daniela. Er ist Pole und lebt im deutschen Ruhrgebiet. Sie ist Kolumbianerin und aus ­Bogotá angereist. Die Insel Ærø hat sich auf Paare wie Jackob und Daniela spezialisiert.

In Gelsenkirchen, dem Ort, wo das Paar leben wird, wäre eine Trauung kompliziert geworden. Zuerst hätten die beiden in Polen und Kolumbien Geburtsurkunden und Ehefähigkeitszeugnisse auftreiben und dann auf einen Termin warten müssen. Auf Ærø reichen ein Pass, eine ­gültige Aufenthaltsbewilligung und 800 dänische Kronen. Das sind rund 120 Franken. Einen ­Termin zu vereinbaren, ist eine ­Sache von wenigen Minuten.

Die Insel macht sich die Tatsache zunutze, dass die meisten Standesämter dieser Welt noch auf Paare ausgerichtet sind, die sich im ­Klassenlager oder am Dorffest ­kennengelernt haben. Jackob und Daniela aber fanden sich auf Instagram und führten drei Jahre lang eine Fernbeziehung über eine ­Distanz von 9000 Kilometern.

Gleich werden der in Deutschland lebende Pole und die Kolumbianerin auf dem dänischen Standesamt heiraten. Internationale Kombinationen wie diese sind sich die Standesbeamtinnen von Ærø gewohnt. Am gleichen Tag noch werden sie Menschen aus den USA, Thailand, der Ukraine, Polen, ­Kolumbien, China, Griechenland, Israel, Brasilien, Uganda, Ghana, der Dominikanischen Republik, Bosnien, Frankreich, Schweden, Rumänien, Russland, Italien und den Philippinen zu Mann und Frau machen.

Weniger alltäglich ist, dass sich bei Daniela und Jackob, beide Zeugen Jehovas, spontan zwei Dutzend Mitglieder der lokalen Glaubensgemeinschaft angeschlossen haben, die nun hinter ihnen im Trauungsraum stehen und zuhören, wie sich das junge Paar die ewige Treue verspricht.

Paare wie Jackob und Daniela ­haben Ærø einen wirtschaftlichen Aufschwung gebracht. Weil aber der Wind in der Migrationsfrage auch in Skandinavien gedreht hat, kommen in diesen Tagen Probleme auf die Insel zu. Eine Gesetzesänderung droht das Hochzeitsparadies zu zerstören.

Bürgermeister Ole Petersen versteht die Kritik nicht

Draussen auf dem Parkplatz zwischen Standesamt und Rathaus steht Ole Petersen in einem grünen T-Shirt und Clogs an den Füssen und schüttelt den Kopf. «Sehen so Fake-Hochzeiten aus?», fragt der Bürgermeister von Ærø und zeigt auf einen jungen Mann im Anzug, der einer Frau mit Blumen im Haar aus einem Kleinbus hilft.

Die Behörden der Insel Ærø stehen in der Kritik. Mit ihrer Hochzeitspolitik, die noch liberaler ist als in den meisten dänischen Gemeinden, sollen sie Scheinhochzeiten ermöglicht haben. Ehen seien nur ­geschlossen worden, um einem der Partner ein Aufenthaltsrecht in einem EU- oder EWR-Staat oder der Schweiz zu verschaffen.

Die Empörung war gross, als die Grenzwache Zahlen veröffentlichte. In Dänemark wurden im Jahr 2016 13 000 Paare vermählt, die nicht in Dänemark leben. Zudem häuften sich Hochzeiten zwischen Frauen aus Osteuropa und Männern aus Afrika und Asien. Der Verdacht der Grenzschützer: Hier geht es nur um Aufenthaltsbewilligungen. Gleichzeitig flogen kriminelle Netzwerke auf, die systematisch Fake-Hochzeiten organisierten.

Der Ruf der Politik nach härteren Gesetzen liess nicht lange auf sich warten. «Dänemark darf nicht die Hintertür zu Europa werden», sagt Mai Mercado, die konservative dänische Ministerin für Kinder und Soziales. Sie brachte eine Reform auf den Weg, die vorsieht, dass ­Paare mit mindestens einem ausländischen Partner ihre Papiere nicht mehr nur beim lokalen Standesamt, sondern bei einer zentralen Behörde in Kopenhagen einreichen müssen. Die Gebühren werden erhöht und kommen künftig zu einem wesentlichen Teil nicht mehr der Gemeinde, sondern den Beamten in der Hauptstadt zugute.

Am 22. November wurde das neue Gesetz vom dänischen Parlament ohne Gegenstimme angenommen. Auch die Sozialdemokraten von Ærø-Bürgermeister Ole Petersen stimmten dafür. Das Gesetz tritt am 1. Januar 2019 in Kraft.

Dass es auf Ærø Scheinhochzeiten gab, bestreitet Bürgermeister Petersen nicht. Die Quote von zehn Prozent, von der die Politiker in ­Kopenhagen ausgehen, hält er aber für ein Hirngespinst. Er schätzt, dass es bei zwei Prozent der Ehen nur um die Aufenthaltsbewilligung geht, der Rest komme, weil Heiraten in Dänemark unbürokratisch sei.

Der ehemalige Kapitän Petersen ist enttäuscht von den Politikern in Kopenhagen. Für ihn sind sie Fahnen im Wind, der nun gerade von rechts wehe. Er sieht einen Sturm auf seine Insel zukommen. Denn ein grosser Teil der Arbeitsplätze und Einnahmen der Insel hängen mit dem Hochzeitsgeschäft zusammen.

Neun Mal mehr Hochzeiten in den letzten zehn Jahren

Um Petersens Frust zu verstehen, muss man sich auf dem Marktplatz der Hauptstadt Ærøskøbing um­sehen. Ein Pärchen – er im Drei­teiler, sie im weissen Spitzenkleid mit ­langen Ärmeln – gleitet auf die Rückbank eines Oldtimers. Ein zweites, etwas weniger elegant ­gekleidetes Paar fährt auf Velos ­davon. Die Blechdosen, die sie an Schnüren hinter sich herziehen, scheppern über das Kopfsteinpflaster. Vor zwei historischen Wasserpumpen posiert ein drittes Paar etwas ­etwas unbeholfen für ein Foto.

Die Anzahl der Hochzeiten, die auf Ærø abgehalten werden, explodierte in den letzten zehn Jahren. Grund dafür sind die Trauungen von Ausländern. Deren Zahl ver­neunfachte sich von 500 auf 4500. Nur noch bei jeder fünfzigsten Hochzeit auf Ærø hat einer der Partner einen dänischen Pass. Auch Schweizerinnen und Schweizer sind auf den Geschmack gekommen. Letztes Jahr gaben sich 24 Schweizer Paare auf der Insel das Jawort.

Bevor das Heiraten zur Industrie wurde, war die Insel tot. Und im Winter war noch weniger los. Die Häuser im Stadtzentrum standen leer, die Läden waren geschlossen. Man konnte auf der Insel kaum eine Tasse Kaffee bekommen. ­Heute buhlen Bars darum, wer den Verliebten den Champagner ausschenken darf. Am Marktplatz lädt ein Kaffee zum Verweilen ein, das auch in Berlin oder New York stehen könnte. Im dazugehörigen Souvenir-Shop gibt es hausgemachte Marmelade und Stoffbeutel mit aufgedruckten Ankern. Yoga-Kurse und Soja-Latte bekommt man jetzt selbst im Winter.

Wirt, Fotograf, Wedding- Planer in Personalunion

Der Fotograf drängt das Paar, das bei den historischen Wasserpumpen posiert, zur Eile. Es ist Leslie Rabuchin, Inhaber der ­Heiratsagentur Global Express Wedding. Er bietet ­Heiratswilligen ein Rundum-sorglos-Paket an. Der klein gewachsene Mann mit Stirnglatze und prüfendem Blick holt Paare von der Fähre ab, organisiert die Unterkunft und knipst selbst die Fotos. Der pensionierte Anwalt betreibt am Marktplatz von Ærø-skøbing ein Bed and Breakfast. Weil er kein Frühstück servieren will, nennt er es «Bed and Coffee».

Wie Rabuchins Zimmervermietung funktioniert auch das Heiraten auf Ærø, das als «Las Vegas von Europa» gilt. Allerdings gibt es einen Unterschied zur amerikanischen Wüstenstadt: Auf Ærø muss man sich einen Tag vor der Trauung auf dem Standesamt registrieren. Diese Regel sorgt dafür, dass auch die Hoteliers vom Hochzeitsgeschäft profitieren.

Mit Heiratsschwindlern hat auch der aus Kopenhagen zugezogene Rabuchin Bekanntschaft gemacht. Er erzählt von einem Pakistani, der sich mit einer Bulgarin vermählen wollte. Beim zweiten E-Mail-Kontakt habe sich der Name der Braut plötzlich geändert. Rabuchin lehnte den Kunden ab und meldete ihn bei der dänischen Grenzwache. Wer nur heiratet, um eine Aufenthaltsbewilligung in der EU zu ergattern, müsse damit rechnen, von ihm verpfiffen zu werden, sagt er.

ennoch konnte auch Jurist Rabuchin nicht verhindern, dass die Gesetze nun verschärft werden. «Wir werden sehen, wie es weitergeht», murmelt er. Dann klingelt sein Telefon. Wieder ein Paar, das es eilig hat zu heiraten.

Romantiker heiraten beim Leuchtturm

Nicht alle Inselbewohner ­hadern mit der Reform. Um sie zu finden, muss man an den Strand von Ærøskøbing, dorthin, wo der Wind seit über 100 Jahren an bunten Strandhäusern zerrt, die auf keiner Postkarte fehlen dürfen.

Hinter ­einem rostroten Häuschen schmückt Louise Moloney mit ­Tüchern und Zweigen einen Holzbogen, unter dem sich später zwei Verliebte das Jawort geben ­werden. Sie ist die Gründerin von Danish ­Island Weddings. Die vor zehn Jahren ins Leben gerufene Hochzeitsagentur ist die älteste auf der Insel und so ziemlich das ­Gegenteil von Rabuchins Schnellkupplerbüro. Louises Kunden wollen sich am Strand oder bei einem Leuchtturm das Jawort geben und in den Feldern für Fotos posieren.

Louise Moloney stammt aus Ærø, hat die Insel aber als Kind mit ihrer Familie verlassen. Als Flight Attendant ist sie um die Welt geflogen und hat später mit ihrem britischen Ehemann und ihren zwei Buben in England gelebt. Vor zehn Jahren kam sie zurück.

Bei der Entscheidung, auf Ærø eine Hochzeitsagentur zu gründen, hätten die liberalen dänischen Gesetze keine Rolle ­gespielt, beteuert die zierliche 48-Jährige im bodenlangen Jupe mit Tupfen. «Ich war schon immer ­der Meinung, dass dies der schönste Ort zum Heiraten ist.» Vor dreissig Jahren organisierte sie hier die Hochzeit ihrer eigenen Schwester. Viele Freunde aus dem Ausland reisten an. «Es war magisch», sagt sie und steckt einen Zweig mit weissen ­Blüten am Holzbogen fest.


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