Da es mir am jetzigen Arbeitsplatz nicht gefällt und ich bei der Stellensuche viele Absagen bekam, rief ich meinen früheren Chef an und bat ihn um gute Referenzen. Er nahm das zum Anlass, wieder regelmässig und intensiv mit mir zu telefonieren. Aber getroffen haben wir uns in fünf Monaten nur einmal und nur ganz kurz.
Es macht mich glücklich, wieder in Kontakt mit ihm zu sein. Aber es kränkt mich, dass er mich nicht mehr treffen will. Muss ich seine Ehe telefonisch retten, ihn aus der Ferne motivieren, ihm Kraft geben? Ich täte das viel lieber bei einem Kaffee. Es stört mich, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Er hat offenbar Angst vor seiner Frau.
Gestern warf ich ihm an den Kopf, sie sei schuld an meiner Kündigung und ich würde meine Zeit mit ihm verschwenden. Er sagte darauf, ich dürfe gern mit andern Männern ausgehen. Er macht oft solche Sprüche. Müsste ich mich für meine bösen Worte entschuldigen? Oder warte ich besser, bis er sich wieder meldet? Madeleine
Liebe Madeleine
Du bist offenbar so allein und so unglücklich, dass du hartnäckig an der Illusion einer heimlichen grossen Liebe festhältst. Und daran, dass dieser arme Mann dich nicht einmal für eine Stunde treffen kann, weil eine böse Ehefrau ihn überwacht.
Dein früherer Chef mag charmant sein, vielleicht auch gutaussehend und liebenswürdig. Aber ist er auch liebenswert? Ich denke nein. Sonst hätte er dir erklärt, warum dir gekündigt wurde. Denn als dein Vorgesetzter war er informiert.
Kam dir nie der Gedanke, dass er an deinem Rauswurf zumindest mitbeteiligt war, weil über euch getratscht wurde? Mag sein, dass jemand, der es «gut mit ihr meinte», seine Frau über euer Verhältnis informiert hatte. Möglich auch, dass sie ihm darauf die Hölle heiss machte. Aber sie kann nichts für deine Kündigung. Sie hatte nicht die Macht dazu!
«Schuld» war euer Verhältnis. Du sagst ja selbst, dass du gemobbt wurdest. Die Leute sahen offenbar sehr gut, was mit dir los war. Und mit deinem Vorgesetzten, der mit dir schäkerte und schlief, dich aber die Suppe allein auslöffeln liess, die ihr euch eingebrockt habt.
Es ist kein Spruch, wenn er sagt, du seiest frei. Er meint es so. Er klagt bei dir offenbar über seine Frau, aber er geht kein Risiko mehr ein. Sei froh, denn es würde dein Leiden verlängern, wenn er auf deine Bitten einginge. Warte nicht länger auf ihn, du hast wirklich genug Zeit an ihn verschwendet. Deshalb hast du auch keinen Grund, dich für deine «bösen» Worte zu entschuldigen. Sie trafen zu.