Meine Frau (56) sagt mir (59) seit Jahren, dass sie null Verlangen nach Sexualität habe, weder mit mir, noch mit einem anderen oder sich selbst. Geschlechtsverkehr ist Tabu. Ab und zu willigt sie seufzend zu Petting ein und kommt dann nach kürzester Zeit. Sie sagt, sie empfinde auch dabei keine Lust. Ich als Mann kann mir nicht vorstellen, dass man einen Orgasmus haben kann ohne Lust. Verdrängt sie einfach ihre Lust? Günther
Lieber Günther
Viele Menschen gehen davon aus, dass ihr eigenes Erleben automatisch auch für andere gilt. Was sie persönlich erstrebenswert finden, soll auch dem anderen wichtig sind, oder was sie als unwichtig empfinden, auch dem Gegenüber gleichgültig.
Du scheinst nicht annehmen zu können, dass Lust im Leben deiner Frau momentan nicht vorkommt. Weil du das nicht kennst, unterstellst du ihr Verdrängung. Gleiches gilt für den Orgasmus. Für dich ist er die Krönung grosser Lust, also kannst du dir nicht vorstellen, dass er bei deiner Frau offenbar mehr ein Reflex ist.
Leider sind es genau solche Denkmuster, die Sexualität vergiften. Man stülpt dem anderen eigene Bedürfnisse über, statt gemeinsam zu erarbeiten, was beide erstrebenswert finden. Egal, ob es nun um die Annahme «Sex ist toll. Mehr davon!» geht oder die Haltung «Sex ist überflüssig, also lassen wir es.»
Verschiedene und mit dem Alter veränderte Bedürfnisse verlangen nach einer neuen Sexualität. Tauscht euch darüber aus, wie Körperlichkeit heute für euch aussehen sollte, damit sie Nähe und Intimität schaffen.
Aktuell scheinen bei euren Begegnungen Berührungen im Zentrum zu stehen, die innert kürzester Zeit zum Orgasmus führen. Warum die Eile? Warum der Fokus auf die Geschlechtsorgane? Besonders, wenn Lust nur schwerlich aufkommt, wäre Zeit wichtig, um ihre eine Chance zum Wachsen zu geben.