Caroline Fux, Sie behaupten, hinter den Übergriffen steckt fehlende sexuelle Kompetenz.
Frust und sexuelles Unvermögen dürften bei diesen Taten wichtige Motoren gewesen sein. Viele der Täter wurden aus einer sehr restriktiven Gesellschaft in unsere übersexualisierte katapultiert. Sex und Überfluss sind überall, aber teilhaben dürfen die Männer an dieser Fülle nicht. Das führt bei einigen zu einem gewaltigen Frust und sie schlagen genau dort zurück, wo sie selber an Grenzen stossen: Bei der Sexualität.
Welche Rolle spielt das Frauenbild?
Eine essentielle. Ein Problem sind die patriarchalischen Strukturen. Wenn vermittelt und gelebt wird, dass die Frau nichts oder weniger zählt, dann ebnet das den Weg für Gewalt und Unterdrückung. Ein weiteres Problem ist, dass viele dieser Männer ein sexuelles Doppelleben führen.
Was für ein Doppelleben?
Die Gesellschaft ist restriktiv, Sexualität wird tabuisiert, es fehlt sexuelle Bildung. Viele Männer stillen dann ihre Neugier und das Bedürfnis nach sexuellen Reizen mit Pornographie. Genau, wie das viele Männer aus unserer Kultur übrigens auch tun.
Spielt Pornographie in diesen Ländern tatsächlich eine Rolle?
Man kann davon ausgehen. Bei uns herrscht ein sehr naives Bild über die Digitalisierung in diesen Ländern. Wir staunen, wenn Flüchtlinge ein Smartphone haben und sich über Facebook organisieren. Es wäre naiv, zu glauben, dass sich diese jungen Männer nicht für pornographische Inhalte interessieren und diese auch konsumieren. Wer online ist, kommt auch an Pornographie ran. Und zwar spielend leicht und im Überfluss. Mit fatalen Folgen für das Bild der westlichen Frau.
Welche Schlussfolgerungen passieren da?
Stellen Sie sich vor, das Wissen, dass sie über die westliche Frau haben, stammt zu grossen Teilen aus Pornos. Die Frauen sind allzeit bereit, leicht bekleidet, haben nichts zu melden, machen alles mit, geniessen auch Abwertungen und jedes noch so grobe Verhalten. Das ist keine sehr gemütliche Vorstellung. Wer nicht gelernt hat, solche Bilder einzuordnen und die Geschlechter differenziert wahrzunehmen, für den gibt es nur die Heilige und die Hure. Die eigene Mutter und die Schwester sind keusch und rein, aber irgendwo müssen die Schlampen aus den Pornos ja sein.
Ist Pornokonsum denn immer so verheerend?
Nein. Aber Pornokonsum braucht sexuelle Kompetenz. Pornos sind dann fatal, wenn ein Referenzsystem fehlt, wie normaler Sex abläuft. Sex, der für beide Partner befriedigend ist. Studien zeigen, dass Jugendliche ganz gut mit pornographischen Inhalten umgehen können, wenn sie bereits anderes Wissen über Sexualität haben. Wer weiss, dass Pornos inszenierten Sex und nicht die Realität zeigen, kann das Gezeigte relativieren.
Beschimpfungen und Belästigungen sind auch an Schweizer Schulen ein Problem. Lehrer berichten, dass manche Schüler eine Macho-Kultur leben und Mädchen als Schlampen oder Nutten beschimpfen würden.
Auch hinter diesen Geschichten steckt oft ein verunglückter, von Pornographie geprägter Einstieg in die Sexualität. Zu Hause darf Sex kein Thema sein, aber das klemmt das Bedürfnis und das Interesse ja nicht ab. Für junge Männer ist es oft nicht leicht, mit dem Hormonsturm der Pubertät klarzukommen. Manche werden vom eigenen Sexualtrieb komplett überrollt. Sie wünschen sich nichts sehnlicher, als sexuelle Erfahrungen zu machen, aber meist fehlt dazu die Partnerin. Wenn diese Jugendlichen keine Anlaufstellen und guten Informationen über Sex bekommen, wird die Provokation zu einem Ventil.