Mein Vater hat im Oktober Geburtstag, es ist sein 80. Seit Wochen hat er jeden Tag einen anderen Plan, wie er ihn feiern will. Erst sollten wir uns alle in London bei meiner jüngsten Schwester treffen, dann in Berlin bei Miss Violet. Dann wollten sie zu zweit in die Sonne fliegen, dann wieder nach London. Donnerstagabend rief er an und hatte den Vorschlag, alle treffen sich in Zürich. Auf keinen Fall, antwortete ich – «ich habe weder Lust, in Zürich essen zu gehen, noch mit euch abzuhängen, weil es hier nichts gibt. Ihr wolltet doch wegfahren?!»
«Ach», antwortete Vater, «es gibt doch nichts, wo man hinfahren kann.» Ich dachte, ich hätte mich verhört – hatte aber keine Energie, ihm erneut zu erklären, wo man überall cool hinfahren kann. Denn mein Vater hasst Reisen, seit er 60 ist. Es ist eine Mischung aus Faulheit, Angst vor Unbekanntem und Altersgeiz, der jeden Tag (ich schwöre!) schlimmer wird. Er ist schwer an Altersgeiz erkrankt, ich bin mir sicher, es ist eine Krankheit.
Dann sagte er, er würde gerne eine Party geben (gelogen, denn er hasst Partys, seit ich ihn kenne), aber die besten Bekannten meiner Eltern sind am Geburtstag irgendwo anders, und ohne die ist es sinnlos. Ich schnaufe ungeduldig ins Telefon, denn im Gegensatz zu ihm habe ich noch jede Menge zu tun. Da fängt er an, mir aufzuzählen, was Flüge für ihn und meine Mutter nach London kosten, plus Hotel. Und es gäbe auch Flüge für mich aus Zürich zum ätzendsten Londoner Flughafen, nach Luton, er würde einen spendieren.
«Ich will nicht nach Luton fliegen», sage ich. «Wohin dann?», fragt er. «Nach Heathrow, wie jeder normale Mensch, und zwar mit Swiss.» Er schweigt. «Sag mir einfach zwei Tage vorher, wo ich hin soll, und ich werde da sein.» Er ist zufrieden und beteuert, wie gut diese Idee sei, und ich soll mir ein schönes Restaurant überlegen. «Wir feiern Papas Geburi jetzt doch in London», schreibe ich meinen Schwestern im Group-Chat. Nee, die fahren alleine nach Berlin, schreibt sie aus London zurück. Nein, nein, tippe ich, der hat mich vor einer halben Stunde angerufen, es ist jetzt doch London. Nein, bei denen ändert sich alle zwei Sekunden etwas, die wollen nach Berlin, ohne uns. Da kommt ein SMS meines Vaters: Liebe Wäis, wir fahren nicht nach London, Weihnachten werden wir nachfeiern. Wir fahren eine Woche nach Berlin.
Ich war schockiert, dass er mich nach einem ganzen Leben immer noch schockieren kann. Hiermit hat er den Bogen überspannt. Wir werden ihm einfach drei Tage London zu zweit mit uns zum Geburtstag schenken. Siebzig Fliegen mit einer Klappe. Dann kann er nämlich schon mal anfangen, seinen 90. zu planen.