Von aussen zurückhaltend klassizistisch, innen elegant bürgerlich: Das Haus am Berner Helvetiaplatz macht auf täuschendes Understatement. Die Ausstellungsräume gelten ihrer Lichtregie wegen als aussergewöhnlich - und sie haben eine einzigartige Geschichte.
Gegründet wurde die Kunsthalle 1918 durch einen von den Berner Künstlern getragenen Verein, der sich unter anderem durch Kostümfeste finanzierte. Noch 1968 musste das Berner Tagblatt seine Leserschaft darüber in Kenntnis setzen, «dass die Feste der Kunsthalle Bern, hinter denen manche Leute Origen schlimmster Sorte vermuten, zu den fröhlichsten und buntesten Anlässen gehören, die Bern zu bieten hat».
Die Kunsthalle ist, wenngleich heute massgeblich von der Stadt Bern finanziert, ideell das Haus der Berner Künstlerschaft geblieben. Gezeigt wird Kunst lokaler, nationaler und internationaler Provenienz. Das heimische Schaffen wird seit langem in der über den Jahreswechsel stattfindenden Weihnachtsausstellung gewürdigt, seit 2011 als überregionale «Cantonale Bern Jura».
Die ausdrückliche Aufgabe der Kunsthalle ist es, Gegenwartskunst zu zeigen, ohne selbst eine Sammlung aufzubauen. Diese Aufgabe übernimmt die 1987 gegründete Stiftung Kunsthalle.
Verfolgten die Direktoren der Kunsthalle anfänglich noch das Ziel, das Publikum mit Überblicksausstellungen über den Stand der Gegenwartskunst ins Bild zu setzen, wurden in der Nachkriegszeit vermehrt individuelle kuratorische Linien sichtbar.
Besonders die Direktoren Arnold Rüdlinger (1946-1955), der sich sehr um die Verbreitung amerikanischer Kunst in Europa verdient machte, und Franz Meyer (1955-1961) gelten als prägend für das moderne Verständnis der Rolle des Ausstellungsmachers. Die stilbildende Verkörperung des modernen Kurators war jedoch der Berner Harald Szeemann. Er leitete die Kunsthalle zwischen 1961 und 1967.
In diese Zeit fiel die wegweisende Ausstellung «Live in Your Head. When Attitudes Become Form», die einen Durchbruch für die Konzeptkunst bedeutete und für öffentlichen Aufruhr sorgte. Nachdem Szeemann die Kunsthalle im Streit verlassen hatte, weil der Vorstand eine geplante Ausstellung von Joseph Beuys nicht erlaubte, wurde er Leiter der Documenta in Kassel und später der Kunstbiennale Venedig.
Das war das einzige Mal, dass einem Direktor der Kunsthalle nicht freie Hand gelassen wurde. Weil sich das Haus sonst keinem Publikumsgeschmack fügen mussten, entwickelte es sich zu einer kunstgeschichtlichen Autorität. Bedeutende Ausstellungen von Paul Klee, John Moore, Jasper Johns, Sol LeWitt, Bruce Nauman, Daniel Buren oder Ai Weiwei verhalfen der Kunsthalle zu Weltruhm.
In einer der ersten Aktionen dieser Art verhüllten Christo und Jeanne-Claude 1968, zum 50. Geburtstag der Kunsthalle, das Gebäude. Auch wenn die Verpackung damals aus feuerpolizeilichen Gründen schon nach wenigen Tagen wieder entfernt wurde, konnte man sich damals für einmal sicher sein, dass das Publikum von der Gegenwartskunst Notiz genommen hatte.
Ansonsten galt nämlich oft, was Arnold Rüdlinger schon in den 1950er Jahren festgestellt hatte: «Die schlichte Uninteressiertheit Berns sichert zwar keine Unterstützung, jedoch die nötige Toleranz.»
Diese weit gesteckten Toleranzgrenzen werden unterdessen nur noch periodisch finanz-, aber kaum mehr kunstpolitisch in Frage gestellt. Dadurch ist die Kunsthalle Bern zwar zu einem Ausstellungshaus unter vielen geworden. Auch unter der aktuellen Direktion von Valérie Knoll, der ersten Frau auf diesem Posten, versteht sich das Haus aber nach wie vor als Ort, der nicht über Kunst, sondern durch Kunst informiert, und zwar über die Gegenwart.
Zum hundertjährigen Jubiläum dieser anhaltenden Zeitgenossenschaft findet am 18. Mai eine öffentliche Feier statt. Eine Jubiläumspublikation und Spezialeditionen von mit dem Haus verbundenen Künstlern werden veröffentlicht, und eine digitale Plattform zur Erschliessung des Archivs nimmt ihren Betrieb auf. Einen vertieften Einblick in die Geschichte des Hauses wird ab kommendem Juni eine grosse Harald-Szeemann-Ausstellung ermöglichen.
Verfasser: Martin Bieri, sfd