«Vielen fehlt das Know-how für eine Bewerbung»
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Bewerbungscoach Irina Stucki:«Vielen fehlt das Know-how für eine Bewerbung»

Weshalb Bewerbungsfirmen boomen
Irina Stucki bewirbt sich dauernd – und will keinen Job

Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer lassen ihre Bewerbung von Profis schreiben – gegen Bezahlung. Bewerbungsschreiberin Irina Stucki verrät, welche Branchen sie am häufigsten anheuern.
Publiziert: 04.03.2023 um 13:03 Uhr
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Aktualisiert: 06.03.2023 um 11:23 Uhr
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In der Schweiz breitet sich ein neuer Trend aus: eine Firma dafür bezahlen, die eigene Bewerbung zu schreiben.
Foto: Getty Images/EyeEm
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Lea ErnstRedaktorin Gesellschaft

Irina Stucki (36) hat sich diese Woche bereits als Informatikerin, Gefängniswärterin, Marketingfachfrau und Unkrautförsterin beworben. Für ihre Kundinnen und Kunden macht sie, was vielen Mühe bereitet – Stucki ist hauptberufliche Bewerbungsschreiberin.

Als sie 2016 ihre Bewerbungsfirma Ciivii gründete, war Stucki eine der Ersten auf dem Schweizer Markt. Doch das Bewerbungsbusiness boomt – unterdessen tummeln sich auf Google zahlreiche nationale Anbieter.

Der Schweizer Firmenindex bestätigt: Sie alle wurden ab 2017 gegründet, der Grossteil in den vergangenen zwei Jahren. Immer mehr Schweizer bezahlen jemand anderen dafür, ihre Bewerbung zu schreiben. Kostenpunkt: zirka 300 Franken für Lebenslauf und Motivationsschreiben.

Floskeln und Selfies

Stucki sitzt in einem Café in Olten SO. Sie und ihr Team, bestehend aus Bewerbungs-Coaches und einer Übersetzerin, haben gerade viel zu tun. In der Jobbörse herrscht Hochsaison. Weil viele Firmen Anfang Jahr das Budget für Personalausgaben sprechen, sind im Frühling besonders viele Stellen ausgeschrieben.

«Sobald ich glaube, alle Berufsfelder zu kennen, kommt wieder ein neues dazu», sagt Stucki. Diese Woche war es: Transplantationskoordinatorin. Doch von CEO über Handwerkerin oder Dirigent bis zu Chefärztin und Eiskunstläufer sei alles dabei. Am häufigsten schreibt sie Dossiers für Berufe im Marketing oder kaufmännischen Bereich.

Das funktioniert so: Kundinnen und Kunden schicken Stucki den bisherigen Lebenslauf, Motivationsschreiben, Arbeitszeugnisse, vielleicht ein Stelleninserat – einfach alles. Irina und ihr Team lesen sich in Werdegang und Branche ein und erstellen das Dossier. Verboten ist das nicht, es zählt auch nicht als Ghostwriting. «Wir fügen ja nichts hinzu, wir ordnen bloss neu», sagt Stucki.

Nach ihrem Studium der Arbeits- und Organisationspsychologie arbeitete Stucki lange in einer Personalabteilung, sichtete zahlreiche Bewerbungen: Floskeln, seitenlange Lebensläufe, einmal schickte eine Bewerberin gar ein Selfie als Bewerbungsfoto. Stucki sagt: «Mir fiel auf, wie viele Menschen sich bei der Bewerbung selber im Weg stehen.»

Knackpunkt Unsicherheit

Doch wieso greifen die Kundinnen und Kunden ins Portemonnaie, obwohl sie sich selbst und ihren Beruf doch am besten kennen? Besonders das Motivationsschreiben sorgt gemäss Stucki für Unbehagen: «Man ist für einmal gezwungen, sich anzupreisen, während man gleichzeitig sympathisch und bescheiden wirken will.»

Auch beim Lebenslauf herrsche grosse Unsicherheit. Zu viele Details, dabei sollte er knapp und prägnant, fast nie länger als zwei Seiten sein. Die hohe Anzahl Mitbewerberinnen sei den meisten Leuten gar nicht bewusst. Stucki sagt: «Der Lebenslauf muss in wenigen Sekunden überzeugen. Erst dann wird das Bewerbungsschreiben überhaupt gelesen.»

Was die Kreativität betrifft, versucht Stucki immer wieder, ihren Kunden die Anspannung zu nehmen: «Stelleninserate sind oft sehr unkreativ. Man kann die Welt nicht immer neu erfinden.» Ziel bei einer Bewerbung sei es, ansprechend und leserfreundlich zu schreiben. Viele Kundinnen und Kunden seien unsicher oder schämten sich, weil ihr Werdegang nicht linear verlaufen ist. Dabei seien genau solche die spannendsten Lebensläufe – jede Erfahrung gelte als Stärke.

Anne-Catherine Killer, Leiterin des Bereichs Berufs- und Laufbahnberatung vom BIZ Bern, erkennt in solchen profitorientierten Diensten sowohl Vor- als auch Nachteile: «Einerseits können sie sich im Vergleich zu öffentlichen Stellen mit aktuellerem HR-Wissen profilieren.» Also dem Wissen, worauf die Personalabteilungen achten. Andererseits bestehe die Gefahr, dass die Bewerbung zu perfekt und somit nicht mehr glaubwürdig erscheine. «Passt die Bewerbung nicht mehr zum Bildungsniveau, kann sich das negativ auf die Beurteilung auswirken», so Killer.

Neben der öffentlichen Berufs- und Laufbahnberatung gebe es auch Schreibdienste und weitere kostenlose Angebote wie zum Beispiel die Bewerbungswerkstatt TRiiO im Raum Bern. Im Internet stehen zahlreiche Layoutvorlagen für Lebenslauf und Motivationsschreiben gratis zur Verfügung.

Die Bewerbungstipps vom Berufsberatungs- und Informationszentrum (BIZ) des Kantons Bern

- Ins Dossier gehören: Motivationsschreiben, Lebenslauf, Arbeitszeugnisse und Bildungsabschlüsse.

- Das Motivationsschreiben sollte nicht länger als eine Seite sein und zeigen, dass Sie sich mit dem Unternehmen auseinandergesetzt haben. Schaffen Sie einen direkten Bezug zur Stelle und vermeiden Sie Floskeln wie «mit grossem Interesse…».

- Der Lebenslauf ist das Herzstück der Bewerbung. Zählen Sie Ihre Tätigkeiten chronologisch auf, beginnend mit der letzten Anstellung. Führen Sie das jeweilige Unternehmen, Ihre Funktion und stichwortartig die wichtigsten Tätigkeiten auf. Aus- und Weiterbildungen nur erwähnen, wenn sie für die neue Anstellung relevant sind. Hobbys können erwähnt werden, müssen aber nicht.

- Ein Foto im Lebenslauf ist nach wie vor wichtig. Gehen Sie dafür zum Fotografen und kleiden Sie sich, wie es in Ihrer Branche und Funktion angemessen ist.
Generell: Arbeiten Sie in jeder Bewerbung heraus, für wen sie bestimmt ist.

- Ins Dossier gehören: Motivationsschreiben, Lebenslauf, Arbeitszeugnisse und Bildungsabschlüsse.

- Das Motivationsschreiben sollte nicht länger als eine Seite sein und zeigen, dass Sie sich mit dem Unternehmen auseinandergesetzt haben. Schaffen Sie einen direkten Bezug zur Stelle und vermeiden Sie Floskeln wie «mit grossem Interesse…».

- Der Lebenslauf ist das Herzstück der Bewerbung. Zählen Sie Ihre Tätigkeiten chronologisch auf, beginnend mit der letzten Anstellung. Führen Sie das jeweilige Unternehmen, Ihre Funktion und stichwortartig die wichtigsten Tätigkeiten auf. Aus- und Weiterbildungen nur erwähnen, wenn sie für die neue Anstellung relevant sind. Hobbys können erwähnt werden, müssen aber nicht.

- Ein Foto im Lebenslauf ist nach wie vor wichtig. Gehen Sie dafür zum Fotografen und kleiden Sie sich, wie es in Ihrer Branche und Funktion angemessen ist.
Generell: Arbeiten Sie in jeder Bewerbung heraus, für wen sie bestimmt ist.

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