Was ist eigentlich in diesen verdammten Scanboxen an Supermarktkassen? Einsame Wichtel, die rot leuchten und «Miiep» machen. So traurig. Ein bisschen Weihnachtsdeko und Klaviermusik, und die halbe Schweiz ist gerührt von der Geschichte des kleinen Finn. Nicht nur die Schweiz, weltweit wurde der Weihnachtsspot der Migros 20 Millionen Mal geschaut. Erfunden hat die Geschichte der Werber Livio Dainese. Seinen Helden nannte er erst Luki Laserauge der Kassenkobold, aber was solls, der Kunde ist König.
Der 45-jährige Aargauer arbeitet bei der Zürcher Werbeagentur Wirz und scheint aktuell der Erfolgreichste seiner Gattung zu sein. Am Donnerstagabend wurde er zum Werber des Jahres gewählt. Ein Branchenpreis, ja. Aber der Wichtel-Vater zeigt eben auch, dass sich der Typ «Werber» verändert hat. Stiller Teamplayer statt arroganter Superman. Wir treffen den «Kreativen» in seiner Agentur. Man führt uns in eine Black Box. Schwarze Kiste. Hat die nicht etwas mit Fliegern zu tun? Man weiss nicht, was drin ist, oder darf es nicht wissen. Passt zur Ideenschmiede Werbebüro. Die Wände sind abgedeckt, die Besucher sollen nicht sehen, woran und für wen die Werber rumhirnen. Eines erhaschen wir: «SBB» steht mit Kreide an der Wand. Dazu später. Auf dem schwarzen Tisch liegt Gummischleckzeug. Kauen Erwachsene auf den klebrigen Dingern herum, hat das immer etwas Leichtes und Verspieltes. Passt in eine Agentur.
Dass Dainese den Preis vor allem wegen dieses einen Spots gewonnen hat, spielt er herunter. Einerseits, weil seine Agentur 2017 viel Gutes hervorgebracht habe, anderseits ist es ihm etwas unangenehm, denn der Wichtel war quasi Chefidee. Da werden 30 bis 40 Weihnachtsgeschichten für einen Kunden geschrieben, Konkurrenzkampf vom Feinsten, und dann macht der Chef (Dainese ist Co-CEO) das Rennen. Dem Mann aus Aarau ist lieber, wenn sein Team gute Ideen hat.
Er braucht kein Poltern, seine Geschichten sind leise
Werber werden für Ideen bezahlt. Zuerst, so erklärt der erfahrene Werber, «hast du extrem Freude, dass dir etwas in den Sinn gekommen ist». Bei Dainese geht das am besten, wenn nebenher etwas passiert. Er sitzt auf dem Velo, fährt Zug oder hört seine Kinder rumlärmen. Die fragt er auch meist um ihre Meinung. Beim Wichtel Finn redeten sie gar mit. Irgendwas ist da einfach nicht logisch, sagten sie. «Das ist brutal. Kinder merken genau, wo eine Geschichte nicht funktioniert», sagt Dainese. Es herrschte ein absolutes Verbot, in der Schule von Finn zu erzählen.
Seine Werbungen sind leise. Da sind die zwei Rentner im Boot, die darüber sinnieren, ob Fische auch Durst haben und ob die Tiere das Wasser eigentlich sehen (Mobiliar). Oder ein berühmter Komponist, der acht Stunden ein Schlafkonzert spielt in einer Halle voller Menschen, die in Betten liegen (Ikea). Da ist kein «Geiz ist geil». In der Schweiz geht man auch etwas lieblicher und harmonischer an die Sache ran. Zu viel Sarkasmus wie etwa in Grossbritannien funktioniert nicht.Eines ist überall gleich: Es geht um Aufmerksamkeit, ein Garant dafür sind Emotionen. «Man muss den Menschen etwas erzählen, das wirklich stimmt, und das Wahre dann mit etwas aufladen», sagt Dainese. Im Werbejargon heisst das «kreativer Sprung». So erschaffe man etwas, das die Leute im Kopf behalten und teilen. Teilen. Denn Plakate sind vorbei, sagt der Profi.
Dainese hat keine eigene Botschaft, er erfüllt Aufträge
Crossmedia. Pitch. Medialer Reach. Werbersprache. In den 80er-, 90er-Jahren waren Werber Stars. Exzentrisch. Einen klassischen Werber würde man sich arrogant vorstellen, auf jeder Party der Letzte. So zumindest das Klischee. Dainese zeigt, wenn die Idee originell ist, muss man nicht mit Pauken und Trompeten einfahren.
Apropos Trompeten: Dainese träumte einst von einer Musikkarriere. Rock. Er gab Konzerte. Dann spielte er noch auf Hochzeiten seiner Freunde. Je später sie heirateten, desto mieser sein Niveau. Heute spielt er bloss zu Hause mit seinen 9-jährigen Zwillingen Jael und Leal. Einer an der Trompete, einer am Klavier und Dainese an der Gitarre. Er sei grottenschlecht, sagt er. Spiele auf dem Niveau seiner kleinen Söhne. Zusammen seien sie das Trio Infernal. Arme Nachbarn. Nein, nein, da spiele einer furchtbar Flöte. Dainese ist witzig, ohne zu lachen, ohne es darauf anzulegen.
Dainese hat nicht das Bedürfnis, eigene Botschaften zu verbreiten. Dafür nimmt er sich zu wenig wichtig. Zu wenig ernst. Er will immer Neues ausprobieren, löst am liebsten die Aufgaben, die ihm jemand gibt. So ist es ihm auch «völlig egal», dass ausserhalb der Branche keiner seinen Namen kennt. Dass jeder die Migros kennt, viele seine Werbungen und manche seine Agentur. Relevant sei, dass die Branche wisse, was er könne. «Falls ich hier rausgeschmissen werde.»
Und das weiss sie mit diesem Preis umso mehr. Das dritte Mal war er nominiert. Musste es nun klappen? Dainese sieht es positiv. Schon die Nominationen seien super und besser als nichts. Aber es rege ihn schon auf, nicht zu gewinnen.Und dann, obwohl es ihm ja eigentlich egal ist, fragt er, wie viel Leute über Werber nachdenken. Und fügt gleich selbst an: «Ich glaube, niemand.» Das klingt nun fast ein wenig nach einem traurigen Kind, das von seinen Eltern vergessen wurde abzuholen. «Werber haben keine Bühne mehr. Das ist etwas schade."
«Kreative haben alle einen leichten Dachschaden»
Ginge es nach Dainese, sollte es einen Dokfilm über Agenturen geben. So würden die Leute mal sehen, «wie viel doch einigermassen intelligente Leute hier arbeiten, um gute Dinge zu machen». Dainese ist dann doch nicht so ganz happy mit dem Ruf seiner Sippe.
Sagt aber auch, Kreative hätten alle einen leichten Dachschaden. Er meint die nichtlinearen Lebensläufe von Werbern. Und rechtfertigt damit auch seinen Weg. Kunstschule in Basel und beim Machen schon gemerkt, dass das nichts ist. Wirtschaft abgebrochen. Dann wollte er Art Director werden, weil das cool klingt.
Er schwärmt von seinem ersten Chef: ein Ami, der im Büro herumschrie, wenn er einen Award gewann, und auf dem Tisch Gitarre spielte. Das war 2004. Nach Stationen in grossen Werbefirmen ist er nun bei der 160-köpfigen Agentur Wirz. Auch typisch: spezielle Hobbys haben, nicht Mainstream. Er geht in der Freizeit biken. «Total Mainstream, ich weiss.» Er wartet: «Ja, das ist voll scheisse, ich hätte auch gern ein cooles Hobby. Habe ich aber nicht.» Ach, und was ist jetzt mit den SBB? Die haben sie sich ganz neu als Kunden geangelt. Die Bundesbahnen seien eine «geile Marke».