Thomas Kleiber, mit Ihnen ist es ziemlich einfach, ein unverfängliches Gespräch zu führen.
Thomas Kleiber: Weshalb meinen Sie?
Ein Smalltalk übers Wetter ist nicht so heikel wie einer über Politik.
Ja, bei politischen Themen geraten sich Menschen mit unterschiedlichen Ansichten schnell in die Haare. Wenn aber einer Hitze mag, der andere Kälte, dann können sie trotzdem weiter miteinander reden.
Nervt es den Fachmann Kleiber, wenn ihm im Gedankenaustausch Laien besserwisserisch gegenübertreten?
Auch Zuschauer, die keine Ahnung haben, wie eine Prognose entsteht, haben eine Meinung dazu. Doch das ist nicht nur beim Wetter so: Jeder würde viel besser Fussball spielen und Ski fahren, jeder würde die SBB optimaler organisieren und für flüssigeren Strassenverkehr sorgen – dieses Schulmeisterliche ist in jedem angelegt.
Sind Meteorologen nicht selber schuld an der Einmischung, weil sie Wetter in TV und Radio zur leichtfüssigen Show machten?
Das kann sein. Aber ich will nicht mit Fachbegriffen um mich werfen, um dadurch Kompetenz auszustrahlen. Die grosse Kunst ist, kompetent und gleichzeitig locker zu sein.
Deshalb hat Ihre Sendung «Meteo» nach der Hauptausgabe der «Tagesschau» regelmässig über 700'000 Zuschauer – meist mehr als die «Tagesschau» selber.
Die Leute mögen einfach nicht immer negative Meldung hören.
Wetterprognosen sind oft auch schlecht.
Das ist Interpretationssache. Mindestens ein Drittel der Schweizer mag keine Sonnenhitze im Sommer. Wenn ich denen sage: «Jetzt kommt durch eine Regenfront eine Abkühlung», dann sagen die: «Geil!»
Ärgert Sie der Begriff «schlechtes Wetter»? Sie gelten als Regen-Liebhaber.
Nicht nur ich. Wenn es lange trocken war, freut sich auch der Bauer über Regen. Im Sommer, wenn die Sonne scheint, spreche ich deshalb nicht von schönem Wetter. Im Winter, wenn nach einer langen Hochnebelperiode die Sonne hervorkommt, dann spreche allerdings auch ich von schön.
Seit wann gibt es diese Abqualifizierung des Niederschlags?
Ich weiss nicht, ob vor 150 Jahren der Begriff «schlechtes Wetter» schon die gleiche Bedeutung hatte. Wir sind heute einfach eine relativ stark von der Natur entfernte Gesellschaft. Und wenn die Sonne nicht scheint, sind wir frustriert. Dann sage ich immer: «Stellen Sie sich die Schweiz ohne Niederschlag vor – sie wäre eine Wüstenlandschaft.»
Aber der verregnete Sommer 2016 hat Sie schon auch deprimiert.
Lustig, dass Sie das so in Erinnerung haben: Ab Mitte Juli wurde es sonnig, trocken und warm. Und bis Mitte September konnte man jeden Tag baden.
Aber Mai und Juni fielen ins Wasser.
Das stimmt.
Erwarten wir zu früh Sommerwetter?
Genau, der Schweizer verhält sich so, wie wenn er frisch in die Schweiz gekommen wäre – jedes Jahr ist er überrascht, dass der Sommer erst Ende Juni beginnt. Dann heisst es: «Das Wetter spielt verrückt.» Nein, das stimmt gar nicht, das entspricht der langjährigen Statistik.
Ist das im Winter das Gleiche?
Ja. Die Skigebiete wollen bereits im November die Pisten eröffnen, und in Amerika veranstaltet man Skirennen. Dabei hat es statistisch gesehen in dieser Jahreszeit einfach noch sehr wenig Schnee. Und im März, wenn im Mittelland die Krokusse schiessen, gehen die Leute nicht mehr in die Berge. Dann sind aber die besten Schneeverhältnisse. Es ist fast immer so.
Werden Sie angefeindet, wenn Sie Skigebieten schlechtere Wetterverhältnisse voraussagen, als Sie dann tatsächlich sind?
Lustigerweise greifen uns sowohl Kurorte an, die sagen, wir seien zu negativ, als auch Touristen, die sagen, wir hätten eine Gefälligkeitsprognose gemacht, wenn das Wetter doch ungünstiger ist. Da gilt es, das Mittelmass zu finden: Wir dürfen uns nicht von der einen oder anderen Seite beeinflussen lassen.
Werden Sie häufiger für falsche oder für schlechte Prognosen kritisiert?
Das hängt davon ab, wie die Grosswetterlage in der vergangenen Periode war – war es länger sonnig, sind die Leute toleranter.
Sind die Prognosen von «Meteo» statistisch gesehen zu positiv oder zu negativ?
Was haben Sie für ein Gefühl?
Eher zu negativ: Ab und an laufe ich wegen «Meteo» mit dem Schirm aus dem Haus, und dann regnet es gar nicht.
Dann haben Sie Ergänzungen überhört. Wir sagen häufig: Es regnet in einigen Regionen. Das heisst, es regnet nicht überall. Oder wenn es eine halbe Stunde regnet, sind die Zuschauer im Büro und kriegen es nicht mit.
Lohnt sich Ihr Aufwand überhaupt? Wenn man sagt, morgen wird das Wetter so wie heute, dann hat man im Jahresschnitt eine Trefferquote von 80 Prozent.
Was heisst Trefferquote? Wenn ich sage, am Nachmittag regnet es, und es wird erst um 17 Uhr nass – ist das nun schon Abend? Und wenn ich zwei Grad prognostiziere, und es werden drei – ist das ein Treffer oder nicht?
Zumindest Sie selber sind ein Volltreffer für das «Meteo»-Team – Sie gelten als Publikumsliebling. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Ich habe kein Rezept. Ich versuche einfach, ich zu sein. Und ich arbeite mit Humor – das tut der Ernsthaftigkeit des Themas keinen Abbruch.
Seit bald zehn Jahren sind Sie bei «Meteo» – zunächst nur fürs Radio, seit 2011 auf dem Dach vor der Kamera. Brauchten Sie Überwindung für diesen Schritt?
Ja. Ich habe mir das zu Beginn genau überlegt. Wenn ich nun draussen unterwegs bin, stehe ich unter Beobachtung.
Haben Sie einen Fanklub?
Nein, das wäre mir sehr unangenehm.
Aber sicher Reaktionen auf Ihre Auftritte.
Das schon.
Legendär ist das Echo auf Ihren Aufruf zum Vogelfüttern im «Meteo» von Februar 2013: «Amseln haben sehr gerne Äpfel, Kleiber sehr gerne Schokoladenkuchen.» Wie viel Gebäck haben Sie danach erhalten?
Das war berührend: Über Wochen sind Schokoladenkuchen angekommen – das war die Sendung, auf die am meisten Zuschauer reagiert haben.
Haben sich Ornithologen aufgeregt?
Ich habe zuvor die Vogelwarte Sempach angerufen und gefragt, ob es nun sinnvoll sei, Vögel zu füttern. Am nächsten Tag wurden sie überrannt von Anrufern, die wissen wollten, ob man dem Kleiber wirklich Schokoladenkuchen geben solle. Dem Vogel natürlich nicht!
Wie Ihren Namensvetter aus der Vogelwelt sehen wir Sie stets draussen. Wann entscheiden Sie sich, aus dem Studio statt vom Dach unter freiem Himmel zu senden?
Bei Hudelwetter gehen wir immer aufs Dach, ausser bei einer konkreten Gefahr – und die gibt es eigentlich nur bei Gewittern. Ein Sturm, der derart tobt und gefährlich wird, ist höchst selten.
So leichtfüssig die Sendung daherkommt, manchmal haben Sie auch gefährliche Wetterereignisse zu vermitteln. Wie gehen Sie mit solchen Belastungen um?
Das sind heikle Situationen. Es gilt, die Zuschauer auf Gefahren hinzuweisen, ohne auf Panik zu machen. Wenn man nämlich immer warnt, dann hören die Menschen nicht mehr hin, wenn es wirklich gefährlich wird. Da muss man die Balance finden.
Welches war die extremste Wetterfront, mit der Sie konfrontiert waren?
Ein Eisregen, der alle Strassen in Eisbahnen verwandelte.
Macht Ihnen das Wetter manchmal Angst?
Nein, ausser ein Gewitter in den Bergen – das ist das Einzige, wovor ich Respekt habe. Alles andere kündigt sich an.
Kündigt sich für Weihnachten Schnee an?
Wenn ich das in einer nur halbwegs zuverlässigen Qualität sagen könnte, dann würde ich nicht da sitzen, sondern stinkreich auf meiner privaten Insel. Wir wissen aber, dass es Anfang Winter noch nie so wenig Eis in der Arktis hatte wie jetzt. Dadurch entweicht viel Wärme in die Luft vom Meer her und beeinflusst die Windströmungen stark.
Der Klimawandel führt zu immer extremeren Wetterverhältnissen. Wie gehen Sie damit um?
Wir Meteorologen sind für das Wetter zuständig, die Klimatologen für das Klima – das sind zwei getrennte Berufsgruppen. Das Klima ist wie der Charakter einer Person, das Wetter ihre momentane Laune. Wenn sie über Jahre schlechte Laune hat, dann kann eine Charakteränderung vorliegen. Das ist die Schwierigkeit für uns, den Leuten beizubringen, dass ein schneereicher Winter nicht gegen eine
Erderwärmung spricht.
Was ist zu tun?
Die Klimatologen sollten uns mehr nutzen, denn wir haben die Zuschauermassen, und wir wissen, wie man komplexe Zusammenhänge einfach erzählt.
Investieren Sie viel Zeit in das Schreiben Ihrer Moderationstexte?
Nein, denn ich muss zuerst die Prognosen und alle Wettergrafiken erstellen. Erst um 19 Uhr kann ich mir überlegen, was ich sage. Ich darf nur die dreieinhalb Minuten Sendezeit nicht überschreiten.
Zu einem Ihrer Markenzeichen gehört die getragene Verabschiedung am Schluss der «Meteo»-Sendung. Wie sind Sie darauf gekommen?
Das entstand von alleine. Ich wollte mir Zeit nehmen, um den Zuschauern Tschüss zu sagen – so wie man es bei Leuten macht, die man mag.
Auf Wiedersehen, Herr Kleiber.
Ich wünsche Ihne en schöne Abig, uf Wiederluege.
Es regnet und ist kalt, als Thomas Kleiber im April 1971 in Dielsdorf ZH auf die Welt kommt. Solches Wetter fasziniert ihn bis heute am meisten. Da er nach der Sekundarschule nicht Meteorologie studieren kann, macht er eine Lehre als Chemielaborant und bildet sich an der Ingenieurschule beider Basel zum Chemiker aus. An der Universität Basel studiert er anschliessend Umweltgeowissenschaften mit Vertiefung Meteorologie. Seit Oktober 2007 arbeitet Kleiber im «Meteo»-Team für Radio und Fernsehen SRF. Er lebt mit seinem Mann in Zürich.
Es regnet und ist kalt, als Thomas Kleiber im April 1971 in Dielsdorf ZH auf die Welt kommt. Solches Wetter fasziniert ihn bis heute am meisten. Da er nach der Sekundarschule nicht Meteorologie studieren kann, macht er eine Lehre als Chemielaborant und bildet sich an der Ingenieurschule beider Basel zum Chemiker aus. An der Universität Basel studiert er anschliessend Umweltgeowissenschaften mit Vertiefung Meteorologie. Seit Oktober 2007 arbeitet Kleiber im «Meteo»-Team für Radio und Fernsehen SRF. Er lebt mit seinem Mann in Zürich.