Mit modernem Aberglauben ins neue Jahr
Deshalb lesen wir das Horoskop trotzdem

Auch wenn die meisten von uns nicht daran glauben, lesen wir sie: Jahreshoroskope. Warum eigentlich? Und was sagt das über uns aus?
Publiziert: 28.12.2019 um 14:16 Uhr
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Aktualisiert: 18.01.2021 um 10:59 Uhr
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Astrologie fasziniert. Die Gründe sind vielfältig.
Foto: Shutterstock
Rebecca Wyss

Single-Skorpione kommen das ganze Jahr über sexuell voll auf ihre Kosten. Steinböcke fühlen sich im Juni stark, sexy und unverwundbar. Stiere sollten darauf achten, dass ihre Seele Mitte Jahr Extra-Futter bekommt. Überhaupt landen die Erdzeichen hart auf dem Boden der Tatsachen.

Das sind die Aussichten fürs neue Jahr. Jedenfalls sagen das die Sterndeuter.

Jetzt, kurz vor Jahresende, sind die Zeitschriften wieder voll mit Jahreshoroskopen. Und wir lesen eifrig mit – ob wir an die Vorhersagen glauben oder nicht. Weil Astrologie fasziniert.

Selbst berühmte Politiker vertrauten schon auf die Sterne. Ronald Reagan zum Beispiel. Auf Anraten seiner persönlichen Astrologin kam es zur Annäherung des damaligen US-Präsidenten mit dem russischen Präsidenten Michail Gorbatschow. Diese führte dann bekanntlich zum Ende des Kalten Kriegs. Ähnlich bedeutend war die Rolle von Star-Astrologin Elizabeth Teissier (81). Ihr berühmtester Klient: François Mitterrand. Sie soll 1992 dem damaligen französischen Präsidenten das perfekte Datum für das Referendum über das Maastricht-Abkommen geliefert haben. Immerhin der Vertrag über die Europäische Union.

Fehlprognosen am Laufmeter

Was wurde schon gestritten darüber, ob die Sterne wirklich einen Einfluss auf unser Erdenleben haben oder nicht. Astrologen versuchten Beweise zu liefern. Wissenschaftler widerlegten alles. Wenig hilfreich war, dass Sterndeuter mit ihren Fehlprognosen Schlagzeilen machten: So oft schon wurde der Weltuntergang prognostiziert. Oder die Trennung eines Promi-Paars wie Pitt und Jolie – die dann irgendwann auch eintraf. Keine andere Branche kann sich solche Fehlschläge leisten wie die Astrologie.

Neuropsychologe Peter Brugger weiss auch weshalb: «Ob jemand an Astrologie glaubt, hat nicht in erster Linie mit Intelligenz zu tun.» Sondern ganz viel mit Psychologie.

Allen voran mit dem Barnum-Effekt: Wenn also Aussagen über die eigene Persönlichkeit so allgemeingültig und vage formuliert sind, dass jede und jeder von uns sich darin wiederfindet. Wie das funktioniert, kann man leicht selbst überprüfen. Wenn es im Horoskop heisst: «Dank Merkur fühlen Sie sich gesund und kräftig. Was Sie nicht merken: Ihr Körper verschleisst langsam.» Oder: «Mit Mars in Ihrem Zeichen sind Sie feinfühlig. Allerdings ist Kommu­nikationsplanet Merkur noch bis zum 17. August rückläufig. Da sind Sie zunächst einmal unsicher bei Entscheidungen.» Ja, kommt uns doch bekannt vor!

Aber auch weil wir uns gerne selbst betrügen. Sagt die Psychologie. Von allen Behauptungen picken wir uns jene raus, die unsere Meinung über uns bestätigen. Vor allem die Positiven. Ein Steinbock-Geborener erinnert sich lieber an den Satz, dass er ein «effizienter Problemlöser» ist, als dass er «manchmal zu Verbissenheit neigt». Menschlich.

Wir lassen uns aber auch gerne täuschen. Mit Geburtsort und -datum macht der Astrologe aufwendige Berechnungen. «Das verleiht dem Ganzen den Anschein von Wissenschaftlichkeit», sagt Brugger, der an der Universität Zürich zu modernem Aberglauben forscht. So wirkt ein persönliches Horoskop verlässlicher als Kaffeesatzlesen.

Aber welcher Typ Mensch glaubt nun an Horoskope? Gemäss Brugger sind es jene, bei denen die rechte und linke Hirnhälfte stärker vernetzt sind als bei anderen. Das verleiht diesen Menschen bestimmte Fähigkeiten: Sie sind Weltmeister im Assoziieren. «Ihnen springen Zusammenhänge ins Auge, die andere nicht sehen.» Und zwar nicht nur in Bezug auf das eigene Leben. Sie können damit gar zu bedeutenden wissenschaftlichen Erkenntnissen gelangen – wie die Kontinentaldrift-Theorie. Geowissenschaftler Alfred Wegener (1880–1930) betrachtete nichtsahnend auf einer Karte die verschiedenen Kontinente, als er plötzlich begriff, dass diese einmal zusammengehört haben.

Aber aufgepasst, der Wahnsinn liegt nahe: Ein Schizophrener assoziiert ungebremst. Ein Teller Spaghetti kann ihm richtig Angst einjagen. Weil er ihn mit Italien verknüpft und damit auch automatisch mit der Mafia.

Kreative Fische

Brugger schlägt übrigens «Neurastrologie» als Forschungsgebiet vor. Dieses untersucht den Einfluss der Jahreszeit, in der ein Kind geboren wird, auf dessen Persönlichkeit. Unter Winterkindern finden sich nämlich häufiger Psychosen als unter Sommerkindern. Und jene, die im Februar und März geboren sind, haben ein um zehn Prozent erhöhtes Schizophrenie-Risiko. Fische-Geborene also! Sie sind eher geneigt, auf astrologische Aussagen anzuspringen. Oder freier zu assoziieren. Also doch die Sterne, Herr Brugger? «Nein, dieser Zusammenhang hat wohl mit der saisonalen Grippe zu tun.» Wird eine Mutter während des zweiten Schwangerschaftsdrittels krank, und dies auch noch im Winter, kann sich das negativ auf das Gehirn des Fötus auswirken. Und gar zu einer Schizophrenie oder Psychose führen.

Peter Brugger ist übrigens ein im März geborener Fisch.

Auch wenn Astrologie also Glaubenssache ist, kann sie für alle etwas leisten. Prophezeit Madame Sternenstaub Veränderungen im neuen Jahr, kann man das zum Anlass nehmen, den ungeliebten Job zu überdenken. Oder die kräfteraubende Beziehung. Und subtiler: Astrologie vermittelt überhaupt erst einmal das Gefühl, ein Schicksal zu haben. Ein einzigartiges, das einen aus der anonymen Massengesellschaft heraushebt. In einer Zeit, in der eine höhere Macht, die jedem einen Platz in der Welt zuweist, verschwunden ist. Das tut gut!

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