«Der Klassiker unter den künstlerisch gefertigten Haarbildern, die vor rund 100 Jahren an vielen Schweizer Wohnzimmerwänden hingen, waren Friedhof-Szenen», sagte Christine Süry. Die Sammlungs-Kuratorin des Historischen Museums Thurgau zeigte am «Museumshäppchen» vom Donnerstag im Schloss Frauenfeld Bilder und Skulpturen, die allesamt aus den Haaren Verstorbener angefertigt wurden.
Die haarigen Kunstwerke wurden zum Gedenken an jene Verstorbenen aufgehängt, von deren Kopf auch die Haare stammten. Die fein gearbeiteten Bilder mit reichverzierten Grabsteinen, Trauerweiden aus geflochtenen Haaren und getrockneten Blumen sollten die Nachkommen täglich an ihre Ahnen erinnern und daran, woher die Familienmitglieder kommen.
«Im 19. Jahrhundert wurde die Familie als Rückzugsort sehr wichtig, weil vieles im Umbruch war. Es gab in der Schweiz bürgerkriegsähnliche Unruhen und die rasch fortschreitenden Veränderungen der Umgebung durch den Bau von Eisenbahnlinien, Strassen und Fabriken verunsicherten die Bevölkerung», sagte Süry.
Geschaffen wurden die Erinnerungsstücke aus Locken und Strähnen oder gemahlenen Haaren von spezialisierten Coiffeuren oder von Frauen mit geschickten Fingern. Die Coiffeure mussten sich neue Geldquellen erschliessen, nachdem das Perückentragen aus der Mode gekommen war.
Der bekannteste Haarkünstler der Ostschweiz war laut der Kuratorin Johann Jakob Rohner aus Herisau, dessen Musterbuch überliefert wurde. Anhand dieser Musterbücher konnten die Kundinnen ihr Lieblingsmotiv aussuchen, das posthum an sie erinnern sollte.
Die Haare dafür wurden dem Künstler zu Lebzeiten überlassen. «Den Toten Haare abzuschneiden war tabu», sagte die Kuratorin. Nur wenn der Tod überraschend kam, durfte das Rohmaterial ausnahmsweise erst auf dem Totenbett gewonnen werden, etwa wenn es mit einer Wöchnerin oder einem Kind zu Ende ging.
Verwendet worden seien vorwiegend braune Haare. «Rot waren nur jene von Zauberern oder Hexen und blonde galten als zu schwach», sagte die Kuratorin. Zuerst badeten die Künstler die Haare in Sodawasser, banden sie zu Büscheln und bürsteten sie, bevor sie zu Kunstwerken geflochten oder geklöppelt wurden. «Die Arbeit erforderte viel Geduld und höchstes Geschick, zumal für die Stränge zwischen drei und 90 Haare verwendet wurden», sagte Süry.
Eine Besonderheit waren gestanzte Haarbilder. Dafür bestrichen die Künstler die Haare mit Leim, klebten sie eng aneinander auf ein Papier und stanzten die Motive aus. Für Miniaturbildchen oder Medaillons, welche die Angehörigen bei sich trugen, zermahlten Künstler die Haare und vermischten diese mit Leim zu einer Farbe.
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