Zweifel an Psychologie-Studie
Handy, Tablet und TV sind nicht schlimmer als Kartoffeln

Digitale Medien sollen Jugendliche depressiv machen, sagte eine Studie. Doch nun haben Psychologen die zugrundeliegenden Datensätze neu analysiert und entdeckt: So schlimm ist es gar nicht.
Publiziert: 25.02.2019 um 13:56 Uhr
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Aktualisiert: 02.07.2019 um 10:55 Uhr
Cornelia Eisenach @higgsmag

Viele Eltern sorgen sich darüber, dass ihre Kids zu viel am Smartphone oder vor dem Computer hängen. Tatsächlich zeigte eine Studie 2017: Je mehr Zeit Jugendliche am Bildschirm verbringen, desto eher sind sie depressiv und sogar suizidgefährdet. Doch nun untersuchten die britischen Psychologen Amy Orben und Andrew Przybylski unter anderem denselben Datensatz, auf den sich die erwähnte Studie von 2017 stützte, neu.

Der Datensatz enthielt Umfragen, in denen Hunderttausende von Jugendlichen darüber Auskunft gaben, wie viel Zeit sie mit digitalen Medien verbringen. Aber sie machten auch Angaben zu ihrem Geschlecht, dazu, ob sie Marihuana konsumieren, ob sie in Schlägereien geraten, ob sie Frühstück und wie häufig sie Kartoffeln essen, ob sie an Depressionen leiden, sich einsam fühlen und vieles mehr.

Brille tragen ist schlimmer

In der neuen Studie berücksichtigten die britischen Psychologen alle diese Lebensgewohnheiten und stellten fest: Ja, zu viel Zeit am Bildschirm hat einen negativen Einfluss auf das mentale Wohlergehen von Jugendlichen. Aber dieser Effekt ist sehr klein. So klein, dass selbst das Tragen einer Brille einen negativeren Einfluss auf die Psyche hat als digitale Technologien.

Ja, was denn nun? 

Versetzen wir uns in die Situation eines Forschenden. Dieser will den Einfluss digitaler Technologien verstehen. Da er vermutet, dass diese Depressionen auslösen, kann er nicht einfach eine Gruppe Jugendlicher zehn Stunden vor einen Bildschirm setzen und sie dann mit einer Kontrollgruppe vergleichen – das wäre unethisch. Aber zum Glück gibt es den erwähnten grossen Datensatz, den er auswerten kann.

Wissenschaftler unter Druck

«Bei der Auswertung eines solchen Datensatzes müssen Forschende sehr viele Entscheidungen treffen», sagt Carolin Strobl, Statistikerin an der Universität Zürich. Zum Beispiel, ob sie den Einfluss von Bildschirmzeit für Jungen und Mädchen getrennt anschauen möchte oder nicht. «Nicht immer kommt bei der gewählten Auswertung ein interessantes Resultat heraus.» Doch genau danach suchen die Forschenden: «Negative Ergebnisse sind leider immer noch schwer zu publizieren, und ohne Publikationen stehen die Forscher bald ohne Job da», sagt Strobl.

An den Einstellungen schrauben

Was macht der Forschende? Er geht vielleicht zurück und wählt so lange andere Einstellungen für die Analyse, bis er auf ein interessantes Ergebnis stösst.

Dieses Verhalten – auch p-hacking genannt – ist zwar schlechte wissenschaftliche Praxis, könnte aber einen Teil der Uneinigkeit in Studien erklären, sagt Carolin Strobl. Aber ein weiteres Problem sei, dass bei so grossen Datensätzen auch sehr kleine Effekte statistisch signifikant seien, die vom Leser dann als «wahr» interpretiert werden. Ein Beispiel: Ein Medikament hilft 10 von 10'000 Menschen, das Placebo hilft 5 von 10'000. Dieses Ergebnis ist zwar statistisch signifikant – um ein gutes Medikament handelt es sich aber trotzdem nicht.

Machen Kartoffeln depressiv?

Verlassen wir die Perspektive der Wissenschaftler. Wir wissen jetzt: Das Ergebnis, dass zu viel Zeit am Bildschirm die Psyche Jugendlicher negativ beeinflusst, ist nur eines von vielen möglichen Ergebnissen. Und der beobachtete Effekt ist sehr klein.

Bei ihrer erneuten Analyse trieben es die britischen Forschenden dann bewusst auf die Spitze: Sie analysierten die Zusammenhänge zwischen allen möglichen Antworten der Umfragen. Je nach Einstellungen kam zum Beispiel heraus, dass die Bildschirmzeit genauso negativ mit der psychischen Gesundheit in Zusammenhang steht wie das Essen von Kartoffeln. Das ist offensichtlich absurd. Mit ihrem Ansatz wollen die Autoren aber bewusst zur Diskussion über die Interpretation psychologischer Studien anregen.

Bildschirmzeit: Symptom und nicht Ursache

«Ich finde diese Studie sehr wichtig», sagt dazu die Medienwissenschaftlerin Sarah Genner von der Pädagogischen Hochschule Zürich. Denn sie zeige auch, dass Zusammenhänge nicht immer ursächlich sein müssen. Zwar verbringen depressive Jugendliche möglicherweise sehr viel Zeit mit digitalen Technologien. «Eine exzessive Nutzung kann aber eher ein Symptom eines tieferliegenden psychischen Problems sein und nicht dessen Ursache.» So wie Kiffen oder starker Alkoholkonsum könne der übermässige Gebrauch digitaler Medien auch eine Strategie sein, um mit Problemen fertigzuwerden.

Zwar ist Genner dafür, die Bildschirmzeit von Jugendlichen zu begrenzen, dies jedoch nur, damit diese genug Schlaf bekämen und andere wichtige Erfahrungen jenseits des Bildschirms machen könnten. «Die zentrale Frage sollte nicht ‹Wie lange?› sein», sagt Genner. Viel wichtiger sei, welche Inhalte die Teenager konsumieren und ob sie das tun, um Problemen aus dem Weg zu gehen.

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