Ob Ton, Wort oder Porträt: Kaum ein künstlerisches Produkt, das nicht erst durch Spirituosen spirituelle Höhen erreichte. Ob Komponist, Schriftsteller oder bildender Künstler: Ohne Gin kein Genie.
Oder wie es der deutsche Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) formulierte: «Wenn man manchen grossen Taten und Gedanken bis zu ihrer Quelle nachspüren könnte, so würde man finden, dass sie öfters gar nicht in der Welt sein würden, wenn die Bouteille verkorkt geblieben wäre, aus der sie geholt wurden.»
Alle sprachen sie dem Alkohol zu – vom griechischen Philosophen Sokrates (469–399 v. Chr.) über den deutschen Musiker Ludwig van Beethoven (1770–1827) bis zum niederländischen Maler Vincent van Gogh (1853–1890).
Forscher belegen kreativen Schub durch Bier
Dem deutschen Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe (1759–1834) sagt man nach, er solle täglich drei Flaschen fränkischen Wein getrunken haben. Seinem Schaffen tat dies keinen Abbruch: Die Tragödie «Faust» (1808) oder der Roman «Die Wahlverwandtschaften» (1809) sind nüchtern betrachtet schlichte Meisterleistungen.
«Es liegen im Wein produktivmachende Kräfte», sagte Goethe einmal seinem Vertrauten Johann Peter Eckermann (1792–1852). Dichtung oder Wahrheit? Dem ging 2017 ein österreichisches Forscherteam vom Institut für Psychologie der Universität Graz nach.
An 70 Probanden zwischen 19 und 32 Jahren testeten die Wissenschaftler die kognitive und kreative Hirnleistung. Dafür schenkten sie einer Gruppe Bier ein, bis deren Alkoholpegel auf 0,3 Promille stieg. Die Kontrollgruppe bekam alkoholfreies Bier, das optisch und geschmacklich kaum zu unterscheiden war.
Das Ergebnis: Die Gedächtnisleistung verschlechtert sich bei den Alkoholtrinkern, während sich deren kreative Problemlösung mit Wörtern verbessert. Die Interpretation der Psychologen: Alkohol lockert kognitive Kontrollen, und das wiederum fördert bestimmte Formen des kreativen Denkens.
«Man muss immer trunken sein»
Die Forscher weisen allerdings darauf hin, dass sich dieser positive Effekt nur bei geringen Mengen Alkohol einstelle. Und schon Goethe schränkte ein: «Es kommt dabei alles auf Zustände und Zeit und Stunde an, und was dem einen nützt, schadet dem anderen.»
Die Opferliste ist lang: Der literarische US-Hexenmeister Edgar Allan Poe (1809–1849) soff sich ebenso zu Tode wie das englische Gesangstalent Amy Winehouse (1983–2011) – bei ihr fand man 4,2 Promille Alkohol im Blut. Dass es hier nicht mehr um Kreativitätsförderung geht, besingt der Deutsche Herbert Grönemeyer (63) mit der poetischen Zeile: «Alkohol ist das Dressing für deinen Kopfsalat.»
Bei manchen sensiblen Künstlern geht es beim Alkoholtrinken denn auch um reine Realitätsflucht. «Um die grässliche Last der Zeit nicht zu spüren, die euch die Schultern zerbricht, müsst ihr euch unaufhörlich berauschen», schrieb der französische Poet Charles Baudelaire (1821–1867), «man muss immer trunken sein».
Der geniale Schriftsteller und Schnapsglaskipper E. T. A. Hoffmann (1776–1822) bringt dieses Lebensgefühl in seinem Tagebuch auf den Punkt: «Das Alltagsleben ekelt mich an!» Im Suff befiel ihn nachts oft das Entsetzen, sodass er schrie, bis seine Frau kam und ihn beruhigte. Vielleicht ist ihm in einem solchen Moment seine schaurig-schöne Erzählung «Der Sandmann» (1816) in den Sinn gekommen. Oder der abgründig tiefsinnige Roman «Die Elixiere des Teufels» (1815).