Warum werden manche Menschen drogensüchtig?
Es hat nichts mit Willenskraft zu tun!

Wie konnte das passieren? Warum macht er oder sie das? Das sind die Fragen die sich Angehörige und Freunde von suchtkranken Menschen oft stellen. Manch einer tut eine Sucht als Schwäche ab. Oder als Zeichen überschwänglichen Hedonismus - dem Verlangen nach Spass ohne Rücksicht auf Verluste. Doch nicht nur die persönliche Einstellung zu Suchtmitteln, sondern auch die genetische Disposition oder Erfahrungen in der frühen Kindheit spielen eine wichtige Rolle in der Entwicklung einer Abhängigkeit.
Publiziert: 11.10.2017 um 12:32 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 07:40 Uhr
Verschiedene Faktoren beeinflussen die Entwicklung einer Sucht.
Foto: Thinkstock

Oft wird Sucht einfach als konstante Suche nach Spass abgetan. Das Problem dabei: Viele Drogen wie Opioide, zum Beispiel Heroin oder Stimulanzien wie Kokain bereiten mit zunehmender Häufigkeit des Konsums dem User weniger Vergnügen. Der Effekt lässt nach. Zudem gibt es süchtig machende Substanzen wie Nikotin, die überhaupt keinen merkbaren Einfluss auf die Euphorie haben. Dennoch bleibt bei einigen das Verlangen. Warum? Mike Robinson von der Wesleyan University in Connecticut, USA ging dieser Frage auf den Grund und fand seine Antwort in unserem Hirn.

Theorien zu Sucht

Laut Robinson gibt es zwei Erklärungen, warum ein Mensch der Sucht verfällt. Und seiner Meinung nach halten beide einer genaueren Untersuchung nicht stand.

Die erste besagt, dass der zwanghafte Konsum von Rauschmitteln eine schlechte Angewohnheit sei - Süchtige brauchen einfach den «Kick».

Gewohnheiten sind für unser Gehirn jedoch nichts anderes als die Fähigkeit repetitive Angewohnheiten - wie beispielsweise Zähneputzen - immer effizienter auszuführen. Deswegen findet sich aber niemand gleich in einem endlosen und zwanghaften Zyklus der Mundhygiene gefangen.

Eine weitere Theorie geht davon aus, dass der Ausstieg aus der Sucht für viele Abhängige aufgrund der Entzugserscheinungen zu hart sei. Entzugserscheinungen können auftreten, wenn der Körper sich an eine gewisse Substanz gewöhnt hat und sie ihm dann plötzlich nicht mehr zugeführt wird.

Solche körperlichen Entzugserscheinungen treten bei einer körperlichen Abhängigkeit von Alkohol, Heroin, Benzodiazepinen (Beruhigungsmittel) und anderen Substanzen auf. Bei einigen können sie - falls nicht ausreichend behandelt - im schlimmsten Fall zum Tod führen. Symptome eines körperlichen Entzuges können unter anderem Schwitzen, Schüttelfrost, Krämpfe oder Herzrasen sein.

Natürlich spielen die Faktoren Spass, Gewohnheit und Entzug eine wichtige Rolle bei einer Abhängigkeitserkrankung. Die Frage die sich nun stellt ist, ob sie auch die wichtigsten Treiber sind und ob die Sucht auch in ihrer Abwesenheit bestehen würde.

Verlangen und Vergnügen

Essen, Sexualität und Drogenkonsum haben etwas gemeinsam - sie alle lösen eine Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin im Hirn aus. Dopamin wird als «Glückshormon» bezeichnet. Die Vergnüngungszentren in unserem Denkorgan sind jedoch nicht vom Dopamin abhängig.

Wo kommt also die Sucht her? Wie sich herausstellte, sind die beiden psychologischen Erfahrungen etwas «verlangen» und etwas «möchten» zwei verschiedene paar Schuhe.

Etwas möchten bezieht sich auf das Vergnügen, dass man verspürt, wenn man beispielsweise einen Keks isst. Verlangen heisst bei diesem Beispiel, während einer Besprechung während einer Stunde voller Gier auf den Teller voller Kekse zu starren.

Das Dopamin und das Wollen

Dopamin spielt in der Sucht eine andere Rolle als bisher angenommen. Es löst kein Vergnügen aus, sondern Verlangen. In einem Versuch verloren Ratten, die kein Dopamin produzieren konnten, den Drang zu essen, zeigten aber immernoch eine freudige Reaktion, wenn ihnen Nahrung in den Mund gelegt wurde.

Drogen fördern also die Ausschüttung von Dopamin im Hirn und lösen somit quasi einen Ansturm von Verlangen aus. Und genau das löst die Gier der User aus. Mit zunehmend Konsum steigt also das Verlangen, während das Vergnügen stagniert oder gar abnimmt. Dieses Phänomen ist als Toleranz bekannt.

Bei seiner Forschung betrachtete Mike Robinson auch die Amygdala, eine mandelförmige Hirnstruktur die eine wichtige Rolle bei Angst und Emotionen spielt. Es zeigte sich, dass die Aktivierung dieser Region Verhaltensweisen von Sucht begünstigt. Versuche mit Ratten legten nahe, dass sie das Verlangen auch bei Menschen verstärken könnte, indem sie unser Handeln in Bezug auf Risiken beeinflusst.

Sucht und Gleichgewicht

Viele von uns greifen ab und an zu einem Glas Wein - oder auch mehr. Doch das macht uns noch lange nicht zu Süchtigen. Warum fällt es also den einen schwerer, nicht immer Häufiger zur Flasche zu greifen? Oder einer anderer Droge?

Die Forscher haben auf diese Frage eine Antwort parat. Es könnte sein, dass genetische Faktoren gewisse Menschen anfällig dafür machen, eine Suchterkrankung zu entwickeln. Das würde auch erklären, warum in einigen Familien Abhängigkeiten gehäuft auftreten. Andere Faktoren die eine Abhängigkeit im späteren Leben begünstigen könnten sind Widrigkeiten oder Missbrauch in der Kindheit.

Genetische Disposition

Für diejenigen, die durch genetische Disposition anfällig sind für übermässiges Verlangen ist es also von Grund auf schwieriger, nicht einer Sucht zu verfallen. Sobald die Forscher herausgefunden haben, was eine Person anfällig macht für dieses verstärkte Verlangen, kann diese Erkenntnis in der Therapie oder vielleicht sogar in der Prävention verwendet werden.

Suchtkranke Menschen sind immer wieder dem Stigma des Verlierers, des Junkies ausgesetzt. Anstatt ihnen mit Misstrauen und Ausgrenzung zu begegnen, verdienen sie unsere Unterstützung und Mitgefühl. Süchtige Menschen sind in vielen Fällen einem enormen Leidensdruck ausgesetzt. Oft fehlt es den abhängigen Menschen nicht an der Willenskraft, die Sucht zu bekämpfen. Doch das durch die genetische Disposition verstärkte Verlangen ist vielmals stärker als die Fähigkeit des einzelnen Individuums, die Sucht selber zu überwinden.

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