Das Coronavirus hat das soziale Leben zum Stillstand gebracht. Kindergärten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen. Geschäfte sind zu, Veranstaltungen bis auf Weiteres abgesagt. Viele Menschen befinden sich im Homeoffice und verbringen die meiste Zeit in den eigenen vier Wänden. Freunde treffen kann man zurzeit nicht. In den Supermärkten wird gehamstert und um die letzte Packung Klopapier gestritten. Es ist eine belastende Situation, die auf die Psyche schlägt und den Menschen Angst macht.
Die Ungewissheit darüber, wann das normale Leben zurückkehrt, ist verängstigend, wie Oliver Gero Bosch (39), Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und Mitentwickler von Psycure, zu BLICK sagt: «Die meisten Menschen befinden sich gegenwärtig in einem anhaltenden Zustand grosser Verunsicherung, die mit der Zuspitzung der Lage noch weiter zunimmt.»
Was genau macht uns solche Angst?
Die Covid-19-Pandemie ist ein globales Ereignis, das bis in den Alltag jedes Einzelnen hineinreicht. Bosch führt aus: «Es handelt sich um etwas Unbekanntes, Bedrohliches, das sich schleichend und unsichtbar unter uns breitmacht.» Dadurch entstehe ein Bedrohungsgefühl, wobei es schwer sei, rationale und irrationale Anteile der Unsicherheit auseinanderzuhalten.
Ist Angst ansteckend?
Mein Nachbar hat 15 Packungen Toilettenpapier gekauft, jetzt muss ich das auch tun, oder? «Angst kann in der Tat ansteckend sein», führt Bosch aus. Der Oberarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich nennt die Gründe dafür: «Das ist ein evolutionärer Mechanismus. Evolutionär gesehen standen wir die meiste Zeit eher unten in der Nahrungskette und waren vielen Gefahren ausgesetzt. Angst als soziales Phänomen diente dem Überleben der Gruppe.»
Wenn wir nun heute sehen, wie Menschen in unserem Umfeld Angst haben, ihrer Angst Ausdruck verleihen, dann würde uns das mitziehen. «Zusammen mit einem anderen wichtigen Gefühl, der Scham, führt das dann zu Hamsterkäufen von Toilettenpapier», weiss der Experte.
Was kann gegen die Angst getan werden?
Der Mensch ist gewöhnt, alles kontrollieren zu können. Die Ausbreitung des Virus liegt aber ausserhalb unseres Einflusses, was unsere Angst schürt. «Ähnlich anstrengend wie die Angst ist für die meisten aktuell die Belastung durch den Lockdown», sagt Bosch. Doch wir können durchaus etwas gegen diese Situation unternehmen und gegen unsere Unsicherheit ankämpfen.
Tipp 1: Medienkonsum überdenken
Verlässlicher und zeitlich limitierter Medienkonsum sollte in den Alltag integriert werden, wie der Oberarzt erklärt. Aber Achtung: «Der Medien-Konsum kann zwei Funktionen haben: die Angst verstärken oder Sicherheit schaffen.» Das klinge zwar widersprüchlich, entscheidend seien aber einerseits die Häufigkeit sowie Intensität des Medienkonsums und andererseits die Quelle der Informationen.
«Wenn ich in meiner Angst den ganzen Tag lang von einem Corona-Blog zum nächsten browse, und meiner Angst die Auswahl der Informationen überlasse, dann lande ich schnell bei katastrophalen Fake News und meine Angst steigert sich immer weiter.» Daher ist es laut Bosch wichtig, sich an offiziellen und evidenzbasierten Informationsquellen zu orientieren und den Konsum auf ein bis zwei fixe Termine pro Tag zu limitieren.
Tipp 2: Struktur in den Alltag bringen
Gegen die Belastung durch den Lockdown hilft laut Bosch eine gute Tagesstruktur. «Wichtig ist duschen, anziehen, Rituale wie gemeinsames Essen in Familien.» Das bringt Sicherheit in den Alltag.
Tipp 3: Positive Aktivitäten
Auch positive Aktivitäten erleichtern den Alltag. «Folgen Sie der Freude und der Lust», sagt Bosch. Beschäftigungen, die einem glücklich machen, sind von grosser Bedeutung.
Tipp 4: Zusammenarbeit planen
«In gemeinsamen Haushalten ist die Zusammenarbeit entscheidend», empfiehlt Bosch. Dabei komme es auf eine gute Absprache und faire Aufteilung von Tätigkeiten darauf an. Der Lockdown sei ausserdem eine gute Gelegenheit, festgefahrene Rollenverteilungen zu überdenken.
Tipp 5: Soziale Kontakte
Soziale Kontakte sollten weiterhin aufrechterhalten werden. «Hier zeigt sich eine sehr hilfreiche Verlagerung zu Videocalls, das fühlt sich mehr nach physischen Kontakten an als SMS und Telefon», rät Bosch. Videocalls werden auch zunehmend für Behandlungen an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich verwendet. Dafür wurde extra ein datensicheres Tool namens Psycure entwickelt, erklärt Bosch.
Tipp 6: Keine zu hohen Ansprüche
Auch der Druck, Dinge zu leisten, sei in dieser Zeit hoch. Man sollte laut Bosch seine Ansprüche drosseln: «Sie sollen gut und gesund durch diese Zeit kommen, und nicht Spitzenleistungen um jeden Preis erbringen.»
Tipp 7: Diverse Entspannungstechniken
Ebenso gibt es diverse Entspannungstechniken, die gegen Angst helfen können. «Dazu gehören die progressive Muskelrelaxation, autogenes Training, Biofeedback, aber ganz klar auch Achtsamkeitsübungen, Meditation und Yoga», zählt der Experte auf.
Eine kognitive Übung könne sein, irrationale von rationalen Angstanteilen zu unterscheiden und sich von den irrationalen nach Möglichkeiten zu distanzieren. Dann könne man sich um die rationalen Anteile kümmern, wie zum Beispiel Ansteckungsgefahren oder Kurzarbeit, und versuchen diesen mit entsprechenden Massnahmen schrittweise zu begegnen. «Das kann Kontrollgefühl zurückgeben und die Angst lindern.»