«Es ging alles ziemlich schnell. Auch wenn die Symptome zu Beginn vielleicht schleichend kamen, wurde es schnell sehr schwer», erzählt Nil (25) im Interview mit BLICK. Im Alter von 17 Jahren erkrankte sie an einer Depression. Sie hatte Angst, morgens nicht aus dem Bett zu kommen, Angst, den Tag nicht zu überstehen, fühlte sich antriebslos, war verschlossen und zog sich zurück. «Es war wie ein innerer Knoten, der sich einfach nicht lösen wollte.»
Depressionen im Jugendalter – sie sind immer noch ein Tabuthema. Und das, obwohl rund 13 Prozent der 15- bis 24-jährigen Schweizerinnen und Schweizer davon betroffen sind. Die Krux ist, dass Depressionen bei Jugendlichen nicht immer einfach zu erkennen sind. Gerade in der Pubertät sind Stimmungsschwankungen nichts Ungewöhnliches und gehören zum Teenagerdasein doch irgendwie dazu. Auch die Abgrenzung gegenüber den Eltern ist in dieser Phase in den meisten Fällen eine normale und gesunde Reaktion. Aber eben nicht immer.
Depression ist nicht gleich Pubertät
Doch auch wenn die Symptome vielleicht schwierig einzuschätzen sind, warnt Prof. Dr. med. Michael Kaess, Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bern, davor, Depressionen und Pubertät zu vergleichen. «Eine Depression kann eigentlich nicht so einfach mit pubertärem Verhalten verwechselt werden. Bei einer klassischen Depression sind die Symptome fast gegenteilig zum Verhalten, das Jugendliche normalerweise zeigen. Die meisten Jugendlichen haben Freude am Leben, Antrieb und viele Interessen.» Ein Grund, weshalb Pubertät und Depression oft verwechselt werden, ist, dass sich das Risiko, an einer zu erkranken, mit dem Eintritt in diesen Lebensabschnitt erhöht.
Symptome können je nach Alter und Geschlecht variieren
Eine Jugenddepression kann sich je nach Alter verschieden äussern. Bei jüngeren Kindern bis zu sechs Jahren etwa zeigt sie sich oft durch erhöhte Ängstlichkeit, durch körperliche Beschwerden, durch heftige Temperamentsausbrüche und Verhaltensprobleme wie Aggressionen oder rebellisches Verhalten. Sind die Kinder bei der Diagnose älter, kommen vermehrt Symptome wie mangelndes Selbstbewusstsein, Schuldgefühle und Hoffnungslosigkeit zum Vorschein. Eine starke und dauerhafte Gereiztheit kann ebenfalls Anzeichen einer Depression sein.
Mädchen sind öfter betroffen als Jungen. Die Symptome unterscheiden sich im Hinblick auf das Geschlecht oftmals. Während junge Frauen eher zu Rückzug und selbstverletzendem Verhalten neigen, verstossen junge Männer gegen Regeln oder verhalten sich risikoreicher und impulsiver, als sie es sonst tun würden. Prof. Kaess warnt dennoch vor Genderstereotypen; es gibt durchaus auch Mädchen, die sich aggressiv und impulsiv verhalten. Junge Frauen entwickeln jedoch tatsächlich oft früher und häufiger Depressionen als ihre männlichen Altersgenossen.
Trotz ihrer Häufigkeit werden psychische Erkrankungen nach wie vor oft stigmatisiert. Das erfuhr auch Nil durch ihre eigene Depression. Vor kurzem rief sie deshalb den Instagram-Kanal «noedallei» ins Leben, auf dem sie selbst produzierte Video-Porträts von Jugendlichen mit psychischen Problemen postet. Mit ihrer Social-Media-Kampagne möchte Nil Betroffenen in schweren Zeiten helfen und sie ermutigen, offen über ihre Geschichte zu reden.
Stress kann eine Depression auslösen
Wie bei allen psychischen Erkrankungen lässt sich auch eine Depression nicht im Blut oder im MRI nachweisen. Sie wird über die Symptome diagnostiziert. Ausschlaggebend dabei ist der Faktor Zeit. Sollte sich ein Jugendlicher mindestens zwei Wochen am Stück von Freunden, Schule, Familie zurückziehen, seine Freizeitaktivitäten vernachlässigen und ungewohnt bedrückt sein, so kann von einer depressiven Phase ausgegangen werden.
Oft gibt es nicht den einen Grund, der als Auslöser für die Depression festgemacht werden kann. In der Entstehung sind meist drei Faktoren ausschlaggebend. Zum einen die biologischen, also die genetische Disposition oder biochemische Prozesse im Hirn. Zum anderen die psychischen. Dazu gehören negative Denkmuster oder geringe soziale Fähigkeiten. Als Letztes zählt man die sozialen Faktoren wie die familiäre Situation oder generell die Lebensumstände.
«Eine Depression entsteht immer vor dem Hintergrund einer Interaktion von Biologie und Umwelt», erklärt Prof. Kaess. Und sei es nun im Jugendalter oder bei Erwachsenen, jede Art von Lebensereignis, die Stress auslöst, kann im Endeffekt zu einer Depression führen. Das können familiäre Probleme sein, Trennungen, Todesfälle, aber auch Mobbing oder schwerwiegende Konflikte.
Bei Nil führten familiäre Probleme zur Depression: «Das kam einfach so, die Situation hat mir den Boden unter den Füssen weggerissen.»
Medien und Depression
Eine nicht zu unterschätzende Gefahr für das psychische Wohlbefinden sind Smartphones. Ein Beispiel dafür wäre Cybermobbing. In einer Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften aus dem Jahr 2018 gaben 23 Prozent der befragten Jugendlichen an, bereits erlebt zu haben, im Internet gemobbt worden zu sein.
Das permanente Vor-dem-Bildschirm-Kleben hat aber noch weitere negative Effekte. Anstatt sich draussen mit ein paar Freunden zu treffen, ist man heutzutage in ständigem Kontakt mit ein paar Hundert, das aber aus den eigenen vier Wänden heraus. Prof. Kaess erklärt: «Generell gesagt sind exzessive Internetnutzung und Depression zumindest assoziiert. Viele depressive Jugendliche ziehen sich zurück und fangen häufig an, masslos Medien zu nutzen. Wir wissen aber auch, dass eine exzessive Mediennutzung wiederum zu depressiven Symptomen führen kann.»
Auch Nil kann sich einen Zusammenhang vorstellen, beispielsweise wenn sich Jugendliche mit scheinbar perfekten Profilen und schlanken Menschen, die sich in den sozialen Medien präsentieren, vergleichen. Doch sie hebt auch Vorteile wie Selbsthilfegruppen hervor, so wie ihre eigene Kampagne «noedallei». «Egal, was du hast, da sind Leute, die für dich da sind und das Gleiche durchgemacht haben wie du.»
Psychotherapie oft erste Wahl
Die Therapie einer Jugenddepression unterscheidet sich indes nicht gross von derjenigen von Erwachsenen. Bei leichten Störungen reicht oft eine Gesprächstherapie aus, in schwereren Fällen wird diese gegebenenfalls mit Medikamenten unterstützt. Auch ein stationärer Aufenthalt kann in gewissen Fällen hilfreich sein. Dennoch ist die erste Wahl oft die Psychotherapie. Psychopharmaka wirken oft schlechter bei jüngeren Menschen als bei Erwachsenen. «Extrem wichtig sind ein unterstützendes Umfeld und eine gute Mitarbeit der Eltern während der Therapie», erklärt Prof. Kaess.
Nil wurde von der Schulpsychologin zum Psychiater geschickt. Er konnte ihr in den Gesprächen helfen. «Er hat mir geholfen, ein paar Sachen klar zu sehen.» Dennoch gibt es bis heute Triggerpunkte, die Panikattacken auslösen können. «Ganz weg ist es nicht», so Nil.
Für Menschen in persönlichen Krisen gibt es rund um die Uhr Anlaufstellen.
Das sind die Wichtigsten:
Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Nummer 143
Beratungstelefon Pro Juventute: Nummer 147
Weitere Infos erhalten Sie bei: www.reden-kann-retten.ch
Adressen für Menschen, die einen Menschen verloren haben: www.verein-refugium.ch
Perspektiven nach Verlust eines Elternteils: www.nebelmeer.net
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