BLICK-Redaktorin (19) über ihre Handysucht
Täglich 6 Stunden und 44 Minuten am iPhone

Jeder zweite Schweizer hat das Gefühl, zu oft auf sein Smartphone zu schauen. Ich bin eine von ihnen. Mein Name ist Emilie, ich bin 19 und im Durchschnitt täglich 6 h und 44 min mit meinem Handy beschäftigt.
Publiziert: 03.02.2019 um 22:12 Uhr
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Aktualisiert: 27.07.2020 um 09:05 Uhr
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Ich, Emilie Jörgensen (19), verbringe im Durchschnitt 6h und 44min mit meinem Handy. Zeit, mir Hilfe zu holen!
Foto: Jessica Keller
Emilie Jörgensen

Ich habe ein Problem. Die Funktion «Bildschirmzeit» auf meinem iPhone sagt es mir. Sie misst in Echtzeit, wie oft ich mein Smartphone benutze: Im Schnitt sind es täglich 6 h und 44 min. Bin ich handysüchtig? Um meine Frage zu beantworten, mache ich einen Online-Test auf der Homepage der Zürcher Suchtprävention.

Das Ergebnis: «Sie nutzen Online-Anwendungen intensiv und verbringen einen grossen Teil Ihrer Freizeit im Netz. (...) Wenden Sie sich am besten an eine Fachstelle und sprechen Sie mit einer Fachperson über Ihr Problem.» Kurz: Ich brauche Hilfe – aber, wo gibt es ­diese überhaupt? Meine Antworten suche ich im Internet, wo sonst. Vorgeschlagen wird mir vieles, vor allem Unnötiges, wie: Deaktivieren Sie den Fingerscan und über­legen Sie sich einen mühsamen ­Zugangscode, damit es Sie erst ­richtig nervt, überhaupt erst das Handy zu aktivieren. Ich rufe bei Apple in der Filiale an der Zürcher Bahnhofstrasse an – die sind ja indirekt für diese Funktion verantwortlich, irgendwie, und ­frage nach Tipps.

Lena*: Willkommen im Apple-Store Bahnhofstrasse. Bitte wählen Sie eine der folgenden Optionen: Für Öffnungszeiten und eine Wegbeschreibung drücken Sie die 1. (...) Für alle anderen Fragen drücken Sie bitte die 5.

Mein Problem gehört wohl zu «alle anderen Fragen», also die 5. Ich warte, bis ich nach 6 Minuten und 11 Sekunden aus der Leitung gehauen werde. Kein Wunder, dass ich laut Internet handysüchtig bin, wenn die Warteschlangen so lange sind. Ich versuche es nochmals. Dieses Mal dauert es, zum Glück, nur 2 Minuten und 47 Sekunden, bis ich aus der Leitung geschossen werde.

Ich recherchiere weiter und finde eine Beratungsstelle für Suchtfragen.
Nach 25 Sekunden geht jemand ran:

Tom*: Suchtberatung Bezirk ­Dietikon, hier ist Tom.

Emilie: Grüezi, ich habe eine Frage, und zwar habe ich ­einen Online-Selbsttest wegen meines Handykonsums gemacht. Dabei ist herausgekommen, dass ich handysüchtig bin, und in der Empfehlung stand, ich sollte mir Hilfe holen. Was mache ich jetzt?

Tom: Naja, in erster Linie müssen wir halt gucken, wie Ihr Handykonsum aussieht. Wie oft Sie surfen, was und wo Sie surfen.

Emilie: Kann ich nicht selber etwas machen, damit es auch ohne Beratung gehen würde?

Tom: Ja, das können Sie auch. Am besten führen Sie für eine Woche ein Tagebuch und schauen dann, wann und wie lange Sie auf den verschiedenen Apps sind. Sind Sie denn auf Facebook?

Emilie: Ja auch. Aber ich kann selbst auf meinem iPhone ­sehen, wie oft ich das Handy verwende.

Tom: Und was steht denn da genau?

Emilie: Fast sieben Stunden.

Tom: Uiuiui, ja, das ist wirklich viel. Welche Apps nutzen Sie denn am meisten?

Emilie: Netflix und Instagram.

Tom: Und was schauen Sie auf Netflix?

Emilie: Ich schaue meist Serien wie « Gossip Girl» oder Dokumentationen über Serienkiller – kommt halt ganz auf meine Stimmung an. Ich bin halt viel mit dem ÖV unterwegs .

Tom: Uiuiui, da bekommen Sie doch kleine Äugchen, wenn Sie diese Filmchen schauen! ­Haben Sie denn schon körper­liche ­Beschwerden?

Emilie: Nein, alles gut.

Tom: Versuchen Sie es doch mal mit einer Alternative, mit einem Buch. Oder haben Sie Hobbys? Haben Sie früher Briefmarken gesammelt?

Emilie: Romane sind nicht so mein Ding.

Tom: Sie können natürlich auch einfach aus dem Fenster schauen.

Emilie: Stimmt, könnte ich­ ­eigentlich ...

Tom: Also wenn die Folgen nicht so schlimm sind, dann versuchen Sie es mal mit einer Handy-Diät. Überlegen Sie, worauf Sie verzichten können. Am besten mit dem Tagebuch. Bekommen Sie denn Entzugserscheinungen, wenn Sie das Gerät nicht bei sich haben?

Emilie: Nein, eigentlich nicht. Wenn’s sein muss, komme ich auch mal ohne Handy aus.

Tom: Oder beginnen Sie doch ­damit, Briefmarken zu sammeln (lacht).

Emilie: Haha, guter Witz.

Nach dem Gespräch habe ich eine bessere Idee. Mein Problem leuchtet schwarz von meinem Display: Netflix. Ich schaue vor dem Einschlafen immer gerne einen Film auf Französisch, am besten mit Untertiteln. Da schlafe ich gleich freiwillig ein. Also frage ich beim Kundenservice des Streamingdienstes direkt nach.

Nach 5 Minuten und 43 Sekunden in der Warteschleife meldet sich ­jemand:

Emilie: Grüezi, mein Name ist Emilie Jörgensen, und ich habe eine Frage. Ich habe auf meinem iPhone gesehen, dass ich viel Zeit auf Netflix verbringe. Können Sie mir Tipps geben, wie ich das ­ändern kann?

Leo*: Also Sie wollen jetzt von mir wissen, was Sie machen müssen, weil Sie zu viel Zeit auf Netflix verbringen?

Emilie: Ja, genau.

Leo: Ehm, ja nee, also haben Sie schon versucht, sich selber einzuschränken?

Emilie: Gibt es dafür eine Funktion auf der App?

Leo: Also auf der App gibts das nicht, und ansonsten würde ich sagen müssen, dass Sie da selber versuchen, sich einzuschränken.

Emilie: Okay, und wie mache ich das am besten?

Leo: Schon mal versucht, die App einfach zu löschen? Oder sich mit dem Wecker einen Zeitraum setzen?

Emilie: Bis jetzt nicht, nein.

Leo: Das würde ich mal versuchen und dann versuchen, sich selbst zu beschränken.

Emilie: Okay, danke für Ihre Hilfe!

Ich glaube, es ist Zeit für richtige Hilfe. Die Psychologie soll es richten. Also melde ich mich bei der Universitären Psychiatrischen Klinik Basel. Renanto Poespodihardjo ist Leitender Psychologe auf der Abteilung Verhaltenssüchte Stationär, wo auch Handysucht behandelt wird.

Emilie: Grüezi, ich bin laut Online-Selbsttest handysüchtig. Was mache ich jetzt?

Renanto Poespodihardjo: Wie viel Zeit verbringen Sie denn mit dem Gerät?

Emilie: Im Durchschnitt sind es fast sieben Stunden.

Renanto Poespodihardjo: Dass Sie sieben Stunden mit ­Ihrem Handy verbringen, sagt nichts über eine Sucht aus. Es gibt einen Unterschied, ob Sie sieben Stunden Games spielen oder sieben Stunden an Ihrer Masterarbeit schreiben.

Emilie: Ich bin also nicht ­handysüchtig?

Renanto Poespodihardjo: Das weiss ich nicht, vielleicht schon. Diese sieben Stunden geben keine Aussage über Ihr Verhalten, aber es kann ein Hinweis auf eine Sucht oder ein Verhaltensproblem sein.

Emilie: Was ist denn, wenn ich finde, dass es zu viel ist? Beispielsweise dass ich von sieben Stunden auf drei herunter will?

Renanto Poespodihardjo: Dafür brauchen Sie ein Motiv, um sagen zu können, warum Sie es runterschrauben wollen.

Emilie: Ich finde einfach, dass sieben Stunden zu viel sind.

Renanto Poespodihardjo: Dann haben Sie auch das Motiv. Und so können Sie sehen, welche Inhalte dieser sieben Stunden zu viel sind. Sind es Apps, Filme, Games oder etwas ganz anderes?

Emilie: Ich habe es aber auch gerne bei mir, falls ich etwas wissen oder in Kontakt sein will.

Renanto Poespodihardjo: Heute hat man diesen sofortigen Zugriff auf Wissen. Aber man stellt das Wissen nicht mit eigener Erfahrung, sondern mit einem fertigen Text aus dem ­Internet zusammen. Damit es subjektiv bleibt, müssen Sie versuchen, nicht sofort auf externes Wissen zuzugreifen, sondern sich vielleicht selber mal den Kopf über etwas zerbrechen.

Emilie: Und was ist mit meinen sozialen Kontakten?

Renanto Poespodihardjo: Sie dürfen das Handy ­natürlich nicht von heute auf morgen einfach für drei Wochen weglegen. Denn dann fangen Sie an zu trauern. Wenn Sie wirklich handylos sein wollen, müssen Sie das vorerst kommunizieren.

Emilie: Das werde ich gleich versuchen.

Renanto Poespodihardjo: Machen Sie das, ich wünsche Ihnen viel Erfolg!

Und wenn das nicht klappt, fange ich an, Briefmarken zu sammeln.

* Namen von der Redaktion geändert

Digital Detox: Kampf gegen Handy-Sucht

Immer online, nie wirklich «da»? Man kann sich fragen: Wie erreichbar muss man wirklich sein? Oder: Macht man sich unnötigen Druck bei der sozialen Selbstdarstellung? Der «Digital Detox»-Trend setzt auf die temporäre Handy-Nulldiät – und dies vor allem für die Gesundheit!

MOBILTELEFON, HANDY, SMARTPHONE, TELEFON, KOPFHOERER, ZUG, ZUGREISENDE, S-BAHN, JUGENDLICHE, TEENAGER,  PENDELN, PENDLER, PENDELVERKEHR,
Bei den Social Media geht es vor allem darum, seinen eigenen Stellung in der Gesellschaft bestätigt zu sehen.
Keystone

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3 Fragen zur Handysucht

Wie stelle ich eine Handysucht fest?

Die Website der Zürcher Fachstelle für Suchtprävention bietet einen Gratis-Test an, mit dem man sich ­einen ersten Überblick verschaffen kann.

Wo finde ich Hilfe?

Fachstellen für Suchtanfragen gibt es in ­jedem Kanton. Am besten erkundigt man sich im Internet und meldet sich dann beim entsprechenden Kanton, der meist auch kostenlose Beratungsgespräche anbietet.

Was kann ich selber machen?

Einfache Tipps, wie das Handy mal auszuschalten, penetrante Chatgruppen zu verlassen oder auch das Entfernen von Klingeltönen, sind nicht zu unterschätzen. Die Funktion «Bildschirmzeit» auf dem iPhone bietet ausserdem ­weitere Funktionen wie «Auszeit», wo bildschirmfreie Zeiten ­eingeplant werden können. Mit «App-­Limits» kann zudem eine limitierte Zeit für gewisse Apps fest­gelegt werden.

Wie stelle ich eine Handysucht fest?

Die Website der Zürcher Fachstelle für Suchtprävention bietet einen Gratis-Test an, mit dem man sich ­einen ersten Überblick verschaffen kann.

Wo finde ich Hilfe?

Fachstellen für Suchtanfragen gibt es in ­jedem Kanton. Am besten erkundigt man sich im Internet und meldet sich dann beim entsprechenden Kanton, der meist auch kostenlose Beratungsgespräche anbietet.

Was kann ich selber machen?

Einfache Tipps, wie das Handy mal auszuschalten, penetrante Chatgruppen zu verlassen oder auch das Entfernen von Klingeltönen, sind nicht zu unterschätzen. Die Funktion «Bildschirmzeit» auf dem iPhone bietet ausserdem ­weitere Funktionen wie «Auszeit», wo bildschirmfreie Zeiten ­eingeplant werden können. Mit «App-­Limits» kann zudem eine limitierte Zeit für gewisse Apps fest­gelegt werden.

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