SonntagsBLICK: Die erste Frage geht an den Menschen Thomas Cerny: Wie haben Sie reagiert, als Sie Francine Jordi mit kurzen Haaren im BLICK gesehen haben?
Thomas Cerny: Das ist mir natürlich sehr vertraut, wenn die Haare wieder spriessen nach einer Chemotherapie. Und ganz spontan: Diese kurzen Haare machen Francine Jordi jugendlich-sportlich, sympathisch echt und attraktiv.
Und wie beurteilt der Krebsarzt Cerny den bisherigen Krankheitsverlauf der beliebten Sängerin?
Von aussen gesehen verläuft alles nach Plan. Das ist sehr erfreulich. Sie hat offenbar alles trotz Strapazen gut überstanden, eine aktive und positive Einstellung zu ihrem Schicksal gefunden. Therapeutisch hat sie alles Sinnvolle gemacht, um jetzt eine hohe Heilungschance erwarten zu dürfen.
Trotzdem: Was geht in einer 40-jährigen Frau vor, die mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert wird?
Es ist immer ein brutaler Schock, meistens ist es der erste Kontakt mit einer direkt fühlbaren Lebensbedrohung. Plötzlich ist die Angst vor Leiden und Verlust da. Das reisst einer jungen Frau den Boden unter den Füssen weg. Man fühlt sich hilflos. Hier ist es sehr wichtig, dass rasch eine Klärung erfolgt über das weitere Vorgehen. So kann die Patientin wieder Tritt fassen.
Neue Statistiken zeigen, dass junge Frauen mit Brustkrebs bessere Überlebenschancen haben, wenn die Krankheit früh erkannt wird. Umgekehrt heisst es immer noch, jung an Krebs zu erkranken, sei gefährlich. Was stimmt jetzt?
Egal, ob wir jung oder älter sind bei der Diagnose: Je früher im Krankheitsverlauf wir die Diagnose stellen können, desto besser sind die Behandlungs- und Heilungschancen. Das gilt generell für Krebs. Allerdings ist es tatsächlich so, dass gerade bei Brustkrebs von jüngeren Frauen aggressivere Formen häufiger auftreten. Generell kann man sagen: Es ist wichtig, dass noch gesunde Frauen lernen, erste Symptome der Krankheit zu erkennen. Kampagnen der Krebsliga, an welchen sich auch Francine Jordi beteiligte, sind ein wichtiger Beitrag. Vielleicht hat ihr das am Ende auch selber geholfen.
Der Brustkrebs ist trotz Fortschritten immer noch ein Gespenst. Was hat sich in der Behandlung in den letzten Jahren verändert?
Diagnose wie auch Therapie haben sich verbessert. Immer mehr Frauen können brusterhaltend geheilt werden, oder sie können über viele Jahre mit viel Lebensqualität gut behandelt werden. Aber natürlich wollen wir viel mehr erreichen – dafür braucht es die Krebsforschung.
Wie kann eine Patientin lernen, trotz dieser Bedrohung weiterleben zu können?
Das Damoklesschwert «Tod» kreist über uns allen. Nur verdrängen wir, was passieren kann. Aber beim Ausbruch von Krebs kriegt diese Angst plötzlich ungefragt einen Namen. Dahinter verbergen sich viele Vorurteile und Ängste, aber auch wichtige Chancen. Das Positive daran ist, dass wir jäh aus dem Alltag erwachen und merken, wie wichtig und grossartig das endliche Leben ist. Wir beginnen, uns auf das Wesentliche und Wichtige zu konzentrieren. So können wir Ballast abwerfen. Bei Francine Jordi hat man den Eindruck, dass sie persönliche Antworten gefunden hat, wie sie mit dieser Belastung umgehen kann.
Wie erklärt ein Arzt einer Patientin, dass sie Brustkrebs hat?
Die Diagnoseeröffnung gehört zu den schwierigsten ärztlichen Aufgaben überhaupt. Sie fällt einem auch mit viel Erfahrung nicht wirklich leichter. Entlastend wirkt hier, dass wir heute viel bessere und verträglichere Therapien zur Verfügung haben. Wir dürfen häufiger eine Heilungschance oder zumindest eine längerfristig bessere Lebensqualität erwarten als noch vor wenigen Jahren. Wichtig für die Patientin ist, dass sie alle Informationen über das weitere Vorgehen bekommt – welches zum Beispiel die ersten Schritte sind und welche folgen.
Der behandelnde Arzt sagte Francine Jordi, so eine Therapie sei kein Spaziergang. Hätten Sie es auch so gesagt?
Es ist eine geläufige Redensart. Sie besagt, dass eine kombinierte Therapie mit Operation, Chemotherapie und Bestrahlung eine Belastung ist und an den Kräften zehren wird. Es ist wichtig, dass wir offen und realistisch kommunizieren. Das wurde hier sicherlich gemacht. Jeder Mensch ist anders, und wir wählen bei einem jungen Menschen andere Worte als bei einem älteren Menschen. Wichtig ist, dass die Informationen ausreichend und wahr sind und immer zeitgerecht erfolgen.
Viele fragen sich: Wie schaffte es Francine Jordi, trotz Chemotherapien und Bestrahlungen auf der Bühne zu stehen?
Die Behandlungen haben sich heute verbessert. Viele Medikamente sind verträglicher geworden. Nicht jeder Mensch reagiert gleich. Vielleicht hat sie einen Weg gefunden, trotz Nebenwirkungen Auftritte zu bewältigen. Das Singen gab ihr vielleicht zusätzlich Kraft und ist ein starkes Ja zu ihrem Leben als Künstlerin.
Francine Jordi trug im vergangenen Jahr eine Perücke, sah aber erstaunlich gesund aus. Haben wir ein falsches Bild von Krebs?
Ja, wir sind stark kulturell geprägt. Der Krebs bedeutete für unsere Grosseltern immer noch Leiden, Sterben, Tod, auch Strafe Gottes – und er war gesellschaftlich ein Tabu. Vieles hat sich verändert, aber kollektive Prägungen halten sehr lange an. Ich habe viele Menschen erlebt, welche trotz Krebs ihr Leben unverändert weitergeführt haben und auch im öffentlichen Leben sichtbar blieben. Es ist deshalb für uns alle auch wichtig, dass Menschen wie Francine Jordi zu ihrer Krankheit in der Öffentlichkeit stehen. So bezeugen sie, dass diese Krankheit nicht einfach das Leben zerstört. Man kann mit diesem Schicksal erfolgreich weiterleben.
Ab welchem Alter raten Sie zu einer Mammografie?
Hier spielt die individuelle Risikosituation einer Frau eine wichtige Rolle. Massgebend sind Faktoren wie Familienbelastung, Hormonbehandlung, ethnische Abstammung, Rauchen, Übergewicht oder auch wie viele Kinder eine Frau geboren hat. Wenn keine besonderen Risiken bestehen, empfehle ich das organisierte Mammografie-Screening ab 50 Jahren.
Müssen wir uns daran gewöhnen, dass Krebs zu unserem Leben gehört?
Ja, definitiv. Und das paradoxerweise immer mehr, trotz grösseren Erfolgen. Der Grund ist einfach: Wir leben immer länger, und das Risiko, an Krebs zu erkranken, wird so immer grösser.
Und was können wir selber dazu beitragen, dass wir weniger an Krebs erkranken?
Dazu gehört in erster Linie, konsequent aufs Rauchen zu verzichten. Regelmässige Bewegung und ein altersentsprechend angepasstes Körpergewicht helfen auch. Auch der tägliche Konsum von Gemüse und Früchten, Zurückhaltung bei gepökeltem oder rotem Fleisch und mässiger Alkoholkonsum sind ratsam.
Glauben Sie, dass Francine Jordi gestärkt aus diesem Schicksalsschlag hervorgehen kann?
Ja, es spricht alles dafür. Sie wird von uns künftig als zwar verletzliche, sensible, aber auch selbstbewusste Persönlichkeit wahrgenommen. Sie wird als Mensch und Künstlerin zusätzlich an Profil gewinnen.