Auf einen Blick
Mundgeruch ist in vieler Munde, doch kaum jemand spricht darüber. Studien legen nahe, dass rund jede vierte Person in der Schweiz teilweise oder permanent aus dem Mund riecht. Trotzdem ist Halitosis – so der Fachbegriff – ein Tabuthema. Betroffene sind oft psychisch stark belastet und sozial isoliert. Sogar die Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen, sei hoch, sagt Andreas Filippi (61), Professor für Zahnmedizin. Der Experte für Halitosis – so der medizinische Name für Mundgeruch – entlarvt Mythen und erklärt, warum ein Übermass an Mundhygiene kontraproduktiv sein kann.
Andreas Filippi, warum merken Betroffene nicht, dass sie Mundgeruch haben?
Unser Geruchssinn gewöhnt sich rasch an ständig vorhandene Geruchsmoleküle. Den Beweis dafür liefern Schönwettertage im Sommer. Ozon ist ein eigentlich stechend riechendes Gas, aber unsere Nase bemerkt hohe Ozonbelastung nicht, weil sie sich an den Geruch gewöhnt hat, der im Sommer die ganze Zeit vorhanden ist.
Gibt es Möglichkeiten, um selbst festzustellen, ob man Mundgeruch hat?
Die sicherste Variante wäre, jemanden zu fragen. Wer sich dazu nicht überwinden kann, versucht die Airbag-Methode: Man nimmt einen geruchsfreien Plastiksack, der ein Volumen von mindestens sieben Litern fasst, hält ihn sich vor den Mund, atmet normal durch die Nase ein und durch den Mund aus. Der Sack wird also nicht wie ein Luftballon mit Nachdruck aufgeblasen, wir wollen normale Atemluft sammeln. Wenn der Sack voll ist, verschliesst man ihn fest und geht kurz raus an die frische Luft oder schnuppert an Kaffeepulver, um die Geruchsrezeptoren freizubekommen. Anschliessend kann man die Atemluft aus dem Sack vor der Nase ausdrücken und hat so eine Chance, festzustellen, ob man gerade Mundgeruch hat. Die Methode bedingt freie Nasenrezeptoren, bei einer Erkältung funktioniert sie nicht.
Sie sagen, dass das Umfeld den Mundgeruch oft vor den Betroffenen wahrnimmt. Sollte man das ansprechen?
Über diese Frage habe ich mich mit Psychologen ausgetauscht. Es gibt einen Satz, mit dem man das Thema auf respektvolle und nicht verletzende Weise ansprechen kann – unter vier Augen: «Es ist mir etwas unangenehm, aber ich möchte dir das trotzdem sagen, weil ich froh wäre, wenn mir das jemand sagen würde.» Der Ton macht die Musik.
Ist Mundgeruch immer ein zahnmedizinisches Problem?
Die Zähne selbst sind praktisch nie für Mundgeruch verantwortlich. Aber 90 Prozent der Ursachen für Mundgeruch entstehen im Mundraum und gehören somit in den zahnärztlichen Bereich.
Warum ist Mundgeruch sogar in Zahnarztpraxen ein Tabu?
Das liegt an fehlendem Know-how und fehlendem Interesse. Es gibt mehr als 200 verschiedene Ursachen für Mundgeruch, die manchmal in Kombination verantwortlich sind. Dafür kann man keine Standardtherapie verschreiben oder empfehlen. Wenn man für Mundgeruch eine Lösung finden will, muss man sich ein wenig auskennen.
Wie wird Mundgeruch in einer Praxis getestet?
Die Abklärung beginnt bereits vor dem Termin. In der Regel erhält man einen Fragebogen, den man schriftlich beantworten kann, per Post oder E-Mail.
Gibt es Mythen rund um Mundgeruch, die Sie entkräften möchten?
Unbedingt. Denn es halten sich wirklich lustige Ideen als Mythos. Dass Mundgeruch im Magen entsteht, glauben immer noch viele Menschen. Deswegen versuchen sie, sich mit Mitteln wie Heilerde oder Chlorophyll zu helfen. Es gibt zwar Fälle, in denen der Mundgeruch nicht im Mund-Rachen-Bereich entsteht, jedoch sind sie sehr selten. Trotzdem gehen leider mehr Menschen mit Mundgeruch zur Magenspiegelung als zum Zahnarzt. Auch der Mythos vom Zungenschaber hält sich hartnäckig.
Was ist am Zungenschaber nicht gut?
Er nützt nichts. Stellen Sie sich vor, Sie schütten Asche auf einen Teppich und dann versuchen Sie, den Teppich mit einem Schneeschieber zu reinigen. So etwa können Sie sich die Wirkung eines Zungenschabers vorstellen. Halitosis verursachende Bakterien sitzen gut versteckt in der rauen Oberfläche der Zunge. Da kommt nur eine spezielle Zungenbürste ran, die man mit einer Zungenpaste ergänzen kann.
Geht auch die normale Zahnbürste?
Das würde ich nicht empfehlen. Denn um die Bakterien zu erreichen, die Mundgeruch verursachen, muss man hinten auf der Zunge putzen und nicht an der Zungenspitze. Dort kann eine Zahnbürste aufgrund ihrer hohen Form Brechreiz verursachen.
Gibt es auch ein Zuviel an Mundhygiene, die dem Bakterienhaushalt im Mund schadet?
Die langfristige oder gar dauerhafte Verwendung von Mundspülungen kann das Mikrobiom aus dem Gleichgewicht bringen.
Mundspüllösungen können also Mundgeruch verschlimmern?
Die ursprüngliche Idee einer Mundspüllösung war es, über einen limitierten Zeitraum hinweg eine mikrobiologisch entgleiste Situation im Mundraum in den Griff zu kriegen – zum Beispiel bei einer Entzündung. Sie eignet sich jedoch nicht zur Bekämpfung von Mundgeruch im Alltag. Ich erreiche mit einer Mundspülung die falschen Bakterien, und wenn ich diese eliminiere, haben Bakterien, die Mundgeruch verursachen, mehr Platz, um sich auszubreiten. So kann es zu einer Verschiebung des Mikrobioms im Mund kommen, was Mundgeruch sogar noch fördern kann.
Wie viel Mundhygiene braucht es täglich?
Ich wäre schon glücklich, wenn alle Menschen dreimal am Tag ihre Zähne und Zahnzwischenräume reinigen würden. Kombiniert mit einer regelmässigen professionellen Zahnreinigung sowie der jährlichen Zahnarztkontrolle ist bereits viel erreicht.
Welche weiteren Möglichkeiten hat man, um Mundgeruch vorzubeugen?
Die Ernährung ist ein wichtiger Faktor. In erster Linie hilft es, gegen Mundtrockenheit genügend Wasser zu trinken, 1,5 Liter am Tag oder mehr, bei heissen Temperaturen oder wenn man körperlich aktiv ist. Ausserdem sollte man ballaststoffreich essen.
Was haben Ballaststoffe mit Mundgeruch zu tun?
Ballaststoffe helfen auf mechanischem Weg, die Zunge zu reinigen, während wir kauen und schlucken. Eine Fleisch- und proteinreiche Ernährung fördert Mundgeruch, das weiss jeder, der mal die Atemluft eines fleischfressenden Tiers gerochen hat. Wenn daneben zu wenig oder gar keine Kohlenhydrate zugeführt werden, so wie dies in Low- oder No-Carb-Diäten der Fall ist, gerät der Körper in eine Ketose, was starken Mundgeruch verursacht.