Ende September warteten in der Schweiz 1398 Patienten auf ein Spenderorgan. Das zeigt eine bisher unveröffentlichte Statistik der Nationalen Stiftung für Organspende und Transplantation (Swisstransplant). Die Zahl schwankt seit Jahren zwischen 1300 und 1500 wartenden Personen.
Am häufigsten benötigt wird eine Niere, wie im Fall von Beat Bolliger und Carlo (siehe Porträts). Gefolgt von Leber und Herz. Bis eine Transplantation möglich ist, kann es mehrere Jahre dauern – im Schnitt sterben jede Woche zwei Menschen, weil ein passendes Organ fehlt. Für jeden zehnten Patienten, der auf ein neues Herz, eine Lunge oder eine Leber angewiesen ist, kommt jegliche Hilfe zu spät.
Die tiefe Spenderquote beschäftigt auch die Politik. Im März wurde eine Volksinitiative mit dem Vorschlag der Widerspruchslösung eingereicht. Dabei wird ein Schweigen als Zustimmung gewertet – nur ein expliziter Protest verhindert eine Entnahme. Derzeit funktioniert es noch andersrum. Am 13. September hat der Bundesrat einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative verabschiedet: Eine erweiterte Widerspruchslösung soll im Gesetz verankert werden.
Tiefe Spenderquote, hohe Spenderbereitschaft
Hat eine verstorbene Person zu Lebzeiten keine Entscheidung getroffen, müssen aktuell die Verwandten bestimmen. Für viele eine schwere Last, weiss Franz Immer, Direktor Swisstransplant: «Meist kennen die Angehörigen den Wunsch des Verstorbenen nicht und tun sich schwer, stellvertretend einzuwilligen.» Die Folge ist eine Ablehnungsrate von rund 60 Prozent. Zum Vergleich: In Frankreich und Österreich verbieten nur 25 Prozent der Angehörigen die Organentnahme.
Dabei wäre die Spendenbereitschaft in der Schweiz hoch. Zwei repräsentative Studien der Forschungsinstitutionen GfS Bern und Demoscope zeigen jetzt: Rund drei Viertel der Stimmbürger würden ihre Organe nach dem Tod zur Spende freigeben. Aber nur etwa die Hälfte davon hat diesen Willen dokumentiert.
Im Oktober 2018 hat Swisstransplant das Nationale Spenderregister eingeführt – der Entscheid kann seither online festgehalten werden. Bislang haben sich 65'396 Personen im Register eingetragen, diese aktuellen Zahlen liegen dem SonntagsBlick Magazin exklusiv vor. 59'269 Schweizer stimmen der Organspende zu, 3660 lehnen sie ab. 946 Personen wollen, dass eine Vertrauensperson entscheidet, und 1521 sind bereit, eine Auswahl an Organen, Gewebe und Zellen zu spenden.
Nierentransplantation ist in der Schweiz Routine
Wer eine neue Leber oder Niere braucht, hat einen entscheidenden Vorteil: Es besteht die Möglichkeit einer Lebendspende. Weil eine Lebendlebertransplantation mit vielen Risiken verbunden ist, wird sie selten durchgeführt. Beat Bolliger und Carlo hatten das Glück, einen geeigneten Spender in der Familie zu haben.
Die Ärzte Daniel Sidler und Guido Beldi erzählen von ihrem Alltag im Inselspital, dem Universitätsspital in Bern, einem der sechs Transplantationszentren in der Schweiz. Die Nierentransplantation gilt als Routineeingriff und wird hierzulande rund 150-mal pro Jahr durchgeführt – allein im Inselspital sind es jährlich 50 bis 60 Operationen.
Lebendspenden machen dabei rund einen Drittel aus. Komplikationen wie Blutungen oder Infektionen treten während des Eingriffs kaum auf. Operateure müssen vor allem eines mitbringen: viel Erfahrung. «Schliesslich hat man nur eine Chance», betont Chirurg Guido Beldi.
Körper kann die neue Niere abstossen
Die Prognose für die Spender ist normalerweise gut. Fünf bis zehn Prozent leiden in den ersten Monaten unter Müdigkeit und Schmerzen. Dass die verbleibende Niere irgendwann versagt, trifft auf deutlich weniger als ein Prozent zu. Anders beim Empfänger: Wehrt sich das Immunsystem gegen das neue Organ, bildet es Antikörper, und die Niere könnte abgestossen werden.
Die Ärzte können der Gefahr aber vorbeugen. Geeignete Medikamente dämmen das Risiko einer Abstossung. Mit Erfolg: 95 Prozent der Nieren funktionieren noch nach dem ersten Transplantationsjahr. «Langfristig kämpfen wir aber weiterhin mit Abstossungen. Hier stehen uns noch kaum wirksame Medikamente zur Verfügung», sagt der Nephrologe Daniel Sidler.
Regelmässige Nachkontrollen seien notwendig, denn: «Eine Abstossung kann ohne Symptome verlaufen.» Geht alles gut, funktioniert die transplantierte Niere bei einer Lebendspende 20 Jahre oder länger; stammt das Organ von einem Verstorbenen, sind es im Schnitt 13 bis 15 Jahre.