Gemäss dem Zürcher Schmerztherapeuten Jörg Stuckensen kommen Rückenschmerzen von einer Überdehnung der Rückenmuskeln. Diese könne am besten durch eine Entspannung und Streckung der Bauchmuskeln beseitigt werden. Er begründet dies mit den praktischen Erfahrungen, die er mit seinen Patienten macht. Hingegen bringe eine Kräftigung der Rückstrecker – wie sie Werner Kieser empfiehlt – nichts, denn im Zusammenspiel von Rücken- und Bauchmuskel gebe immer der Bauchmuskel den Ton an.
Werner Kieser – der vom Kieser-Training – widerspricht vehement: Muskuläre Ungleichgewichte könnten sehr wohl durch eine Kräftigung des Rückstreckers behoben werden. «An hunderttausenden von Trainierenden stellen wir fest, dass die Bauchmuskeln bei gleichem Training einen viel geringeren Kraftzuwachs erreichen als die Rückstrecker.» Damit, so Kieser weiter, nähern sich beide Muskelgruppen ihrer genetisch bedingten Endkraft, womit das Ungleichgewicht und die Ursache der Schmerzen behoben sei. Dies sei nur mit spezifischem Krafttraining möglich.
Operation dank Rückentraining vermeiden
Kieser zitiert eine Studie, wonach 344 von 388 Rückpatienten die angedrohte Operation durch ein gezieltes Rückentraining (mit den von Kieser verwendeten MedX-Geräten) vermeiden konnten. Die Studie erstreckte sich über zwei Jahre. Eine weitere Studie aus einem Fitnessstudio in Florida mit Bodybuildern, Footballspielern und Gewichthebern zeigte, dass diese Art von Training (Kniebeugen, Beinpressen) oft zu einer Dysbalance von starken Gesässmuskeln und schwachen Rückstreckern, und damit zu Rückenschmerzen führe.
So weit Kieser. Dazu meint Stuckensen, es gehe nicht um die Frage, welcher Muskel wie stark auftrainiert werden können. Entscheidend seien vielmehr die Beziehung zwischen den Muskeln untereinander und deren innere Spannungsverhältnisse. «Hier haben nicht nur die Nerven mitzureden, es geht auch um die ominösen Faszien.» Genau dies hält Kieser wiederum für einen nicht wissenschaftlich bewiesenen «Faszien-Hype, der nun offenbar auch Zürich erreicht hat».
«Erkenntnisse durch Beobachtungen entstanden»
Stuckensen gibt zu, dass betreffend der Funktion der Faszien noch viele Fragen offen seien. Die Faszien sind das Bindegewebe, das alle Muskeln und Sehnen aber auch die Knochen und Organe umhüllt und verbindet und dafür sorgt, dass diese miteinander kommunizieren können. Er (Stuckensen) habe nicht mit einer klaren Theorie angefangen. «Alle Erkenntnisse sind mehr oder weniger durch Beobachtung entstanden.» Zu diesen Erkenntnissen gehört offenbar auch, dass sich Rückenschmerzen durch Entspannung der Bauchmuskeln (Übungen hier) «meist innerhalb von wenigen Tagen» beheben lassen. Manchmal dauere es auch mehrere Wochen. Bis zum Abklingen der Schmerzen solle man weder die Bauch- noch die Rückenmuskeln trainieren, sondern bloss die Bauchmuskeln dehnen.
Also. Wer hat nun recht? Nun, wir können diese Frage nicht definitiv beantworten. Sicher scheint, dass Kieser näher beim Stand des etablierten Wissens ist. Muskelforschung ist eine alte Wissenschaft, Werner Kieser ist auf diesem Gebiet ein anerkannter Experte und die Wirkung seiner Rückenmaschine ist gut dokumentiert.
Wer hat nun recht?
Doch alte Wissenschaften werden immer wieder von neuen überholt oder ergänzt. So weiss man erst seit wenigen Jahren, dass sich Faszien unabhängig von den Muskeln zusammenziehen und Schmerzen auslösen können. Es könnte also etwa sein, dass Muskeltraining deshalb hilft, weil es die Faszien lockert. Damit hätte Stuckensen recht, Kieser aber nicht unrecht. Wir wissen es (noch) nicht genau.
Einen interessanten und leicht verständlichen Einblick in die Welt der Faszien gibt dieses YouTube-Video. Wer sich davon inspirieren lässt, sollte die Übungen von Stuckensen einfach mal ausprobieren. Erfahrungswissen kann schliesslich jeder und jede selbst sammeln.