Mit dem Schmerz ist es wie mit der Liebe oder dem Hunger. Jeder kennt das Gefühl, aber keiner weiss, wie es der andere gerade erlebt und empfindet. Im Alltag reden wir über Rückenschmerzen, Kopfweh, gerissene Sehnen oder über gebrochene Herzen. Wir können «etwas verschmerzen», erfahren manchmal «schmerzliche Wahrheiten» oder, wenn mit Herausforderungen konfrontiert, «bereitet uns etwas Kopfschmerzen».
Schon Friedrich Schiller (1759–1805) schrieb kurz vor seinem Tod in «Wilhelm Tell»: «Schmerz ist -Leben.» Leiden gehört zu unserem Dasein. Es hat so viele Gesichter, wie es Menschen gibt auf dieser Erde. Schmerz kann absehbar sein wie bei der werdenden Mutter vor einer Geburt. Er kann zermürbend sein wie ein ständig schmerzender Rücken. Er kann Treiber sein für künstlerisches Schaffen. Oder sogar als lustvoll empfunden werden.
Schmerz ist immer das, was ein Mensch als solchen empfindet. Diese Subjektivität löst sich nie auf. Die Internationale Vereinigung zur Schmerzforschung (IASP) definiert ihn so: «Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen beschrieben wird.» Schmerz ist eine körperliche Erfahrung. Aber, so die IASP weiter, «wenn sie als unangenehm empfunden wird, ist es auch eine emotionale Erfahrung».
Dass nur physische Schmerzen als solche gelten, ist eine überholte Ansicht. Der deutsche Journalist Harro Albrecht beschreibt den Schmerz im Buch «Schmerz – Eine Befreiungsgeschichte» als «Grenzfläche, an der Psyche und Körper aufeinandertreffen. Er ist Trennungsschmerz, Wundschmerz und psychische Verletzung durch Zurückweisung». Er sei Grundlage von Religionen und Motor der Kultur. «Ohne Schmerz keine Kunst, keine Sprache und kein Denken.»
Schmerz ist objektiv so wenig messbar wie Hunger oder Durst
Es gibt sie, die seltene Krankheit, keine Schmerzen empfinden zu können. Aber diese Menschen haben eine Lebenserwartung von gut 30 Jahren, weil sie ihren Körper nicht richtig einschätzen und deshalb nicht entsprechend auf Krankheiten und Verletzungen reagieren können. Albrecht: «Schmerzen sind ein wertvolles Warnsignal, und vollkommene Schmerzfreiheit kann nicht erstrebenswert sein.»
André Ljutow (59) leitet das Zentrum für Schmerzmedizin am Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil LU. Täglich bittet er Menschen, ihre Schmerzen auf einer Skala zwischen 0 und 10 einzustufen. «Es gibt solche, die sagen 12, um zu betonen, wie schlimm ihr Schmerz ist», sagt Ljutow. «Schlussendlich ist es ein Empfinden, das genauso wenig objektiv messbar ist wie Hunger oder Durst.» Es gebe zwar mittlerweile Verfahren, welche die Aktivierung von Hirnarealen bei Schmerzreizen offenlegen. «Aber sie zeigen nicht den Schmerz an sich und schon gar nicht die Deutung davon. Die Bewertung ist von Patient zu Patient unterschiedlich.»
In der Schweiz haben 16 Prozent der Bevölkerung – das sind 1,3 Millionen Menschen – chronische Schmerzen, Leiden also, die über einen Zeitraum von sechs Monaten andauern. Besonders verbreitet sind Rückenschmerzen, Kopf- und Nervenschmerzen, wie sie etwa bei Multipler Sklerose oder nach Querschnittlähmungen und Schlaganfällen auftreten. Solch chronische Schmerzen sind teuer: «Sie liegen bei weitem an der Spitze von allen gesundheitlichen Belastungen, wenn man die direkten medizinischen und indirekten Kosten, etwa für Arbeitsunfähigkeit, einbezieht», sagt Ljutow. Die Kosten für die sogenannten muskulo-skelettalen Erkrankungen übersteigen jene für Krebs, Demenz oder Diabetes. Sie schlagen jährlich mit 24 Milliarden Franken zu Buche.
«Viele leiden lange im Stillen und kommen sehr spät zu uns», sagt Ljutow. Im Durchschnitt warten Patienten 8,2 Jahre, bis sie in einem Zentrum wie Nottwil vorsprechen.
Die Wissenschaft rätselt, wie chronische Schmerzen entstehen
Und genau das ist gefährlich. Denn Schmerz hat ein Gedächtnis. Es ist ein Irrglaube zu denken, dass man sich an Schmerz gewöhnt, wenn man lange mit ihm lebt. Es ist gar das Gegenteil der Fall, sagt der Physiologe Thomas Nevian (43).
Er ist Co-Direktor des Instituts für Physiologie an der Universität Bern und Leiter einer Arbeitsgruppe, die sich mit der Entstehung chronischer Schmerzen beschäftigt. «Es gibt ein Gedächtnis für Schmerz. Das Gehirn lernt ihn auf die gleiche Weise, wie es Instrumente oder Sprachen lernt», sagt Nevian. Die Nervenzellen würden umgebaut, weil sie uns mit ihren Signalen zur Schonung zwingen wollen. «Die Schmerzfasern werden sensibler, um den Heilungsprozess zu fördern.»
Im Normalfall klingt diese Sensibilisierung nach der Heilung wieder ab. Weshalb das bei Patienten mit chronischen Schmerzen nicht der Fall ist, gehört zu den grossen offenen Fragen in der Wissenschaft. Hinzu kommt der Stellenwert in der Ärztelandschaft. In der Schweiz fehlt ein Fachausweis für Schmerzspezialisten. «Diese Anerkennung als selbständige medizinische Disziplin wäre sehr wichtig, damit man Schmerzpatienten gezielter helfen kann», sagt André Ljutow. «Viel zu oft wird Schmerz als Symptom und nicht als eigene Krankheit therapiert.»
«50 Shades of Grey» machte Schmerzen salonfähig
Der Umgang mit Schmerz ist noch immer mit vielen Mythen behaftet. Die Schmerzforscherin Amrei Wittwer (35) führt in ihrem soeben erschienenen Buch «Schmerz – Innenansichten eines Patienten und was die Wissenschaft dazu sagt» die wichtigsten auf. «Der Umgang im Abendland ist noch sehr von einer christlichen Mystik geprägt, die Schmerz als Annäherung an das Leiden Christi interpretiert», sagt Wittwer. «Wer Schmerz aushält, gilt als edel. Wer Schmerzmittel nimmt, als Warmduscher.»
Der Mega-Bestseller «50 Shades of Grey» hat diese Haltung noch befeuert: Lust durch Leiden. «Schmerzen können körpereigene Opioide freisetzen, die zu einem Lustgefühl führen», sagt Wittwer. «Man spürt sich und erlebt einen Rausch.»
Der Soft-Sadomaso-Schmöker machte Schmerz salonfähig und lustvoll. Solchen auszuhalten, solle nicht zur Norm werden, sagt die Pharmazeutin, die am Collegium Helveticum forscht. Sie plädiert für die Einnahme von Schmerzmitteln, wenn das Leiden akut ist. «Die bei Patienten verbreitete Tablettenfurcht ist schädlich.» Wenn man Schmerzen über einen Zeitraum von 72 Stunden nicht behandle, gebe es chronifizierende Prozesse.
Die sozialen Fallstricke sind wie der Schmerz unsichtbar
Gerade chronische Schmerzpatienten leiden unter der Unsichtbarkeit ihres Leidens. «Gesellschaftlich hat sich die Existenz von unsichtbarem Schmerz überhaupt noch nicht etabliert», sagt Wittwer. Ein Patient müsse konstant beweisen, dass er krank sei, wenn er kein sichtbares Leiden habe. Diese sozialen Fallstricke kann man wie den Schmerz nicht sichtbar machen.
Genau darüber will der Physiologe Thomas Nevian mehr wissen. «Denn wenn Schmerzen länger anhalten, kommt die emotionale Schmerzverarbeitung dazu», sagt er. «Es stellt sich die wichtige Frage, mit welchen Gefühlen man den Schmerz bewertet.» Das Ziel seiner Arbeitsgruppe sei es, herauszufinden, wieso chronischer Schmerz häufig zu Depressionen, Antriebslosigkeit, Abbruch von sozialen Kontakten und Lustlosigkeit führt. «Diesen Teufelskreis wollen und müssen wir durchbrechen.»
Wie entstehen Schmerzen?
Durch Einflüsse von aussen – wie Hitze, Kälte oder Druck – oder durch krankhafte Prozesse im Körperinneren. Verletzt man sich zum Beispiel bei der Gartenarbeit oder beim Wandern durch einen Misstritt am Knöchel, entstehen dort chemische Reizstoffe. Dadurch werden kleine Sinneszellen gereizt, die sich an den Enden der Nerven befinden. Von diesen «Schadensfühlern» aus wird die Schmerz-Information in Form von elektrischen Strömen bis ins Rückenmark geleitet. Hier werden die Schmerzsignale in chemische Botenstoffe umgewandelt. Diese übertragen die Schmerzimpulse ins zentrale Nervensystem und von dort ins Gehirn. Hier befindet sich die zweite Umschaltstelle der Reizübertragung. Denn erst, wenn die Schmerzimpulse hier im Gehirn ankommen, können wir die schmerzhafte Körperstelle auch wahrnehmen und in angemessener Form auf den Schmerz reagieren.
Was tut man sinnvollerweise wann gegen welchen Schmerz?
Die medikamentöse Behandlung ist der Grundpfeiler jeder Schmerztherapie. Man sollte damit so früh wie möglich beginnen. Die Einzeldosis muss so festgelegt werden, dass das Schmerzmittel seinen Zweck erfüllt, das heisst, es darf nicht unterdosiert werden, sonst nützt es nichts, aber wegen unerwünschter Begleiteffekte sollte es auch nicht überdosiert werden.
Wie lange soll man ein Medikament nehmen?
Die Medikamenteneinnahme soll nach einem festen Zeitplan erfolgen, der sich an der Wirkdauer des Medikaments orientiert und nicht nach dem Bedarf. Nur so werden konstante Plasmaspiegel erzielt und die Schmerzen bleiben gerade bei diesem Vorgehen anhaltend gelindert. Wenn die oralen Darreichungsformen keine zufrieden stellende Schmerzlinderung bewirkt oder die Nebenwirkungen unbeherrschbar werden, sollte der Therapeut frühzeitig auf andere Behandlungsarten umsteigen.
Wann soll man ans Operieren denken?
Wenn z.B. die Schmerzen wegen eines Bandscheibenvorfalls unerträglich werden und alle anderen Therapiemöglichkeiten (Massage, Chiropraktik, Akupunktur, Neuraltherapie etc.) ausgeschöpft sind. Oder wenn das Gehen wegen einer Hüftgelenk- oder Kniearthrose zur Qual wird und daher ein künstliches Gelenk eingesetzt werden muss.
Wann reicht der Hausarzt, wann muss ich zum Spezialisten?
Die sogenannte «Pyramide der Schmerzversorgung» zeigt es: Bei akuten Schmerzen, etwa einem Hexenschuss, einer Verbrennung oder einer Verstauchung, sollte man den Hausarzt aufsuchen. Dauern die Schmerzen länger als ein, zwei Wochen, sollte man diese unbedingt von einem Schmerzspezialisten abklären lassen.
Wann sollte sich ein Schmerzpatient in eine weiterführende Behandlung begeben?
Dr. André Ljutow, Oberarzt in der Schmerzklinik Nottwil: «Nach einer angemessenen Behandlung der akuten Schmerzursache sollte sich innerhalb weniger Tage eine deutliche Besserung zeigen. Verschwinden die Schmerzen nach ein, zwei Wochen nicht, sollte ein Schmerzspezialist zugezogen werden, denn dann kann sich hinter den Schmerzen bereits ein chronisches Leiden verbergen, das sofort mit allen dem Arzt zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden muss.»
Was versteht man unter akuten Schmerzen?
Akute Schmerzen setzen immer dann ein, wenn
Körpergewebe beschädigt wird. Sie dauern nur eine gewisse Zeit an und sollen den Körper vor Schäden und Überlastung schützen. Sie haben also eine wichtige Signal- und Schutzfunktion. Akute Schmerzen treten z.B. bei Schnittwunden, Prellungen, Knochenbrüchen, Entzündungen, Verbrennungen oder Zahnschmerzen auf.
Wie werden akute Schmerzen behandelt?
Dafür gibt es eine Reihe von Massnahmen. Medikamente, die den Schmerz hemmen. Die chinesische Akupunktur kann Schmerzen mit Hilfe von winzigen Nadeln «abschalten». Der Chiropraktiker kann durch gezielte Handgriffen und ruckartige Bewegungen schmerzhafte Blockaden oder Verspannungen in Wirbeln und Gelenken (Hexenschuss) lösen. Der Masseur kann durch sanftes Kneten die Durchblutung fördern und so die Schmerzen wegmassieren. Auch eine örtliche Betäubungsspritze (z.B. beim Zahnarzt oder beim Neuraltherapeuten) kann den Schmerz verschwinden lassen. Eispackungen können ebenfalls schmerzlindernd wirken. Durch gezieltes Rückentraining lernt man, den Körper nicht unnötig zu belasten und Schmerzen zu vermeiden.
Was versteht man unter chronischen Schmerzen?
Unsere Nerven und unser Gehirn haben die fatale Eigenschaft, sich viel zu schnell an den Schmerz zu gewöhnen. Die Folge: Die Schmerzen werden immer wieder aus unserem «Schmerzgedächtnis» abgerufen, werden also chronisch und müssen mit immer stärkeren Medikamenten bekämpft werden. «Der Schmerz hat den ursprünglichen Auslöser überdauert und ist zu einer Krankheit geworden», erklärt der Nottwiler Oberarzt Dr. André Ljutow.
Welche Ursache können chronische Schmerzen haben?
Zum Beispiel chronische Muskelverspannungen. Oder Nervenschmerzen. Bei der Trigeminusneuralgie etwa, tritt der Schmerz einseitig im Gesicht auf. Ursache sind in der Regel Nervenirritationen durch Blutgefässe am Hirnstamm. Nach einer Amputation können örtliche Schmerzen an durchtrennten Nerven in Form von Stumpfschmerzen und zentral (im Gehirn und Rückenmark) ausgelöste Schmerzen in Form von Phantomschmerzen auftreten. Bei der Gürtelrose kommt es anfangs zu heftigen Schmerzattacken. Auslöser sind Viren, die nach einer Windpocken-Erkrankung im Körper überlebt haben. Unter bestimmten Umständen können sie wieder aktiv werden und Nerven befallen. Bei einigen Menschen werden die Nerven so geschädigt, dass die Schmerzen nie mehr verschwinden.
Hilft ein Schmerztagebuch dem Arzt?
Dieses ist sehr hilfreich. Damit Sie Ihrem Arzt genauer schildern können, wie es Ihnen in welchen Situationen geht, sollten Sie einige Wochen lang ein Schmerztagebuch führen. Dort tragen Sie exakt ein, wann die Schmerzen auftreten und wie intensiv sie sind. Notieren Sie auch, in welcher Situation die Schmerzen besonders stark sind und wie Sie sich dabei fühlen. Ein Schmerztagebuch ist sowohl in der Einstellungsphase eines Medikaments als auch zur laufenden Therapiekontrolle für den Arzt sehr hilfreich.
Wie entstehen Schmerzen?
Durch Einflüsse von aussen – wie Hitze, Kälte oder Druck – oder durch krankhafte Prozesse im Körperinneren. Verletzt man sich zum Beispiel bei der Gartenarbeit oder beim Wandern durch einen Misstritt am Knöchel, entstehen dort chemische Reizstoffe. Dadurch werden kleine Sinneszellen gereizt, die sich an den Enden der Nerven befinden. Von diesen «Schadensfühlern» aus wird die Schmerz-Information in Form von elektrischen Strömen bis ins Rückenmark geleitet. Hier werden die Schmerzsignale in chemische Botenstoffe umgewandelt. Diese übertragen die Schmerzimpulse ins zentrale Nervensystem und von dort ins Gehirn. Hier befindet sich die zweite Umschaltstelle der Reizübertragung. Denn erst, wenn die Schmerzimpulse hier im Gehirn ankommen, können wir die schmerzhafte Körperstelle auch wahrnehmen und in angemessener Form auf den Schmerz reagieren.
Was tut man sinnvollerweise wann gegen welchen Schmerz?
Die medikamentöse Behandlung ist der Grundpfeiler jeder Schmerztherapie. Man sollte damit so früh wie möglich beginnen. Die Einzeldosis muss so festgelegt werden, dass das Schmerzmittel seinen Zweck erfüllt, das heisst, es darf nicht unterdosiert werden, sonst nützt es nichts, aber wegen unerwünschter Begleiteffekte sollte es auch nicht überdosiert werden.
Wie lange soll man ein Medikament nehmen?
Die Medikamenteneinnahme soll nach einem festen Zeitplan erfolgen, der sich an der Wirkdauer des Medikaments orientiert und nicht nach dem Bedarf. Nur so werden konstante Plasmaspiegel erzielt und die Schmerzen bleiben gerade bei diesem Vorgehen anhaltend gelindert. Wenn die oralen Darreichungsformen keine zufrieden stellende Schmerzlinderung bewirkt oder die Nebenwirkungen unbeherrschbar werden, sollte der Therapeut frühzeitig auf andere Behandlungsarten umsteigen.
Wann soll man ans Operieren denken?
Wenn z.B. die Schmerzen wegen eines Bandscheibenvorfalls unerträglich werden und alle anderen Therapiemöglichkeiten (Massage, Chiropraktik, Akupunktur, Neuraltherapie etc.) ausgeschöpft sind. Oder wenn das Gehen wegen einer Hüftgelenk- oder Kniearthrose zur Qual wird und daher ein künstliches Gelenk eingesetzt werden muss.
Wann reicht der Hausarzt, wann muss ich zum Spezialisten?
Die sogenannte «Pyramide der Schmerzversorgung» zeigt es: Bei akuten Schmerzen, etwa einem Hexenschuss, einer Verbrennung oder einer Verstauchung, sollte man den Hausarzt aufsuchen. Dauern die Schmerzen länger als ein, zwei Wochen, sollte man diese unbedingt von einem Schmerzspezialisten abklären lassen.
Wann sollte sich ein Schmerzpatient in eine weiterführende Behandlung begeben?
Dr. André Ljutow, Oberarzt in der Schmerzklinik Nottwil: «Nach einer angemessenen Behandlung der akuten Schmerzursache sollte sich innerhalb weniger Tage eine deutliche Besserung zeigen. Verschwinden die Schmerzen nach ein, zwei Wochen nicht, sollte ein Schmerzspezialist zugezogen werden, denn dann kann sich hinter den Schmerzen bereits ein chronisches Leiden verbergen, das sofort mit allen dem Arzt zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden muss.»
Was versteht man unter akuten Schmerzen?
Akute Schmerzen setzen immer dann ein, wenn
Körpergewebe beschädigt wird. Sie dauern nur eine gewisse Zeit an und sollen den Körper vor Schäden und Überlastung schützen. Sie haben also eine wichtige Signal- und Schutzfunktion. Akute Schmerzen treten z.B. bei Schnittwunden, Prellungen, Knochenbrüchen, Entzündungen, Verbrennungen oder Zahnschmerzen auf.
Wie werden akute Schmerzen behandelt?
Dafür gibt es eine Reihe von Massnahmen. Medikamente, die den Schmerz hemmen. Die chinesische Akupunktur kann Schmerzen mit Hilfe von winzigen Nadeln «abschalten». Der Chiropraktiker kann durch gezielte Handgriffen und ruckartige Bewegungen schmerzhafte Blockaden oder Verspannungen in Wirbeln und Gelenken (Hexenschuss) lösen. Der Masseur kann durch sanftes Kneten die Durchblutung fördern und so die Schmerzen wegmassieren. Auch eine örtliche Betäubungsspritze (z.B. beim Zahnarzt oder beim Neuraltherapeuten) kann den Schmerz verschwinden lassen. Eispackungen können ebenfalls schmerzlindernd wirken. Durch gezieltes Rückentraining lernt man, den Körper nicht unnötig zu belasten und Schmerzen zu vermeiden.
Was versteht man unter chronischen Schmerzen?
Unsere Nerven und unser Gehirn haben die fatale Eigenschaft, sich viel zu schnell an den Schmerz zu gewöhnen. Die Folge: Die Schmerzen werden immer wieder aus unserem «Schmerzgedächtnis» abgerufen, werden also chronisch und müssen mit immer stärkeren Medikamenten bekämpft werden. «Der Schmerz hat den ursprünglichen Auslöser überdauert und ist zu einer Krankheit geworden», erklärt der Nottwiler Oberarzt Dr. André Ljutow.
Welche Ursache können chronische Schmerzen haben?
Zum Beispiel chronische Muskelverspannungen. Oder Nervenschmerzen. Bei der Trigeminusneuralgie etwa, tritt der Schmerz einseitig im Gesicht auf. Ursache sind in der Regel Nervenirritationen durch Blutgefässe am Hirnstamm. Nach einer Amputation können örtliche Schmerzen an durchtrennten Nerven in Form von Stumpfschmerzen und zentral (im Gehirn und Rückenmark) ausgelöste Schmerzen in Form von Phantomschmerzen auftreten. Bei der Gürtelrose kommt es anfangs zu heftigen Schmerzattacken. Auslöser sind Viren, die nach einer Windpocken-Erkrankung im Körper überlebt haben. Unter bestimmten Umständen können sie wieder aktiv werden und Nerven befallen. Bei einigen Menschen werden die Nerven so geschädigt, dass die Schmerzen nie mehr verschwinden.
Hilft ein Schmerztagebuch dem Arzt?
Dieses ist sehr hilfreich. Damit Sie Ihrem Arzt genauer schildern können, wie es Ihnen in welchen Situationen geht, sollten Sie einige Wochen lang ein Schmerztagebuch führen. Dort tragen Sie exakt ein, wann die Schmerzen auftreten und wie intensiv sie sind. Notieren Sie auch, in welcher Situation die Schmerzen besonders stark sind und wie Sie sich dabei fühlen. Ein Schmerztagebuch ist sowohl in der Einstellungsphase eines Medikaments als auch zur laufenden Therapiekontrolle für den Arzt sehr hilfreich.