Ein uralter Menschheitstraum nähert sich seiner Verwirklichung – das ewige Leben. Der Weg führt über die sogenannte regenerative Medizin. Sie bremst den Alterungsprozess des Menschen.
Die Verfahren aus der Forschung, nun auch aus Entwicklungslabors der Schweizer Pharmamultis, sind hochkomplex. Doch ihr Prinzip ist simpel: Defekte und abgenutzte Zellen werden durch körpereigenes Material ersetzt, das man im Labor züchtet. Die neuen Zellen verjüngen dann Knochen- und Knorpelgewebe, bald wohl auch Herz- und Hirngewebe.
Hirnzellen
Forscher hoffen, durch die Erneuerung von Neuronen Krankheiten wie Parkinson heilen zu können.
Sehzellen
Novartis forscht an der Herstellung von Sehzellen.
Knochenzellen
Bereits heute kann man Knochengewebe im Kiefer erneuern.
Hörzellen
Die Regeneration von Hörzellen soll für ein Gehör sorgen, das auch im Alter noch leistungsfähig ist.
Herzzellen
Mit Herzzellen könnte man das nach einem Herzinfarkt vernarbte Gewebe regenerieren.
Hirnzellen
Forscher hoffen, durch die Erneuerung von Neuronen Krankheiten wie Parkinson heilen zu können.
Sehzellen
Novartis forscht an der Herstellung von Sehzellen.
Knochenzellen
Bereits heute kann man Knochengewebe im Kiefer erneuern.
Hörzellen
Die Regeneration von Hörzellen soll für ein Gehör sorgen, das auch im Alter noch leistungsfähig ist.
Herzzellen
Mit Herzzellen könnte man das nach einem Herzinfarkt vernarbte Gewebe regenerieren.
«Lange lag die regenerative Medizin nicht im Interesse der Pharmaindustrie», sagt Medizinprofessor Konrad Kohler, Chef des Zentrums für Regenerationsbiologie an der Universität Tübingen (D). Nun aber hat die Branche das riesige Potenzial dieser Forschungsrichtung erkannt und investiert massiv in ihre klinische Umsetzung. Die Auswirkungen werden bereits viele von uns spüren. Für Novartis-CEO Joe Jimenez ist klar: «Ich glaube, dass sich die Lebenserwartung in den nächsten 20 Jahren dramatisch erhöhen wird.»
«Die regenerative Medizin bewirkt einen massiven Paradigmenwechsel»
Sein Optimismus ist begründet: Dank regenerativer Medizin lassen sich Gewebe, künftig vielleicht auch ganze Organe, im Labor züchten. Das Leben wird länger, das Alter angenehmer, Krankheiten heilbar – so lauten die Verheissungen. Professor Kohler betont: «Die regenerative Medizin bewirkt einen massiven Paradigmenwechsel.»
Die Lebenserwartung, in der Schweiz knapp 81 Jahre für Männer und 85 Jahre für Frauen, dürfte sich stark verlängern. Sogar die 117 Lebensjahre der Italienerin Emma Morano, die letzten Dienstag Geburtstag feierte, könnten überboten werden. Sie ist immerhin der älteste Mensch der Welt.
Ein Forscherteam des Albert Einstein College of Medicine in New York hat als naturgegebene Höchstgrenze der Lebensspanne 125 Jahre ermittelt. Mediziner Kohler spricht von einem natürlichen Abbauprozess, der im Menschen angelegt sei. Die Alterung lasse sich zwar nicht völlig aufhalten, aber doch – je mehr Organe ersetzbar oder erneuerbar werden – sehr verlangsamen.
Der Spitzenforscher ist zuversichtlich: «Man könnte nach einem Herzinfarkt den Herzmuskel um das vernarbte Gewebe regenerieren und so eine Herz-Insuffizienz bekämpfen. Oder auch Hirnzellen erneuern, die für Demenz verantwortlich sind.»
Über 120-jährige, gesunde Menschen: eine Vorstellung, an die wir uns gewöhnen müssen – oder dürfen.
«Wir bekämpfen die degenerativen Prozesse der Alterung»
Die regenerative Medizin will nämlich nicht nur eine höhere Lebenserwartung bewirken, sondern auch die Lebensqualität im Alter stark verbessern. «Wir bekämpfen die degenerativen Prozesse der Alterung», sagt Kohler. So ist beispielsweise denkbar, Knochen robuster zu machen, Schliessmuskelgewebe zu erneuern, um Inkontinenz zu verhindern, Seh- und Hörzellen zu regenerieren und die degenerativen Prozesse im Gehirn zu bremsen.
Aber wie kann die Produktion von neuen Zellen im Labor funktionieren? «Es können Zellen aus den verschiedensten Quellen für die Regeneration eingesetzt werden», erklärt Professor Kohler. Idealerweise verwende man dazu Zellen des Patienten, weil bei körpereigenem Material keine Abstossungsreaktionen zu befürchten sind. Um Knorpel zu gewinnen, vermehrt man entnommene Knorpelzellen auf einem Trägermaterial im Labor. Mit dem gezüchteten Gewebe lässt sich beispielsweise das Kniegelenk nach einem Unfall reparieren. Auch Stammzellen werden für die Erneuerung eingesetzt. In der Leukämie-Therapie ist dieser Ansatz bereits heute Standard.
Stammzellen lassen sich genetisch neu programmieren oder mit labortechnischen Methoden dazu veranlassen, sich in eine bestimmte Richtung zu entwickeln, also beispielsweise zur Haut- oder Nervenzelle heranzuwachsen.
Während Knochengewebe im Kiefer und Knorpelgewebe im Knie bereits erfolgreich regeneriert werden können, befindet sich die Herstellung von Skelett- und Schliessmuskeln derzeit in der klinischen Erprobung.
Die Regeneration von Herz- und Nervengewebe ist generell noch nicht möglich, aber: «Es gibt bereits viele Versuche dazu.»
Die neuen Methoden werden in naher Zukunft nicht nur die Medizin revolutionieren, sondern auch die Pharmaindustrie. Denn lebende Zellen kann man nicht medikamentös verabreichen. «Man muss sie invasiv applizieren – mittels Operation oder Spritze», erklärt der Medizinprofessor.
«In der Industrie setzt ein Umdenken ein, man versteht langsam die Bedeutung der regenerativen und individualisierten Medizin.» Die Herausforderung für die Pharmabranche: In der regenerativen Medizin werden keine industriell hergestellten Pillen verkauft. Dort muss man sich an aufwendigen Behandlungsprozessen beteiligen.
Die Hoffnung auf ein immer längeres Leben stellt die Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Der Medizinethiker Dominik Gross von der RWTH Aachen University sieht vier heikle Punkte:
Zweiklassenmedizin
Die neuen technischen Möglichkeiten werden teuer sein – und nicht allen uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Einige werden profitieren, andere nicht.
Generationengerechtigkeit
In späteren Lebensphasen häufen sich mehr chronische Krankheiten an. Die Finanzierung muss dann wohl die junge Generation übernehmen.
«Ewiges Leben»?
Das Kernproblem der Sterblichkeit wird nicht gelöst. Erreichbar ist lediglich eine Verlangsamung und Verlängerung der degenerativen Phase bis zum Tod. Die eigene Endlichkeit bleibt die letzte Kränkung des Menschen.
Erwartungsdruck
Sobald lebensverlängernde Techniken zur Verfügung stehen, entsteht die Erwartung, dass man sie auch nutzt. Leute, die sich dem entziehen und «normal» altern möchten, riskieren, sozial abgehängt zu werden.
Die Hoffnung auf ein immer längeres Leben stellt die Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Der Medizinethiker Dominik Gross von der RWTH Aachen University sieht vier heikle Punkte:
Zweiklassenmedizin
Die neuen technischen Möglichkeiten werden teuer sein – und nicht allen uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Einige werden profitieren, andere nicht.
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In späteren Lebensphasen häufen sich mehr chronische Krankheiten an. Die Finanzierung muss dann wohl die junge Generation übernehmen.
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