«Mein Bauch wurde aufgeschnitten. Dann haben mir die Ärzte Papas Niere in meinen Bauch reingemacht», sagt Carlo. Er bringt die Worte nur mühsam hervor. Er ist ausser Atem, sein Brustkorb hebt sich im Sekundentakt. Der Fünfjährige hat gerade Fangis gespielt. Jetzt sitzt er auf Papas Schoss, auf einer Bank auf dem Spielplatz in Riehen BS. Sein Papa heisst Dirk. Vor einem Monat hat er seinem Sohn eine Niere – und somit ein neues Leben – geschenkt.
Im Herbst 2014 ist Carlo zur Welt gekommen. Die ersten Stunden seines Lebens sind dramatisch. Die Blutwerte spielen verrückt, eine Niere ist kaputt, die andere funktioniert nur schlecht. Er trinkt nicht von der Brust seiner Mutter und muss mit einer Spezialmilch versorgt werden. Mit sechs Monaten braucht er eine Magensonde. Flüssigkeit und Nahrung gelangen über einen kleinen Schlauch in seinen Körper.
Warteliste ist keine Option
All den Strapazen zum Trotz entwickelt sich der Bub anfangs gut. Er wächst, zählt unter seinen Gschpänli sogar zu den Grossen. Plötzlich verschlechtern sich seine Blutwerte. Im März dieses Jahres steht fest: Jetzt versagt auch Carlos zweite Niere. «Das war furchtbar. Die ganze Familie hat stark unter der Diagnose gelitten», erinnert sich Dirk.
Carlo auf die Warteliste zu setzen, kommt nicht in Frage. «Die Ärzte haben uns die Vorteile einer Lebendspende erklärt. Sofort haben sich meine Frau und ich testen lassen.» Dirks Werte passen. Der 52-Jährige zögert keine Sekunde. Beschliesst, seinem Sohn eine Niere zu spenden.
Bis zum Tag der Operation dauert es aber noch fünf Monate. Während dieser Zeit muss Carlos Blut mittels einer Bauchfelldialyse gewaschen werden. Konkret bedeutet das: Durch ein Röhrchen wird eine spezielle Flüssigkeit in die Bauchhöhle geleitet. So werden Stoffwechselabfälle und überschüssiges Wasser aus dem Blut gesammelt und über den Katheter ausgeschieden. Das geschieht immer nachts: «Carlo hat meistens ruhig geschlafen. Nur manchmal hat er leise gestöhnt.»
Carlo plagen grosse Ängste
Am 15. August ist es endlich so weit: Ab heute wird Carlo gesunde Organe haben. Die Freude auf den neuen Lebensabschnitt ist gross. Trotzdem sorgt sich Dirk um seinen Jungen. Was, wenn etwas schiefläuft? Auch Carlo fürchtet sich. Seit zwei Wochen stottert er. Was zunächst aussieht wie eine normale Entwicklungsstörung, ist Ausdruck seiner Angst.
Carlo will die neue Niere nicht. Er will sie auch nach der Operation nicht. «Da mussten wir ihm mehrmals erklären, dass er sie bereits hat», sagt Dirk und lacht. Er ist stolz auf seinen tapferen Sohn. Lässig sagt Carlo: «Ich habe tief geschlafen und nix gemerkt.» Die Schmerzen lassen schnell nach. Vier Wochen nach der Operation ist er fitter denn je.
Krankenhausbesuche bleiben Pflicht
Die Freude bei den Eltern ist riesig: «Wir erleben ein ganz neues Kind.» Carlo entpuppt sich von der Frohnatur zum regelrechten Wirbelwind. Er rennt von der Rutschbahn quer über den Spielplatz zum Trüllibaum, klettert auf das Seilnetz, macht Spässe und kichert. Der neu gewonnene Energieschub macht sich auch in Carlos Magen bemerkbar. Zum ersten Mal verspürt er Appetit. Sein Lieblingsessen: Nudeln.
Regelmässige Krankenhausbesuche bleiben aber lebenslänglich Pflicht. Und in etwa 20 Jahren wiederholt sich die Prozedur – dann muss wieder eine neue Niere her. «Ich fühle mich, als könnte ich noch eine weitere Niere spenden», sagt Dirk schmunzelnd.
Dass er das nicht kann, weiss er selbst. Er hofft auf medizinische Fortschritte, die eine längere Lebensdauer von gespendeten Nieren ermöglichen. Nichtsdestotrotz: Eine neue Spenderin steht schon fest. Klappt alles wie geplant, wird Carlos grosse Schwester ihm irgendwann ein drittes Leben schenken.