Muttermilch wird jetzt erforscht
Zürich bekommt die erste Professur fürs Stillen

Heute geben mehr Schweizer Mütter ihrem Baby die Brust als vor 20 Jahren. Das Geheimnis der Muttermilch soll jetzt eine Professur in Zürich untersuchen.
Publiziert: 18.10.2016 um 11:34 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 19:06 Uhr
Stillen ist mehr als nur Ernährung, verbindet Mutter und Kind auch emotional.
Foto: Cavan Images
Attila Albert

Sie ist das Sinnbild einer Mutter mit ihrem Neugeborenen: die gereichte Brust, um das Baby zu ernähren. 95 Prozent der Schweizer Mütter stillen ihre Kinder, wenn mitunter auch nur kurz. Stillen ist gesund für Körper und Seele, doch bisher noch erstaunlich wenig erforscht.

Die erste Professur für Muttermilchforschung der Schweiz wird jetzt an der Universität Zürich eingerichtet – es ist nach Australien erst die zweite weltweit. Mit 26,5 Millionen Franken unterstützt die Familie Larsson-Rosenquist Stiftung aus Zug beide.

«Stillen ist die beste Ernährung für Neugeborene», sagt Biochemikerin und Molekularbiologin Dr. Katharina Lichtner (48). Sie ist die Geschäftsführerin der Stiftung – die einzige weltweit, die sich ausschliesslich diesem Thema widmet. «Muttermilch hat bemerkenswerte Eigenschaften», sagt sie. «Sie ist eine bioaktive Lösung, das bedeutet, sie enthält lebende Zellen und bioaktive Substanzen, die die Entwicklung des Kindes ­positiv beeinflussen.»

Zusammensetzung und Menge individuell angepasst

So baut Muttermilch den Immunschutz auf, senkt das Risiko von Durchfallerkrankungen sowie Lungenentzündungen und erhöht bei Frühchen die Überlebenschancen. Ausserdem stärkt Stillen die Bindung zwischen Mutter und Baby. Das fördert langfristig die soziale und geistige Entwicklung des Kindes. Eine Ersatzmilch, die auf Pulver basiert, kann das nicht bieten.

«Erstaunlich ist auch, dass sich die Zusammensetzung der Eiweisse, Fette und Zucker in der Muttermilch ständig dem Bedarf des Kindes anpasst», so Lichtner. «Selbst während des Stillens ändert sie sich, die sättigenden Bestandteile nehmen zum Ende hin zu.»

Ersatzmilch hat diese Intelligenz und ­Flexibilität nicht. Diese basieren auf einer bisher kaum erforschten Rückmeldung vom Kind an den Körper der Mutter. Deren Milch ist in der Zusammensetzung und ­Menge – bis zu fast einem Liter pro Tag – individuell angepasst und stets optimal temperiert. Je nach Bedarf enthält Muttermilch beispielsweise 22 bis 62 Gramm Fett pro Liter. 

Nur zwei Prozent der Mütter können nicht stillen

Trotzdem ist ausschliessliches Stillen hierzulande nur drei Monate üblich, Stillen mit Beikost (Gemüse, Getreidebrei etc.) weitere sieben. Zum Vergleich: Die Welt­gesundheitsorganisation empfiehlt sechs Monate ausschliessliches Stillen plus 18 Monate mit Beikost.

«Es zeigte sich, dass ein Neugeborenes sofort nach der Geburt das erste Mal gestillt werden sollte, am besten innerhalb der ersten Stunde und in den ersten Tagen so oft, wie es das Kind verlangt», sagt Lichtner. «Das fördert den Milcheinschuss und die Regulierung des Bedarfs.»

Viele Frauenkliniken fördern diese natürliche Harmonie längst, indem sie Mutter und Kind nicht mehr trennen – und von störenden äussereren Rhythmen wie den Schichtzeiten der Mitarbeiter abschirmen.

Aus rein körperlichen Gründen können nur zwei Prozent der Mütter nicht stillen, ungünstigen Einfluss nehmen unter anderem starkes Übergewicht und Diabetes. «Oft ­geben Mütter aber zu schnell auf, weil sie glauben, sie hätten zu wenig Milch. Dabei sind Schwankungen natürlich, die Milchmenge muss sich am Anfang erst einspielen», sagt Lichtner. 6 bis 18 Mal saugt ein Kind innerhalb von 24  Stunden und erhält vom Körper der Mutter unterschiedlich grosse Portionen – von nichts bis 240 Gramm.

Vertrauen in die Natur ist notwendig

«Der Körper der Mutter richtet sich nach dem Körper des Kindes – und stellt das zur Verfügung, was es benötigt», sagt Lichtner. Das aber erfordere Geduld und Vertrauen in die Natur – nicht leicht in ­einem Umfeld, das alles planen und standardisieren will.

In Entwicklungsländern kommt die Muttermilch aus anderen Gründen aus der Mode: Hier gilt die ­Ersatzmilch aus der Fabrik oft als Zeichen des materiellen Aufstiegs, wird aus Unkenntnis oder wegen der Kosten dann aber falsch dosiert oder absichtlich verdünnt.

Die Stiftung, die den Lehrstuhl an der Universität Zürich finanziert, haben Einwanderer aus Schweden gegründet, sie kamen 1955 in die Schweiz. In einer ihrer Fabriken produzierten sie Milchpumpen, beschäftigten sich intensiver mit Muttermilch.

Der Säugling an der Brust seiner Mutter weiss nichts von alledem: Er geniesst, was seit Anbeginn zur Menschheit gehörte und doch bis heute noch ein Geheimnis ist.

Hier erhalten Sie mehr Informationen: Die gemeinnützige La Leche League, 1956 in den USA gegründet, berät in 78 Ländern Mütter rund ums Stillen, auch in der Schweiz. Persönlich, per Telefon oder E-Mail. www.stillberatung.ch

Oft leicht heilbar!

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