In seiner Praxis in Basel, bei der Endhaltestelle des Achter-Trämli unweit der französischen Grenze, sitzt Marco Caimi. Umgeben von einem riesigen Büffelkopf, einem Gemälde mit Zebras und einer Dartscheibe im Empfangsbereich, hier in dieser supermaskulinen Atmosphäre stellt er nach knapp einer Stunde Gespräch klar: «Ich bin nicht einfach ein Macho.»
Marco Caimi (57) ist der erste und einzige Männerarzt des Landes. Als solcher ist er Teil einer heftigen Kontroverse, die jüngst entbrannt ist: Es geht um den Mann. Auftakt war nicht zuletzt die Gi lette-Werbung, die die sogenannte toxische Männlichkeit, die Macho-Männlichkeit, anprangert und seitdem ganz viele Männerexperten auf den Plan ruft. Mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen davon, wie der Mann von heute zu sein hat. Das veranschaulichte kürzlich der viel diskutierte SRF-«Club» zum Thema.
In der Sendung giftelte Männeraktivist Markus Theunert gegen Marco Caimi, bezeichnete ihn als «sogenannten Männerarzt» und machte klar, dass er die Kategorie Mann am liebsten ganz abschaffen würde.
All das regte Caimi so auf, dass er drohte, wegen seines Rivalen die laufende Sendung zu verlassen. Auf die Nerven ging ihm schon der Gillette-Spot. Jetzt darf es plötzlich keine Alphamänner mehr geben, beschwerte er sich. Er habe wegen des Spots auf Wilkinson gewechselt, sagte er – wenn auch im Witz, wie er nun im Gespräch einräumt.
Nach dem SRF-«Club» erhielt er 150 Zuschriften
Caimi weiss genau, was er sagen muss, damit es medial wirkt. Er halte sich an das Zitat des verstorbenen «Spiegel»-Gründers Rudolf Augstein: «Sagen, was ist.» Doch Caimi sagt, was knallt. Und das klingt so:
«Ich habe nicht herausgefunden, was genau wir #MeToo zu verdanken haben. Ausser, dass Leute öffentlich verurteilt worden sind, bevor sie ein Gericht gesehen haben», sagte er im SRF-«Club».
Sie «will die Homosexualisierung der Schweiz vorantreiben», schrieb er einmal in der «Basler Zeitung» gegen die Genderforscherin Franziska Schutzbach.
«Welche Frau wünscht sich in einer gefahrenträchtigen Situation einen weichgespülten, gendermässig semi-kastrierten Dackel an ihrer Seite?», liess er sich neulich in der «Sonntagszeitung» zitieren.
Nach der «Club»-Sendung machte sich Caimis Lebenspartnerin Sorgen. «Sie dachte, der Auftritt sei für mich geschäftsschädigend gewesen», erzählt er und winkt gleichzeitig ab. 150 Zuschriften bekam er seit dem Showdown, sagt er. Die meisten seien positiv gewesen. Er weiss, er trifft einen Nerv.
Für gewisse Männer ist Caimi ein Vorbild
Caimi verkörpert einen Mann, der so mancher andere gerne wäre: selbstbewusst, erfolgreich, eloquent, gut angezogen. Er gibt all jenen Männern Halt, die derzeit grausam verunsichert sind. Indem er ihnen sagt, dass Hypermaskulinität à la Wladimir Putin und Donald Trump Mist ist, dass sie aber an sich arbeiten und gut zu sich schauen müssen.
Und indem er sich abgrenzt gegen all die Ansprüche «der linken Frauen», die aus dem Mann einen Softie machen wollen. «Ich finde es nicht gut, wenn man Buben jetzt fragt, ob sie nicht doch lieber Mädchen sein wollen», sagt er. Die Emanzipation, etabliert von Vorkämpferinnen à la Alice Schwarzer (76), hingegen findet er eine wunderbare Sache, «weil sie dem Mann Verantwortung in Beziehungen und Familie von den Schultern genommen hat».
Und Marco Caimi zelebriert eben auch, was er predigt: Er bezeichnet sich als Freigeist, hat zeitweise Polyamorie ausprobiert, also mehrere Beziehungen zu unterschiedlichen Frauen zur gleichen Zeit gehabt, führt erfolgreich eine Praxis, in der er die körperlichen Leiden von Männern behandelt, sie auch in Bezug auf ihre psychische Gesundheit coacht und sie zusammen mit ihren Frauen in Beziehungsfragen berät.
Er pflegt langjährige Freundschaften, ist leidenschaftlicher Jogger, hält Frauen die Tür auf; und er ist alles andere als distanziert – seine E-Mails sind gespickt mit Emojis, Ausrufezeichen und herzlichen Grüssen.
Caimi weiss bestens über die Politik Deutschlands Bescheid – und zeigt das auch gerne. In seinem Bücherregal stehen neben Männerbibeln auch kapitalismuskritische Werke. Und es vergehen keine zehn Minuten mit ihm, in denen er nicht ein englisches Wort fallen lässt. Sein Leben? Ein einziger «Walk the talk» – er lebt, was er sagt. Die Diskussion über die angeblich toxische Männlichkeit? «Too much!» Und: Er sei ganz bestimmt kein «Role model» – Vorbild.
Und trotzdem, in seiner Arztpraxis/Safari-Lodge fragt man sich: Was hat ihn als Mann so traumatisiert, dass er sich so für sein Geschlecht ins Zeug legt?
Zwei Scheidungen hat er hinter sich, schmerzhafte Erfahrungen. «Ich habe menschlich und finanziell geblutet», sagt er. Mehr mag er darüber nicht erzählen, seine Wut auf seine Ex-Frauen ist verraucht. Anders 2015, als er dem «Tages-Anzeiger» in Bezug auf eine vergangene Beziehung, um die er gekämpft hatte, sagte: «Ich wurde zu einem dressierten Hündli, zur Manipuliermasse.»
Caimi fing an, Männer zu unterstützen, damit ihnen nicht das Gleiche passiert. 2013 gründete er die Männerpraxis – und half damit auch sich selbst. «Mittlerweile bin ich an dem Punkt angelangt, an dem meine Arbeit keinen selbsttherapeutischen Aspekt mehr hat.»
Weggefährten ärgern sich über das machoide Bild, das man in der Öffentlichkeit von Caimi hat. «Marco ist ein verletzlicher Mensch», sagt Frank Lorenz, Seelsorger an der Offenen Kirche Elisabethen in Basel, der mit ihm ein Buch geschrieben und Männerseminare organisiert hat. Lorenz sagt auch: «Marco läuft oft Gefahr, dass man ihn in ein falsches Licht rückt.» Weil er die Dinge überdeutlich formuliere und die Medienöffentlichkeit suche. «Er ist kein Macho.»
Er musste unten durch und ist trotzdem kein Opferlamm
Feministin Julia Onken (76) beschreibt Caimi als guten und respektvollen Zuhörer – auch gegenüber Frauen. «Nur weil er sehr gut aussieht, ist er noch lange kein Macho.»
Ein Opferlamm aber auch nicht. Gerade wenn es um Muslime geht, ist er gnadenlos. Und darum geht es bei ihm oft. Die Message ist immer die Gleiche: Muslime haben grundsätzlich ein minderwertiges Frauenbild, sind Paschas und krimineller als die Christen. Ähnliche Vorurteile bekamen in der Vergangenheit viele Generationen von Gastarbeitern zu hören.
Erstaunlich, wenn man Caimis Geschichte kennt. Sein Vater war Tessiner, seine Mutter ist Katalanin. Seine Grosseltern flüchteten vor dem Franco-Regime in die Schweiz. Wegen der ersten Überfremdungsinitiative von James Schwarzenbach habe er als Bub sofort aufgehört, Italienisch und Katalanisch zu sprechen. «Ich hatte so Angst, dass meine Mutter und meine Grossmutter ausreisen müssen», sagt er.
Trotzdem findet er tausend Gründe, weshalb der Islam ganz schlimm ist, steigert sich dermassen in das Thema hinein, dass es scheint, als bräuchte er unbedingt ein Ventil. Wofür genau, bleibt sein Geheimnis. Bei Zeitungsinterviews, TV-Auftritten und seinen Kabarett- Stücken, die er hin und wieder auf kleineren Bühnen aufführt, bekommen jedenfalls alle etwas ab. Caimi bezeichnet es als «psychohygienische Selbsthilfe für mich».