Homöopathiekritikerin Natalie Grams
«In der Medizin hat Magie nichts verloren»

Natalie Grams verschrieb als Ärztin homöopathische Behandlungen, bis sie sich intensiver mit den Studien darüber befasste und realisierte: Nichts davon ist haltbar.
Publiziert: 10.04.2019 um 15:00 Uhr
|
Aktualisiert: 11.04.2019 um 16:21 Uhr
1/8
Hat ihren Medikamentenschrank ausgemistet: Homöopathiekritikerin Natalie Grams.
Foto: Dorothée Piroëlle
Beat Glogger @higgsmag

Frau Grams, Sie sind Ärztin, haben eine Homöopathie-Praxis geführt und wollten eigentlich ein Buch schreiben über den Nutzen der Homöopathie. Doch dabei kam ein Buch heraus, in dem Sie ihr abschworen. Was ist passiert?
Natalie Grams: Ich habe der Homöopathie lange Zeit vertraut – so wie ganz viele Menschen. Ich habe sie nicht besonders kritisch hinterfragt. Auch, weil sie mir selbst geholfen hat. Für das Buch wollte ich nun einen Schritt weitergehen und mich wirklich mal mit den kritischen Punkten der Homöopathie auseinandersetzen, die ich bisher ausgeblendet hatte. Doch dabei merkte ich: Viele Argumente der Homöopathie sind auf Sand gebaut und überhaupt nicht haltbar. Sowohl was den Wirkmechanismus angeht, wie auch die Wirksamkeit.

Ganz viele Menschen erleben aber bei sich selbst, dass die Homöopathie wirkt.
Als praktizierende Ärztin hatte ich einen pragmatischen Ansatz: Sie als Patient und ich als Ärztin müssen ja gar nicht so genau wissen, wie die Homöopathie wirkt. Es reicht uns beiden doch zu erfahren, dass sie wirkt. Mit dem Wirkungsmechanismus habe ich mich gar nie so intensiv beschäftigt. Klar hatte ich vom Homöopathie-Grundlagenforscher Stephan Baumgartner gehört, der Studien mit Wasserlinsen gemacht hat. Aber ich habe mir seine Experimente nie angeschaut. Oder auch von Masaru Emoto, der mit Wasser «forscht». Erst später habe ich erfahren, dass das ein Künstler ist und mitnichten ein Wissenschaftler. Insofern habe ich mich erst sehr viel später in die Studien der Wirksamkeit der Homöopathie eingearbeitet. Und musste erkennen: Sie sind unplausibel, unwissenschaftlich und oft auch sehr widersprüchlich. Bis jetzt haben Homöopathen kein wissenschaftlich haltbares oder auch nur mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbares Modell vorgelegt, wie die Homöopathie wirken könnte.

Es gibt aber eine ganze Reihe wissenschaftlicher Studien, die eine Wirksamkeit der Homöopathie belegen.
Das habe ich früher auch gesagt: Es gibt diese Studien, die eine Wirksamkeit nahelegen, also muss doch was dran sein. Ich kann es auch niemandem verdenken, wenn er gleich denkt. Warum soll man wissenschaftlichen Studien misstrauen, gerade als Laie? Aber man muss Studien richtig lesen lernen – in meinem Medizinstudium kam das viel zu kurz.

Warum?
Wir lernten nie richtig, wie man Studien aufbaut, wie man sie interpretiert, welche Werte dafür wichtig sind, wie man Zahlen miteinander vergleicht, um zu soliden Aussagen zu kommen. Viele homöopathische Studien sind methodisch sehr schlecht. Und je schlechter sie sind, desto stärker verzerren sie die Ergebnisse zugunsten der Homöopathie. Robert Mathie, einer der wichtigsten Homöopathie-Forscher, der vier grosse Übersichtsstudien publiziert hat – und der als Homöopath sicher nicht negativ voreingenommen ist –, sagt es selbst: Die Aussagen aus Studien, dass Homöopathie besser als Placebo wirke, seien mit äusserster Vorsicht zu interpretieren, weil die methodische Qualität nicht ausreichend gut für klare Schlussfolgerungen sei.

Was heisst das?
Erst jüngst hat Mathie Ergebnisse von Überblicksarbeiten veröffentlicht und darin auch beurteilt, ob Studien zur Homöopathie einen sogenannten Bias – also eine Voreingenommenheit in der Planung oder Interpretation der Ergebnisse – haben. Die meisten Studien hatten ein «high risk of bias». Von der Behauptung der Homöopathie, schnell, sanft, dauerhaft und sicher selbst chronische und schwerste Krankheiten heilen zu können, sehen wir trotzdem nichts in wissenschaftlichen Studien. Die Ergebnisse werden von Homöopathen total überinterpretiert, wohl auch, weil sie die Sprache wissenschaftlicher Studien nicht richtig beherrschen. Das ist kein Vorwurf, sondern einfach eine Tatsache.
 
Homöopathen berufen sich oft auf eine Studie an 1,5 Millionen Holländern, die dank Homöopathie weniger krank waren, sich besser fühlten – und sogar länger lebten.
Sie sprechen die Studie von Erik Baars an. Ich muss Ihnen sagen: In dieser Studie geht es nicht um die Beurteilung der Wirksamkeit von Homöopathie. Dass diese Studie immer wieder als Verteidigung für die Homöopathie ins Feld geführt wird, wundert mich. Es zeigt, wie falsch Homöopathen «ihre» Studien zitieren. Die Studie untersuchte lediglich, wie viele Kosten Ärzte verursachen, die komplementärmedizinische Methoden zusätzlich zur Schulmedizin anwenden. Man hat weder Therapien noch Patienten verglichen, sondern nur die Kosten bei diesen Ärzten. Von den 1,5 Millionen Personen waren nur 1,2 Prozent bei solchen Komplementärmedizinern in Behandlung. Das kann man gar nicht miteinander vergleichen.
 

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Was zeigte denn die Studie?
Sie zeigte eher, dass die Patienten, die Komplementärmedizin in Anspruch nahmen, sozioökonomisch bessergestellt sind. Das heisst, sie sind per se gesünder und wahrscheinlich glücklicher. Dabei gäbe es für diese Frage viel bessere Studien. Zum Beispiel die von Claudia Witt, die auch in Zürich geforscht hat, und Julia Ostermann. Sie untersuchten 44'500 Patienten in zwei Gruppen: nur schulmedizinisch behandelte, und solche, die auch Homöopathie in Anspruch nahmen. Die Patienten wurden über 18 Monate untersucht, und es zeigte sich: Die Homöopathie-Patienten kosten deutlich mehr. Daraufhin reklamierte man, 18 Monate seien keine ausreichende Behandlungsdauer. Aber das Resultat blieb auch nach 33 weiteren Monaten Nachuntersuchung gleich. Warum zitieren Homöopathen diese Studie nicht?
 
Auch bei manchen Methoden der Schulmedizin kennt man den Wirkmechanismus nicht. Das spricht noch nicht gegen die Homöopathie.
Da gibt es zwei grossen Unterschiede. Erstens mag bei gewissen Medikamenten zwar der Wirkmechanismus nicht ganz geklärt sein. Aber dafür ist die Wirksamkeit klar bestätigt. Zum Beispiel wissen wir auch beim weit verbreiteten Schmerzmittel Paracetamol nicht ganz genau, wie es im Körper funktioniert. Aber es gibt genug Belege dafür, dass es gut darin ist, Schmerz zu lindern. Und zweitens sind die möglichen Wirkmechanismen nicht unplausibel. Sie sind nicht von vornherein mit einer Unwahrscheinlichkeit ausgestattet wie bei der Homöopathie. Diese besagt ja, dass ein nicht mehr vorhandener Wirkstoff eine Wirkung haben soll.

Es gibt doch schon Erklärungen für den Wirkmechanismus der Homöopathie: Das Wasser des Präparats kann sich an den Wirkstoff erinnern.
Diese Erklärung stimmt leider nicht.

Warum nicht?
Die Homöopathie hat nur eine zwischenmenschliche oder psychologische Wirkung, sprich Placebo. Dieser Effekt tritt bei jeder Therapie ein. Aber darüber hinaus hat die Homöopathie keine spezifische, arzneiliche Wirkung. Das ist nicht bloss meine Meinung, sondern der Stand der Wissenschaft. Es ist schlicht kein Wirkstoff vorhanden, der eine Wirkung haben könnte. Und die von Homöopathen proklamierte «Transformation in das Energetische» findet nicht statt. Das ist erwiesen aufgrund des Wissens in Chemie, Physik, Pharmakologie und Physiologie.

Bevor es den Geigerzähler gab, konnte man auch keine Radioaktivität nachweisen. Vielleicht haben wir einfach die Messmethode für die Homöopathie noch nicht gefunden.
Nein. Wir sind mit dem Wissen so weit, dass wir diese Dinge beurteilen können. Wir können beurteilen, dass bei einer grobmotorisch geschüttelten Lösung mit nicht mehr vorhandenem Wirkstoff keine Energie entsteht oder übertragen wird. Dafür reichen unsere Messmethoden völlig aus. Es ist einfach auch eine Frage des gesunden Menschenverstandes. Wir sagen ja auch nicht: Vielleicht sind es Einhörner, die uns gesund machen, wir haben einfach noch nicht die richtige Messmethode gefunden.

Aber es hat doch auch etwas Schönes, an Einhörner zu glauben.
Das stimmt. Es gibt diesen magischen Aspekt, der wundervoll ist. Wir alle glauben nicht wirklich an Einhörner oder den Osterhasen, weil es natürlich Quatsch ist. Aber wir stehen dazu, dass wir magisches Denken mit einem gewissen Humor, einer gewissen Leichtigkeit oder eingebettet in ein Glaubenssystem tolerieren. Das ist okay für Kinder, und es ist okay, wenn man religiös gläubig ist. Aber in der Medizin hat diese Magie nichts verloren. Das zu erkennen, war für mich hart. Ich habe mich aus dieser magischen Welt herausbegeben, als ich mit der Homöopathie aufhörte. Und heute muss ich sagen: Auf dem Boden der Tatsachen liegt leider zu wenig Glitzer. Vorher konnte ich an Energien glauben, die es nicht gibt. Konnte glauben, dass alles miteinander zusammenhängt. Und dass ich die Möglichkeit habe, all das zu beeinflussen. Manchmal fehlt mir das heute, aber so ist die Realität.

Was kann Homöopathie wirklich?

An der alternativmedizinischen Behandlungsmethode scheiden sich die Geister. Als Opposition zur Schulmedizin wird die Wirkung homöopatihischer Mittel immer wieder in Frage gestellt. Doch was ist Homöopathie eigentlich?

Globuli

Globuli sind die wohl bekanntesten homöopathischen Arzneimittel.

Getty Images

An der alternativmedizinischen Behandlungsmethode scheiden sich die Geister. Als Opposition zur Schulmedizin wird die Wirkung homöopatihischer Mittel immer wieder in Frage gestellt. Doch was ist Homöopathie eigentlich?

Mehr Wissen auf higgs – das Magazin für alle, die es wissen wollen.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?