Schon in der Antike träumten Menschen vom Jungbrunnen – heilendes Wasser, in dem alle Altersgebresten abfallen und dem man jung, knitterfrei und voller Elan wieder entsteigt. Heute hat sich eine ganze Industrie um Anti-Ageing gebildet – vom Skalpell, das Falten wegschneidet, über ganze Ernährungsphilosophien bis hin zu Ratgeberbüchern. Der neuste in der Reihe Ratgeber stammt vom Autor und Harvard-Professor David Sinclair (50). Und er verspricht in seinem neuen Buch «Das Ende des Alterns» Revolutionäres: Altern, so seine – für diesen Artikel etwas vereinfachte – These, sei wie eine Krankheit. Und es gebe Mittel dagegen.
Sinclair ist, wenn auch nicht unumstritten, nicht irgendwer: In den 1990er-Jahren sorgte der australische Biologe und heutige Professor für Genetik am MIT für wissenschaftliches Aufsehen, als er den Mechanismus entdeckte, der zu Alterung von Hefezellen führte. Von dieser Forschung ausgehend haben sich Sinclair und seine Laborkollegen mit den Mechanismen beschäftigt, die zur Alterung des Menschen führen.
Verantwortlich seien fehlende Sirtuine
2013 publizierte er erste Resultate: Er geht davon aus, dass nicht richtig funktionierende Proteine namens Sirtuine für die Alterung zuständig sind. Sirtuine sind dafür verantwortlich, DNA-Schäden zu reparieren und die Zellgesundheit zu überwachen. Sie bringen sozusagen Zellen dazu, sich so zu verhalten, wie sie es tun sollten. Sinken die Sirtuinwerte im Körper, komme es zu Fehlleistungen dieser Zellen, also eigentlich einzelner Organe, schreibt Sinclair – ob dies nun Hautzellen sind, die Falten werfen, oder Nierenzellen, die nicht mehr richtig funktionieren.
Hätten wir also stets genügend von diesen Sirtuinen, so Sinclairs Umkehrschluss, würden unsere Zellen funktionieren wie geschmiert. Unser Körper verfügt aber im Alter von 50 Jahren nur über halb so viele Sirtuine wie mit 20. Der Grund sei, dass er dann zu wenige sogenannte NAD besitze – ein Molekül, welches diese Sirtuine aktiviert.
ETH-Professor Michael Ristow relativiert
Sinclairs einfacher Schluss: Wenn wir stets über genügend NAD verfügen, altern wir nicht. Experten sind darüber geteilter Meinung. ETH-Professor Michael Ristow (52) beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Metabolismus unserer Zellen. Er zollt Sinclair zuerst Respekt: «Die Arbeiten von David Sinclair sind valide und wichtig», sagt er auf Anfrage – relativiert allerdings: «Insgesamt sollte aber deutlich werden, dass Sirtuine lediglich ein von zahlreichen Regulationsmechanismen sind, die zu Alterung beitragen bzw. diese verzögern können. Diese sind in seinem Buch durchaus erwähnt, aber mit geringerer Gewichtung als Sirtuine.»
Sinclairs Lösung für das Problem des Alterns ist einfach: Regelmässiges Fasten, Bewegung und Kälte würden die körpereigene Produktion dieser NAD anregen, genauso wie die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, welche sogenanntes Resveratrol beinhalten. Dieses aktiviert sozusagen die «guten» Sirtuine.
Tatsächlich, da ist sich die Wissenschaft einig, haben sowohl die Techniken wie auch Resveratrole eine lebensverlängernde Wirkung. Insbesondere das Fasten wirkt lebensverlängernd, haben diverse Studien gezeigt – erst an Hefen und Mäusen. Studien an Menschen zeigen auch, dass Fasten den Blutdruck, Blutzuckerspiegel und die Cholesterinwerte senkt – alles Werte, die sich im Alter normalerweise erhöhen. Weitere Studien bewiesen anhand von sogenannten Biomarkern – unter anderem Blutwerte –, dass eine Kalorienreduktion von zwölf Prozent das biologische Altern tatsächlich verzögert. Alles so weit gut und schön – es ist aber eigentlich auch seit längerem bekannt, dass Mässigung und Bewegung und ab und zu kühle, frische Luft uns guttun. Das Rad neu erfunden hat man nun wahrlich nicht.
Unschöne Vermischung von Forschung und Geschäft
Sinclairs Clou ist es aber, uns in seinem Buch eine Abkürzung zu präsentieren. Und da wird das Ganze ziemlich fragwürdig und zudem unsympathisch: NAD könne man auch künstlich zuführen, sagt Sinclair. Dann bleibe unsere Haut straff, das Hirn frisch, und die Gelenke begännen auch nicht zu schlackern. Eine Lebenserwartung von rund 113 Jahren bei bester Gesundheit soll so möglich werden.
Wie praktisch, dass er bei der Patentierung des entsprechenden Produkts beteiligt ist. Und bei aller ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Exzellenz ist es augenfällig, dass hier nun keine Studie, sondern plötzlich Sinclairs Vater präsentiert wird: Der sei 80, habe die NAD zu schlucken begonnen – und plötzlich sei seine frühere Gebrechlichkeit wie weggeblasen. Nicht ganz so augenfällig, sondern nur nach einer gewissen Suche zu finden, ist zudem Folgendes: Sinclair beruft sich auf Biomarker-Studienergebnisse, welche die Firma Insidetracker durchgeführt habe. Und wer ist nun wohl Investor bei dieser Firma? Drei Mal darf man raten.
Wunderpillen sind ein altes Versprechen
Die Wundermittel, die Altersgebresten wegzaubert – nun, das haben Wandergaukler schon im Mittelalter versprochen, nur waren es damals halt Wundertinkturen. ETH-Professor Ristow sagt denn auch klar und deutlich: «Ich bin nicht einverstanden mit der Aussage des Buches, Alterung vollständig stoppen zu können. Ich halte dies für sehr schwer vorstellbar und auch nicht wünschenswert.»
Sinclairs Buch lohnt sich aber trotz aller Bedenken: Neben der nicht unkomplexen Wissenschaft erfährt man Tipps und Tricks, was man für ein längeres Leben tun soll. Wir haben aber nach der Sinclair-Lektüre auch eine Abkürzung für Sie, die zudem nichts kostet: Zweimal im Jahr eine Fastenwoche einschalten, tägliche Bewegung, Mass bei der Ernährung mit viel Gemüse und Obst und einmal täglich für eine Minute kalt duschen. Und die Heizung ein, zwei Grad tiefer schalten. Die guten Reversatrole holt man sich mit einer täglichen Dosis roter Beeren und so einmal die Woche mit einem (nur einem) Gläsli Rotwein. Da sind die auch drin. Gern geschehen.