Gesundheit
Handy-App und Bildschirm statt Couch

Zürich/Leipzig – Ob Essstörungen, Depressionen oder Tinnitus: Eine Psychotherapie per Bildschirm, E-Mail oder unterstützender App bietet Vorteile gegenüber der klassischen Couch, berichten deutsche und Schweizer Forschende. Sie ersetzten jedoch nicht den lebendigen Therapeuten.
Publiziert: 24.03.2015 um 09:35 Uhr
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Aktualisiert: 09.09.2018 um 13:25 Uhr

Die Onlinetherapie senke die Hemmschwelle, könne lange Wartezeiten für Patienten überbrücken und sei ortsunabhängig. Allerdings seien Internettherapien nicht für jedermann und für alle psychischen Krankheiten geeignet, vor allem nicht bei komplexen Fällen.

«Die Internetangebote können die herkömmlichen Therapien nicht komplett ersetzen», sagt Anette Kersting vom Universitätsklinikum Leipzig. Sie seien aber «eine Ergänzung» zur klassischen Behandlung, bei der sich Therapeut und Patient gegenüber sitzen.

Das Uniklinikum hat zwei Forschungsprojekte zu Internettherapien abgeschlossen - für Frauen, die ihr Kind während der Schwangerschaft verloren haben, und für Patienten mit Binge-Eating-Störung, die unter immer wiederkehrenden Essanfällen leiden.

Die Betroffenen erhielten über einen längeren Zeitraum Schreibaufgaben; die Kommunikation mit dem Psychotherapeuten erfolgte auf einer geschützten Plattform. «Solche Therapien wirken ähnlich gut wie vergleichbare ambulante Behandlungen», meint Kersting.

Das bestätigte auch eine Studie von Forschern aus Leipzig und Zürich. Zudem erleichtern sie vielen Betroffenen die Hilfesuche, weil die Anonymität gewahrt bleibt. «Kein Mensch sieht den Patienten in die Praxis eines Psychotherapeuten gehen», sagt Kersting.

Die Psychosomatikerin verweist aber auch auf die Grenzen der Fernbehandlung: Patienten mit komplexen Krankheitsbildern, schweren Depressionen oder auch Suizidgefährdete könnten damit nicht ausreichend betreut werden.

In Deutschland gibt es inzwischen diverse Angebote, etwa bei Tinnitus (störenden Ohrgeräuschen), mittelschweren Depressionen oder Magersucht. Das Uniklinikum Tübingen setzt bei der Behandlung von Magersüchtigen auf videobasierte Behandlungen, bei der ein Therapeut dem Patienten am Bildschirm gegenüber sitzt.

«Das ist ein wichtiger Baustein, um die Kontinuität bei der Nachsorge von Magersüchtigen zu gewährleisten», sagt der Tübinger Experte Stephan Zipfel. Er ist Präsident des am Mittwoch beginnenden Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, der sich auch mit Internettherapien befasst.

In der Schweiz bietet die Universität Zürich Online-Therapien bei Depressionen, Traumata oder anhaltender schwerer Trauer an, die Uni Bern bei sozialer Phobie. Eine Art «virtuelle Psychologenpraxis» ist www.psy-help-online.ch. Derzeit werden diese Angebote nicht von der Grundversicherung bezahlt.

In anderen Ländern wie Schweden und den Niederlanden ist die onlinegestützte Therapie bereits Teil des regulären Versorgungssystems.

Im Internet finden Patienten mittlerweile auch zahlreiche Selbsthilfeangebote, die ähnlich wie ein Ratgeberbuch aufgebaut sind, aber auch Übungen anbieten und bei Bedarf die Rückmeldung von Experten. Dazu zählen zum Beispiel deprexis.de und novego.de, die Hilfe bei leichten bis mittelschweren Depressionen, Burnout oder Phobien versprechen.

Um einen Wildwuchs von Psychotherapie-Angeboten im Internet zu verhindern, fordert die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) klare Qualitätsstandards. «So sehr wir in der Psychotherapie neue und moderne Handlungsmöglichkeiten integrieren möchten, so dringend brauchen wir Regeln für die einzuhaltenden Standards», mahnte die Bundesvorsitzende Barbara Lubisch im vergangenen Jahr auf einem Symposium.

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