Evelyne Leandro (35) litt an der «Strafe Gottes»
«Ich hatte Lepra»

Bei uns ist diese Krankheit fast vergessen – aber noch immer steckt sich irgendwo auf der Welt alle paar Sekunden ein Mensch mit Lepra an. Evelyne Leandro (35) war eine von ihnen.
Publiziert: 18.10.2016 um 15:29 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 19:11 Uhr
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Evelyne Leandro (35) mit einem Bild, das sie während ihrer Erkrankung zeigt. Ihr Körper war voller Flecken.
Foto: Philippe Rossier
Adrian Meyer (Text) und Philippe Rossier (Fotos)

Vor fünf Jahren war Evelyne Leandro (35) ein «Siech». So wurden Leprakranke einst genannt. Die Diagnose erhielt sie «am 30. Januar 2012, einen Tag nach dem Weltlepratag», sagt sie.

Heute ist «Siech!» ein Fluchwort – nur das ist geblieben von der verheerenden bakteriellen Infektionskrankheit. Lepra gilt hierzulande als ausgerottet, vergessen. Der letzte Schweizer Leprakranke starb 1927 in Brig VS. Heute denkt man bei Lepra ans Mittelalter, als Infizierte von allen verstossen ausserhalb der Städte leben mussten, in Siechenhäusern, als Bettler. Wenn sie sich näherten, mussten sie die Gesunden mit Klappern warnen.

Inkubationszeit bis zu 20 Jahre

Doch Evelyne Leandro, gebürtige Brasilianerin, lebt in der Gegenwart: seit 2010 mit ihrem deutschen Ehemann in Berlin. Nie wurde klar, wie und wo sie sich angesteckt hat. Die Inkubationszeit des Erregers beträgt bis zu 20 Jahre. «Nicht zu wissen, warum ich die Krankheit bekam, liess mich fast verzweifeln», sagt Leandro. «Ich hatte nie jemandem wehgetan. Womit hatte ich das verdient?»

Seit den 80er-Jahren ist Lepra heilbar, die Behandlung kostenlos. Die Weltgesundheitsorganisation WHO will die Krankheit ausrotten, weltweit wurde sie zurückgedrängt.

Aber noch immer erkrankt alle paar Sekunden ein Mensch am «Aussatz». 2014 waren es über 200'000, meist in ärmlichen Gegenden ohne Gesundheitsversorgung. 80 Prozent der Betroffenen infizieren sich in Indien und Brasilien.

«Die Schmerzen waren unbeschreiblich»

Evelyne Leandro ist nach Bern gekommen, an das 50-Jahr-Jubiläum von ILEP, der internationalen Vereinigung der Anti-Lepraorganisationen mit Sitz in Genf (siehe Box). Im Gepäck hat die studierte Betriebswirtschaftlerin ihr Buch «Ausgesetzt», in dem sie ihr Schicksal beschreibt. «Schreiben war meine Therapie», sagt sie. «Weil ich lange nicht über die Krankheit reden konnte und wollte.»

Um die Lepra-Bakterien in ihrem Körper zu töten, schluckte sie 16 Monate lang drei verschiedene Antibiotika, ein Flächenbombardement auf ihr Immunsystem. Die Nebenwirkungen waren heftig, ihre Arme und Beine schwollen an. Gegen die Entzündungen bekam sie täglich 150 Milligramm Cortison. «Die Schmerzen waren unbeschreiblich.»

Leandro litt an multibazillärer Lepra, der schwersten Form, bei der sich die Bakterien im ganzen Körper ausbreiten. Wo sie sich ins Nervensystem frassen, am linken Ellbogen und rechten Knie, spürt sie taube Stellen. Äusserlich anzumerken ist ihr nichts. Ärzte stutzen, wenn sie ihnen von ihrer Lepra-Erkrankung berichtet: «Sie glauben mir nicht, das ist sehr unangenehm.»

Bleibt Lepra unbehandelt, sind die Folgen erschreckend: Flecken auf der Haut, verstümmelte Gliedmassen, Geschwüre, entstellte Gesichter. Viele Jahrhunderte lang hielt man Lepra für eine «Strafe Gottes». Im Alten Testament heisst es: «Wer nun aussätzig ist, soll zerrissene Kleider tragen und das Haar lose und den Bart verhüllt und soll rufen: Unrein, unrein!»

«Es war nicht umsonst»

Noch immer haftet an der Lepra ein hartnäckiges Stigma. Die Vorstellung, dass Lepra Körperteile abfaulen lässt, ist falsch. Weil Betroffene ihr Schmerzempfinden an Hand und Fuss verlieren, verletzen sie sich häufig, die infizierten Wunden können zum Verlust von Gliedmassen führen. Zudem ist Lepra nur schwach ansteckend.

Evelyne Leandro hat die Krankheit besiegt. Doch sie prägt ihr Leben: «Ich bin immer noch eine Leprabetroffene», sagt sie. Um ihrer Erkrankung einen Sinn zu geben, wurde sie zur Botschafterin im Kampf dagegen. Sie hält Lesungen, arbeitet als Bildungsreferentin für Hilfsprojekte – um zu zeigen, dass Lepra noch lange nicht besiegt ist. «Das ist meine Art zu sagen: Ich habe das durchgemacht, aber es war nicht umsonst.»

Kampf gegen vernachlässigte Krankheiten

Ihr 50-jähriges Bestehen feierte die internationale Vereinigung der Anti-Lepraorganisationen ILEP im Siechenhaus Burgdorf BE. Gastgeber war die Schweizer NGO Fairmed. Wie viele weitere Hilfsorganisationen kämpft die Berner Stiftung um mehr Aufmerksamkeit – und mehr Forschungsgelder – für sogenannte vernachlässigte Krankheiten. Neben Lepra zählen dazu etwa die Schlafkrankheit, Bilharziose, Tollwut, die Guineawurm-Erkrankung oder das Dengue-Fieber. Mehr als eine Milliarde Menschen sind laut WHO von ihnen betroffen.

Ihr 50-jähriges Bestehen feierte die internationale Vereinigung der Anti-Lepraorganisationen ILEP im Siechenhaus Burgdorf BE. Gastgeber war die Schweizer NGO Fairmed. Wie viele weitere Hilfsorganisationen kämpft die Berner Stiftung um mehr Aufmerksamkeit – und mehr Forschungsgelder – für sogenannte vernachlässigte Krankheiten. Neben Lepra zählen dazu etwa die Schlafkrankheit, Bilharziose, Tollwut, die Guineawurm-Erkrankung oder das Dengue-Fieber. Mehr als eine Milliarde Menschen sind laut WHO von ihnen betroffen.

Lepra: Das müssen Sie wissen

Was ist Lepra?

Lepra ist eine der ältesten Krankheiten der Menschheit – sie wurde bereits in ägyptischen Mumien nachgewiesen. Die chronische Infektionskrankheit gilt in Europa als ausgerottet und vergessen. Doch noch immer infizieren sich damit weltweit jedes Jahr mehr als 200'000 Menschen neu.

Wie stecken sich Betroffene an?

Lepra wird durch den Erreger Mycobacterium leprae ausgelöst. Noch immer ist unklar, wie die Krankheit wirklich übertragen wird – am ehesten vermuten Forscher eine Übertragung über die Atemwege. Entgegen der allgemeinen Annahme ist Lepra nur schwach ansteckend. Von der Infektion bis zum Ausbruch von Lepra können mehrere Jahre vergehen.

Was sind die Symptome?

Das Lepra-Bakterium greift die Haut, Nerven und innere Organe an. Typisches Merkmal sind gerötete Hautflecken. Betroffene verlieren im fortgeschrittenen Stadium ihr Schmerzempfinden, sie verletzen sich daher oft unbemerkt an Händen und Füssen. Bleiben die Wunden unbehandelt, können Gliedmassen absterben. Lepra ist seit den 80er-Jahren heilbar durch eine bewährte und kostenlose Therapie mit drei Antibiotika.

Wo tritt Lepra heute noch auf?

Weltweit wurde die Krankheit in den letzten Jahren stark zurückgedrängt. Die meisten Betroffenen infizieren sich heute in Indien und Brasilien (mehr als 80 Prozent). Weitere Länder mit Lepra sind: Bangladesch, Kongo, Äthiopien, Indonesien, Madagaskar, Mosambik, Myanmar, Nepal, Nigeria, Philippinen, Sri Lanka und Tansania.

Was ist Lepra?

Lepra ist eine der ältesten Krankheiten der Menschheit – sie wurde bereits in ägyptischen Mumien nachgewiesen. Die chronische Infektionskrankheit gilt in Europa als ausgerottet und vergessen. Doch noch immer infizieren sich damit weltweit jedes Jahr mehr als 200'000 Menschen neu.

Wie stecken sich Betroffene an?

Lepra wird durch den Erreger Mycobacterium leprae ausgelöst. Noch immer ist unklar, wie die Krankheit wirklich übertragen wird – am ehesten vermuten Forscher eine Übertragung über die Atemwege. Entgegen der allgemeinen Annahme ist Lepra nur schwach ansteckend. Von der Infektion bis zum Ausbruch von Lepra können mehrere Jahre vergehen.

Was sind die Symptome?

Das Lepra-Bakterium greift die Haut, Nerven und innere Organe an. Typisches Merkmal sind gerötete Hautflecken. Betroffene verlieren im fortgeschrittenen Stadium ihr Schmerzempfinden, sie verletzen sich daher oft unbemerkt an Händen und Füssen. Bleiben die Wunden unbehandelt, können Gliedmassen absterben. Lepra ist seit den 80er-Jahren heilbar durch eine bewährte und kostenlose Therapie mit drei Antibiotika.

Wo tritt Lepra heute noch auf?

Weltweit wurde die Krankheit in den letzten Jahren stark zurückgedrängt. Die meisten Betroffenen infizieren sich heute in Indien und Brasilien (mehr als 80 Prozent). Weitere Länder mit Lepra sind: Bangladesch, Kongo, Äthiopien, Indonesien, Madagaskar, Mosambik, Myanmar, Nepal, Nigeria, Philippinen, Sri Lanka und Tansania.

Oft leicht heilbar!
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