Eine Leserin schreibt «Immer, wenn mein Mann Bernhard die 100-Kilo-Grenze überschreitet, beginnt er nachts zu schnarchen.» Dann bringe sie jeweils das Thema Diät auf den Tisch.
«Das ist ziemlich riskant», sagt Ernährungspsychologe Robert Sempach, der jahrelang in seiner Praxis übergewichtige Paare beraten hat und jetzt in der Prävention tätig ist (unter anderem als Präsident des Schweizerischen Fachverbandes Adipositas im Kindes- und Jugendalter).
Das Gewicht des Partners ist oft ein Tabu-Thema
Zwar legen statistisch gesehen Singles einige Kilos zu, sobald sie eine feste Bindung eingehen. Doch der Speck auf den Rippen ist in den meisten Zweierteams ein Tabu-Thema, egal, ob beide übergewichtig sind oder nur einer der Partner. «Schweigen ist aber gar nicht so falsch», weiss der Experte. Denn Liebe bedeutet auch, dass man den anderen so akzeptiert, wie er ist. Bemerkungen über den dicken Bauch stellen ganz schnell das Grundprinzip einer Beziehung infrage.
Der Ernährungspsychologe rät darum zu warten, bis der Übergewichtige das Thema selber anschneidet – und ihn dann beim Abnehmen zu unterstützen.
5 Tipps um den Partner beim Abnehmen zu unterstützen
- Paardynamiken erkennen
Zweierteams geben sich oft gegenseitig die Erlaubnis, ein wenig über die Stränge zu schlagen. Und ein Glas Wein wird auch mal aus falscher Solidarität zum anderen mitgetrunken. Jeder für sich muss darum lernen, mit Genuss umzugehen. - Verletzungen vermeiden
Als Partner sollte man mit Bemerkungen zum Gewicht oder auch nur schiefen Blicken zurückhaltend sein. Sie gehen viel tiefer als etwa Klagen über schlechte Mödeli. - Im Umfeld wirken
Fordert der Partner Hilfe ein, leistet man diese am besten im Umfeld. Etwa, indem man keine Süssigkeiten einkauft. Oder den Liebsten beim Sport begleitet. Man sollte aber nicht zur Kontrollinstanz werden. Abnehmen verlangt Eigenverantwortung. - Offen kommunizieren
Wer selber abnimmt, gibt gegenüber der Familie, aber auch den engen Freunden, die Spielregeln bekannt. Und erklärt, warum man etwa auf Wein verzichtet oder die Zutaten abwägen will. Die Verhaltensänderungen sollten verbindlich, aber nicht stur oder rigoros sein. - Weiter geniessen
Wenn eine Diät das ganze Leben bestimmt, riskiert man schnell das Verständnis der andern. Aber nur, wenn das Umfeld die Kiloreduktion mitträgt, ist ein langfristiger Erfolg möglich. Darum lieber weniger schnell abnehmen und sich dafür etwas Essgenuss gönnen.
Eine Unterstützung ist sehr wichtig
Behutsames Vorgehen ist vor allem wichtig, wenn nur jemand in der Partnerschaft übergewichtig ist. So wie bei Riccardo Keller (48) aus Kilchberg ZH. Er wog 115 bis 120 Kilo, seine Frau ist normalgewichtig. In der über 25-jährigen Beziehung war das Gewicht aber erst ein Thema, als Riccardo Keller mit Abnehmen begann. Denn: «Wenn man langsam, aber nachhaltig Gewicht verlieren will, muss man ziemlich kompromisslos und konsequent sein», weiss er.
Während der Abnehmphase bekamen das Ehefrau und Freunde durchaus zu spüren. «Ich habe zum Beispiel das Essen konsequent gewogen; da hat meine Frau schon ab und zu die Augen verdreht.» Zudem verzichtete er konsequent auf Wein und ging täglich joggen. Vor allem anfangs musste Keller aufpassen, nicht allzu verbissen sein Ziel zu verfolgen. «Direkt nach dem Nachtessen aufstehen und wie vergiftet die Kalorien notieren, das nervt natürlich den Partner», sagt er. Und auch Kollegen fanden, er sei auf einmal weniger gesellig als früher.
Das kommt Ernährungspsychologe Robert Sempach bekannt vor: «Abnehmen ist immer eine Gratwanderung.» Wer nur noch die Diät im Kopf habe, verliere das Verständnis des Umfeldes – und meist irgendwann selber die Motivation. Er rät, das Tempo nicht zu sehr zu forcieren und das Geniessen nicht zu verlernen.
«Wenn der Partner wie bei mir nicht abnehmen muss, braucht es viel Disziplin, um nicht aufzugeben und in den Alltagstrott zurückzufallen», sagt Riccardo Keller. Er hat über 25 Kilogramm verloren, fühlt sich besser und hat mehr Selbstvertrauen. Frau und Freunde freuen sich zudem, dass nun auch weider einige gesellige Abende mit Wein drinliegen.