Wer sich allein fühlt, spürt oft psychische Auswirkungen davon, zum Beispiel Angstzustände und Depressionen. Aber nicht nur das: Wissenschaftlich ist erwiesen, dass sich Einsamkeit auch auf den Körper auswirkt: Ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der schnelle Abbau kognitiver Leistungen sowie allgemeine Probleme aufgrund einer ungesunden Lebensweise, beispielsweise Übergewicht. Denn Menschen, die unter Einsamkeit leiden, weisen häufig eine ungesunde Lebensweise und insbesondere eine ungesunde Ernährung auf.
Das ist kein Zufall. Eine Studie der Universität von Kalifornien in Los Angeles (USA) hat in diesem Kontext Anfang April eine erstaunliche Tatsache festgestellt: Das Gehirn von Frauen, die sich einsam fühlen, funktioniert anders als das Gehirn von Frauen, die nicht einsam sind. Und zwar konkret dann, wenn sie mit Bildern von Essen konfrontiert werden. Die Schlussfolgerung der Forschenden: Einsamkeit hat direkte Auswirkungen auf das Essverhalten.
Einsamkeit und schlechte Essgewohnheiten
Für die Studie untersuchten die Forschenden 93 Frauen. Zuerst wurden diese gebeten, das Ausmass ihrer sozialen Kontakte zu bewerten. Dann mussten sie Fragen zu ihren Essgewohnheiten beantworten. Und zuletzt wurde die Gehirnfunktion der Teilnehmenden untersucht, während ihnen Bilder von Lebensmitteln vorgelegt wurden.
Die Studienautoren halten fest: «Die sozial isolierten Teilnehmerinnen wiesen einen höheren Körperfettanteil und eine schlechtere Ernährung auf. Ausserdem hatten sie häufiger Heisshungerattacken und konnten ihre Ernährung weniger gut kontrollieren.» MRI-Scans hätten diesen Zusammenhang unterstrichen.
Schlecht funktionierende «Bremsen»
Frauen, die sich einsam fühlten, wiesen beim Anblick der Essensbilder eine höhere Hirnaktivität in den Bereichen Aufmerksamkeit und Motivation auf. Ihr Gehirn konzentrierte sich stark auf das Essen und war sensibel darauf. Das führte zu einem erhöhten Verlangen nach Essen, bis hin zum Heisshunger.
Der Gehirnbereich, der für Kontrolle und Zurückhaltung zuständig ist, reagierte dagegen weniger stark. Die Studienleiterin Arpana Gupta sagte der «Washington Post» dazu: «Kontrolle über das Essverhalten funktioniert wie eine Bremse. Wenn die Bremsen richtig gut funktionieren, reicht ein kleiner Druck auf das Bremspedal, um dem Heisshunger zu widerstehen.» Wenn sie jedoch fehlerhaft sind, besteht das Risiko, dass man schnell nachgibt – auch wenn man versucht, zu bremsen.
Mit Zucker gegen Kummer
Auch die Art der Lebensmittel spielt eine Rolle. Die Forscherinnen führten die Tests mit verschiedenen Bildern durch. Einige Teilnehmerinnen sahen kalorienreiche süsse oder salzige Speisen, wie Eis und Schokoladenkuchen oder Burger und Pommes. Andere Teilnehmerinnen sahen Bilder von gesunden Lebensmitteln wie Obst und Salat.
Dabei zeigte sich: Die Bilder von kalorienreichem und süssem Essen lösten im Gehirn die stärksten Reaktionen aus. Für Gupta kein Zufall: Zucker stimuliert die mit Genuss verbundenen Gehirnregionen und konnte helfen «den Schmerz und das Unwohlsein zu verringern, die mit dem Alleinsein verbunden sind». Sie betont, dass eine vergleichbare Studie auch mit männlichen Teilnehmern durchgeführt werden müsse, um herauszufinden, ob es geschlechterspezifische Unterschiede gibt.
Ein Problem für die öffentliche Gesundheit
Sicher ist, dass die Studienergebnisse die verbreitete Vorstellung widerlegen, dass Menschen, die sich schlecht ernähren, nur ihre Essgewohnheiten ändern müssen, um dies zu tun. Tatsächlich bedarf es einer ganzheitlichen Betrachtung der Situation, um die Reaktionen unseres Gehirns im Zusammenhang mit Krankheiten wie Übergewicht zu verstehen – dazu zählt auch das Gefühl von Einsamkeit.
Immer mehr Fachleute fordern deshalb, die soziale Isolation als ein ernstzunehmendes Problem der öffentlichen Gesundheit zu betrachten. Denn: In der Schweiz sind heute 42,3 Prozent der Bevölkerung von Einsamkeit betroffen.