Ist Fruchtzucker gesünder als raffinierter Zucker?
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Dr. Twerenbold klärt auf:Ist Fruchtzucker gesünder als raffinierter Zucker?

Fruchtzucker
Doppelt so süss und halb so teuer

Zucker ist nicht gut für uns. Darum verjagte Gott Adam und Eva aus dem Paradies. Fruktose ist giftiger als andere Zuckerarten. Dennoch erlaubt die EU Nahrungsmittelmultis, Fruktose als gesund anzupreisen.
Publiziert: 22.04.2019 um 16:27 Uhr
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Aktualisiert: 17.07.2019 um 20:15 Uhr
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Ob Mann oder Frau: Menschen mögen Äpfel und andere Früchte. Doch die darin enthaltene Fruktose ist nicht bekömmlich.
Foto: Thinkstock
Werner Vontobel

«Fructose is poison» – Fruktose ist Gift: Diesen Satz sagt Professor Robert Lustig von der University of California etwa zwanzig mal im Verlaufe seines eineinhalbstündigen Vortrags. Rund drei Millionen Menschen weltweit haben seinen brillanten Fruktose–Verriss inzwischen angeklickt, darunter vermutlich auch sämtliche Mitglieder der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) .

Doch nun ermuntert ausgerechnet diese Behörde die Nahrungsmultis, andere Zuckerarten wie Sukrose oder Glukose zu mindestens 30 Prozent durch Fruktose zu ersetzen. Damit dürfen sie ab dem 2. Januar 2014 behaupten, dass ihre Produkte den Blutzucker senken, was allgemein als gesund gilt.

Süss und günstig

How comes? Lustig hat die Antwort in seinem Vortrag schon vorweggenommen: Aus Maisstärkesirup gewonnene Fruktose ist doppelt so süss und nur halb so teuer wie normaler Zucker, der sich je zur Hälfte aus Glukose und Fruktose zusammensetzt. Maisstärkesirup kann chemisch mit bis zu 90 Prozent Fruktose aufgepeppt werden. So können die Nahrungsmultis ihre Gewinnmargen erhöhen und die Kunden an sich binden. Wer erst einmal auf den supersüssen Geschmack kommt, empfindet normalsüss als fad.

Zudem erhöht Fruktose den Blutzuckerspiegel tatsächlich langsamer als Glukose. Diese hat einen glykämischen Index von 100, gegenüber bloss 20 für Fruktose. Ein tiefer glykämischer Index ist von Vorteil, weil die Bauchspeicheldrüse weniger Insulin ausschütten muss, um die Glukose im Blut wieder abzubauen. Das verringert die  Gefahr vom Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht. Kein Wunder spielt der «Glyx-Index» in fast allen Mode-Diäten der letzten zehn Jahre eine entscheidende Rolle.

Diverse Studien zeigen, dass auch der langfristige Blutzuckerspiegel tendenziell sinkt, wenn Glukose durch Fruktose ersetzt wird. In diesem Punkt hat die EFSA richtig entschieden.

Umbau zwingend

Aber die Geschichte hört hier nicht auf. Fruktose hat nämlich deshalb einen so tiefen glykämischen Index, weil der Körper mit allen Mitteln verhindert, dass diese Zuckerart ins Blut gelangt. Während Glukose von allen Körperzellen und von allen Bakterien verwendet beziehungsweise verstoffwechselt werden kann, muss Fruktose erst zu Glukose und Laktat umgebaut werden. Das geschieht überwiegend in der Leber, die dadurch auch überbeansprucht werden kann.

In diesem Sinne – erklärt Lustig – wirkt Fruktose ganz ähnlich wie Alkohol, bloss langsamer: von der Fettleber bis zur Leberzirrhose und zum Delirium tremens. Gemäss diversen Studien haben Glukose und Fruktose dieselbe Auswirkung auf das Körpergewicht. Laut Lustig führt der Verzehr von grossen Mengen von Fruktose vor allem dazu, dass die inneren Organe verfetten, während sich Glukose vor allem am Bauch im Fettgewebe der Haut niederschlägt.

Fachleute streiten sich, wie sich der unterschiedliche Stoffwechsel von Glukose und Fruktose auf die Gesundheit auswirkt. Je nachdem, ob dicke, dünne, alte, junge, gesunde oder kranke Personen untersucht wurden, zeigen die Untersuchungen unterschiedliche Ergebnisse.

Doch eigentlich kommt es darauf gar nicht an: Ab 50 Gramm Zucker pro Tag fängt sowieso die gesundheitliche Gefahrenzone an. Darunter zu bleiben schafft man nur, wenn man alle zuckrigen Speisen und Getränke meidet – Fruktose hin, Glukose her.

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Vier Fakten über Fruchtzucker

Eine ETH-Studie warnt vor zu viel Fruktose in Lebensmitteln. Diese 4 Fakten zeigen, wie ungesund Fruchtzucker ist.

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Eine ETH-Studie warnt vor zu viel Fruktose in Lebensmitteln. Diese 4 Fakten zeigen, wie ungesund Fruchtzucker ist.

Fruchtzucker – schon Gott warnte uns davor

Der liebe Gott hat Adam und Eva die Äpfel nicht zufällig ausgetrieben. Fruchtzucker schmeckt zwar süss und verlockend, wirkt aber schon in relativ kleinen Mengen giftig.

Seitdem ich mich intensiver mit Lebensmittelchemie befasse, habe ich mich an Überraschungen gewöhnt. Aber das war doch ein wenig viel. Fruchtzucker soll giftig sein? Wohl nur in ganz hohen Dosen, oder? Offenbar nicht. Der Arzt Paul Jaminet meint: «Fruktose ist in jeder Dosierung Gift.» Sein Kollege William Davis meint gar: «Schon eine regelmässige Dosis von 25 Gramm und mehr erhöht das Risiko von Demenz und Alzheimer massiv und bringt die Insulinregulierung des Körpers ausser Rand und Band.»

Ist brauner Zucker tatsächlich gesünder?

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen braunem und weissem Zucker? Und ist nur weisser Zucker ungesund? Zum Thema Ernährung kursieren viele Gerüchte und Behauptungen. BLICK weiss, welche stimmen – und welche nicht.

ullstein bild via Getty Images

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen braunem und weissem Zucker? Und ist nur weisser Zucker ungesund? Zum Thema Ernährung kursieren viele Gerüchte und Behauptungen. BLICK weiss, welche stimmen – und welche nicht.

25 Gramm Fruktose: Das entspricht etwa zwei Gläsern Fanta oder drei mittelgrossen Bananen.

Offenbar hat auch Gott darauf reagiert, als er Adam und Eva aus dem Paradies verjagte, weil sie sich an den dort tief hängenden Früchten vergreifen wollten. Im Lichte der modernen Ernährungsforschung war die Vertreibung aus dem Paradies offenbar keine Strafe, sondern eine fürsorgliche Massnahme. Schliesslich hat Gott dem Menschen einen Fleisch- und Gemüse-, und nicht einen Früchtemotor eingebaut.

Fakten zu Zucker
  • Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, die Zufuhr von zugesetztem Zucker auf maximal 10 Prozent der täglichen Energiezufuhr einzuschränken.
  • Bei einem Konsum von 2000 kcal entspricht das 50 g Zucker.
  • Der durchschnittliche Schweizer nimmt pro Tag 110 g Zucker zu sich. Das entspricht 19 Prozent der Gesamtenergiezufuhr und ist damit doppelt so viel wie empfohlen.
  • Isst jemand einen Becher (180 g mit durchschnittlich 17 g Zucker) Joghurt mit einer Portion Frühstückscerealien, nimmt er bereits mehr als die Hälfte der von der WHO empfohlenen Menge Zucker zu sich.
  • Der Begriff «zugesetzter Zucker» bezieht sich auf Saccharose, Fruktose, Glukose, Stärkehydrolysate und andere isolierte Zuckerpräparate. Auch Honig und Ahornsirup zählen zum zugesetzten Zucker.
  • Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, die Zufuhr von zugesetztem Zucker auf maximal 10 Prozent der täglichen Energiezufuhr einzuschränken.
  • Bei einem Konsum von 2000 kcal entspricht das 50 g Zucker.
  • Der durchschnittliche Schweizer nimmt pro Tag 110 g Zucker zu sich. Das entspricht 19 Prozent der Gesamtenergiezufuhr und ist damit doppelt so viel wie empfohlen.
  • Isst jemand einen Becher (180 g mit durchschnittlich 17 g Zucker) Joghurt mit einer Portion Frühstückscerealien, nimmt er bereits mehr als die Hälfte der von der WHO empfohlenen Menge Zucker zu sich.
  • Der Begriff «zugesetzter Zucker» bezieht sich auf Saccharose, Fruktose, Glukose, Stärkehydrolysate und andere isolierte Zuckerpräparate. Auch Honig und Ahornsirup zählen zum zugesetzten Zucker.

Doch warum soll Fruktose ungesund sein?

William Davies beschreibt das in etwa so: Die Leber kann Fruktose relativ schlecht in Fett oder Muskelenergie (Glykogen) umwandeln. Deswegen verbinden sich die Stoffwechselprodukte von Fruktose etwa 100-mal so häufig mit Eiweiss­molekülen wie die des gewöhnlichen Zuckers. Diese Zucker-Eiweissverbindungen (Fachjargon: Advanced Glycation End Products oder AGEs) verstopfen die Arterien, trüben die Linsen, verledern die Haut, verschlacken den Körper und die Organe. Nach dieser Theorie sind sie die eigentliche Ursache für alle Altersprozesse, die man offenbar mit den Konsum von Fruktose wesentlich beschleunigt.

Dabei übertreibt Davies wohl ein wenig. Aber auch das traditionell zurückhaltende deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung sagt, «dass sich eine erhöhte Fruktoseaufnahme ungünstig auf den Stoffwechsel auswirkt und die Entwicklung von Übergewicht, Bluthochdruck und erhöhten Blutfettwerten fördert». Der US-amerikanische Arzt Richard J. Johnson geht noch einen Schritt weiter. Nach seiner These ist Fruktose die Ursache für Fettleibigkeit schlechthin, weil es in den Zellen sozusagen den Schalter von Energie auf Fett umstellt. Johnson weist allerdings darauf hin, dass bei diesem Prozess auch andere Spurenelement und Vitamine eine Rolle spielen, vor allem Vitamin C. Das könnte bedeuten, dass Fruktose in Form von Früchten vielleicht doch nicht ganz so schädlich ist, wie etwa in der reinen Form von Maisstärkesirup, wie er in vielen Limonaden und in praktisch allen industriell hergestellten Lebensmitteln verwendet wird. Auch normaler Zucker besteht übrigens zur Hälfte aus Fruktose.

Heisst das, dass man auch noch auf Früchte verzichten muss?

Versuchen kann man es. Ich habe nirgendwo von Fruktosemangel-Erscheinungen gelesen, dafür viel von intestinaler Fruktoseintoleranz oder Malabsorption. Auch der Verzicht auf Früchte ist unproblematisch, wenn man dafür umso mehr Gemüse verzehrt. Am besten, man testet es ein paar Wochen selbst aus. Oder noch besser: Man macht sich erst mal selber kundig. Damit trainiert man schon mal die grauen Zellen. Die Notwendigkeit, sich ständig mit seiner eigenen Nahrung auseinandersetzen zu müssen, sei nämlich mit der eigentliche Grund dafür, warum die Evolution dem Allesfresser Mensch einen so grossen Schädel geschenkt habe, meint der Journalist und Nahrungshistoriker Michael Pollan in seinem sehr lesenswerten Buch «Das Omnivoren-Dilemma». Den Koala-Bären ging es umgekehrt: Bei ihnen ist das Gehirn geschrumpft, nachdem sie sich endgültig auf Eukalyptus-Blätter festgelegt hatten.

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