Es ist 13 Uhr, was haben Sie wann zuletzt gegessen?
Christine Brombach: Gerade eben habe ich mit meinem Sohn zum Mittagessen das Curry-Gemüse von gestern aufgewärmt.
Was kommt bei Ihnen sonst auf den Teller?
Es muss mir schmecken, aber auch meine Vorstellungen von hochwertigem, ausgewogenem Essen erfüllen. Für mich ist das regional, saisonal, biologisch. Im Sommer habe ich vieles aus dem eigenen Garten. Die Lieferkette ist mir wichtig, und die faire Produktion. Eier, Milch und Fleisch hole ich mir vom Bauernhof. Ich will wissen, woher das Essen kommt. Und ich muss die Zubereitung in meinen Alltag einbauen können. Ich bin eine berufstätige Frau mit Familie, da muss es auch entsprechend schnell gehen.
Wie lösen Sie das?
Mittags habe ich nicht viel Zeit, also koche ich meist abends etwas vor. Oft koche ich so viel, dass es für den nächsten Tag reicht. Oder ich bereite meinen eigenen «Convenience Food» zu – wenn ich zum Beispiel zu viele Tomaten im Garten habe, dann koche ich die ein und habe immer Sugo vorrätig.
Sie haben grad ein Brot aus dem Backofen geholt. Gehört das für eine Ernährungswissenschaftlerin dazu?
Unbedingt, denn mir macht das Spass. Schon als junge Frau habe ich meinen eigenen Sauerteig gezogen, damals wurde ich dafür eher belächelt. Heute liege ich damit quasi im Trend. In der Pandemie haben ja ganz viele das Brotbacken für sich entdeckt.
Und sind dabei dick geworden. Laut einer Studie haben wir in der Schweiz im Schnitt drei Kilo zugenommen. Ist das viel?
Ja, das ist tatsächlich viel. In den vorangegangenen Jahren waren es laut der gleichen Studie nur 100 Gramm. Ausserdem ist dies ein Durchschnittswert, bei Einzelnen fällt es also mehr ins Gewicht. Das liegt aber nicht am Brot allein.
Sondern?
Wir waren weniger mobil. Der kurze Spurt auf den Zug macht auf die Länge eben doch etwas aus. Im Homeoffice sind die Wege kurz, vor allem vom Schreibtisch zum Kühlschrank. Kaum hat man einen Durchhänger beim Arbeiten, lenkt man sich mit Essen ab. Die Häufigkeit des Snackens hat enorm zugenommen. Wenn man im Grossraumbüro sitzt, gibt es eine gewisse soziale Kontrolle – die fällt zu Hause weg.
Jetzt gehen wir bald wieder ins Büro. Purzeln die Kilos dann wieder von selber?
Wenn sich dadurch Gewohnheiten wieder ändern, kann das helfen. Aber unser Umfeld macht es uns schwer, noch nie war Essen so leicht und immer verfügbar. Wir leben in einer Fressgesellschaft, wir sind wie zweibeinige Kühe, die ständig mampfend durch die Gegend laufen. Das kann man gut beobachten, wenn man im Sommer durch eine Fussgängerzone spaziert: Rundum werden Glace, Würste und Sandwiches gegessen, alle zwanzig Meter hat es einen Take-away. Man muss ständig Nein sagen. Und das fällt sehr schwer.
Warum?
Das ist evolutionär angelegt, wir sind auf Notsituationen ausgerichtet. Dass wir Essen im Überfluss haben, ist ganz neu in der Menschheitsgeschichte, das gilt zumindest für unsere Breitengrade.
Ist Abnehmen deshalb so schwierig?
Ja, wobei es noch viel schwieriger ist, das Gewicht zu halten. Das gelingt nämlich dauerhaft nur etwa 20 Prozent. Das hat mit unserem Stoffwechsel zu tun. Sobald wir weniger Energie aufnehmen, als es unserem Bedarf entspricht, schaltet unser Stoffwechsel auf Sparmodus. Der sogenannte Grundumsatz sinkt, und der kann dann über lange Zeit tief bleiben. Man muss dann also weniger essen als vor dem Abnehmen, um nicht wieder zuzunehmen. Darum rate ich von Diäten ab, das führt zu einem ständigen Auf und Ab.
Wie sonst soll man seine Kilos loswerden?
Was hilft, ist eine komplette Ernährungsumstellung, das hat mit einer Veränderung des Lebensstils zu tun. Das ist sehr viel umfassender, als bloss einem Essplan zu folgen. Bei einer Diät ist man ständig im Verzicht, das funktioniert auf Dauer nicht.
Apropos Brot, genau darauf verzichten viele. Ist das Reduzieren von Kohlenhydraten zu empfehlen?
Eigentlich ist es egal, ob Low Carb oder Low Fat. Auf lange Sicht gesehen macht nicht die Methode den Erfolg aus, sondern die Umstellung der Ernährungsweise. Wichtig ist, dass man den Genuss am Essen beibehält, die Sinnlichkeit, Freude. Essen ist so viel mehr als nur die Energiezufuhr. Essen ist wie ein Lebensfaden, der fängt schon im Mutterbauch an.
Wann genau?
Als Fötus nehmen wir ab der 20. Schwangerschaftswoche das Fruchtwasser auf, ab der
26. Woche können wir auch den süsslichen Geschmack wahrnehmen. Vom Saugen an der Brust bis zum Leichenschmaus wird unser Leben durch das Essen gestaltet. Essen ist überlebensnotwendig, man kann es nicht delegieren. Obwohl wir sagen, wir essen zusammen, isst doch jeder allein. Was in meinem Magen ist, kann ich mit niemandem mehr teilen. Essen verbindet, genauso wie Essen trennt.
Wir haben gerade den Veganuary hinter uns, also einen Januar ohne tierische Produkte. Wie wird sich das in Zukunft entwickeln?
Veganismus gehört dazu. Wer allerdings komplett auf tierische Produkte verzichtet, muss darauf achten, dass er genug Nährstoffe und hochwertige Eiweisse aufnimmt. Und es gibt bestimmte Nährstoffe, die man nicht über pflanzliche Lebensmittel aufnehmen kann. Darum kann es zu einem Vitamin-B12-Mangel kommen, und auf Dauer muss man diese als Supplemente zu sich nehmen.
Inzwischen bieten Grossverteiler eine riesige Palette von veganen Produkten an.
Es lohnt sich, da genau hinzuschauen bei den Inhaltsstoffen. Da ist oft ein hoher Anteil an Salz drin und viel Fett, das ist sehr energiereich. Zur Diskussion steht, dass das oft hoch verarbeitete industrielle Produkte sind, die Zutaten kommen oft von weit her, die Verpackungen sind meist aufwendig. Was das für die Ökobilanz bringt, wird sich zeigen.
Es gibt nicht nur Rüebli-Lachs und Tofu-Schnitzel, sondern auch Wein ohne Alkohol, Joghurt ohne Zucker. Wohin führt das?
Man will alles haben, ohne Verzicht. Damit will ich aber nicht unterstellen, dass dahinter keine guten Absichten stecken. Persönlich finde ich es wichtig, dass man sich mit dem, was man isst, auseinandersetzt. Warum verzichte ich auf etwas? Ist es, weil ich Tierleid vermeiden will oder um meinen ökologischen Fussabdruck zu verbessern? Brauche ich wirklich einen Ersatz oder kann ich auch mal ohne sein? Sonst laufen wir Gefahr, dass wir für alles ein Substitut brauchen.
Bald beginnt die Fastenzeit. Haben Sie schon mal ganz aufs Essen verzichtet?
Ja, ich habe schon öfter eine Saftkur gemacht, maximal für zehn Tage. Auch weil ich neugierig war, was das mit Körper und Geist macht. Was ich jedes Jahr einhalte, sind die sieben Wochen Fastenzeit vor Ostern. In dieser Zeit verzichte ich konsequent auf Süsses, Kaffee, Fleisch und Alkohol. Ich trinke zwar sowieso nicht viel, aber ich koche gerne damit. Dann lasse ich den Alkohol aber auch ganz weg.
Was ist Ihre Motivation?
Hintergrund ist für mich die christliche Religion, ich bin sehr gläubig. Fasten hat mit Dankbarkeit und Demut zu tun. Es ist eine Zeit, in der ich mich bewusst zu Gott ausrichte. Das ist der eigentliche Sinn, und es hat in allen grossen Weltreligionen Tradition, im Islam mit dem Ramadan, aber auch im Judentum kennt man die Fastenzeit.
Wie viel Fleisch essen Sie?
Wenig, im Schnitt nicht mal einmal die Woche. Und wenn, dann gibt es alles vom Tier. Ich liebe Innereien und esse gerne Leber, Herz, Kutteln und Zunge. Die Knochen verwende ich für eine Brühe. Bei uns gab es das letzte Mal an Weihnachten Fleisch als grosses Festmahl, es hat für mehrere Tage gereicht.
Essen Sie auch Insekten?
Ja, ich habe schon Mehlwürmer, Grasshüpfer und Grillen gekostet. Das mache ich im Rahmen eines EU-Projekts. Dabei geht es auch um Studien zur Akzeptanz bei Konsumenten. Immerhin gibt es weltweit zwei Milliarden Menschen, die Insekten essen.
Die wohnen aber nicht in Europa!
Ja, es ist nicht einfach, den Ekelfaktor zu überwinden, und es wird schwierig, dass es sich bei uns als Fleischersatz durchsetzt. Allerdings liefern Insekten sehr hochwertige Eiweisse, die gesundheitlich interessant sind, mit genau den Aminosäuren, die notwendig für den Muskelaufbau sind. Ich finde Insekten und daraus hergestellte Produkte sehr wichtig, denn sie können nachhaltig produziert und verarbeitet werden und liefern hochwertige, regional hergestellte Lebensmittel.
Und wie schmeckt es?
Wenn man es mal probiert hat und die Bilder aus dem Kopf hat, ganz spannend. So ein Mehlwurm hat auch einen Chitinpanzer wie eine Krabbe, der ist knusprig und nussig. Aber natürlich braucht es etwas Überwindung, in eine Heuschrecke zu beissen, die ist ja recht gross und schaut einen mit ihren Augen an.