Sie wirken wie Farbkleckse auf einem Schwarz-Weiss-Foto an diesem verregneten Herbsttag in Luzern, der inoffiziellen Guggenmusik-Hauptstadt der Schweiz. Marc Reichen, Künstlername Mäge, und Rafael Graf, Künstlername EffE, beide 33 Jahre alt, posieren auf der Rathaustreppe bei der Unteren Egg für Fotos in violett- und türkisfarbenen Fantasie-Uniformen.
Es ist die Treppe, auf der während der Fasnacht im Februar jede Gugge mindestens einmal haltmacht, um zu spielen. Die wenigen Passanten, die heute mit Schirmen vorbeihuschen, schauen interessiert. Er habe das Gefühl, dass ihm schon ein paar von ihnen zugezwinkert hätten, sagt Mäge. «Sie spüren offenbar die Vorfreude.»
Offiziell beginnt die Fasnachtszeit am 11. November. Dann erscheint auch das Album «Gugge 3000», das nach dem Projekt benannt ist, mit dem Mäge und EffE die Charts erobern und die Schweizer Konzertlandschaft aufmischen wollen. Es bringt den Guggenmusik-Sound mit seinen Bläser-, Pauken- und Trommelklängen zusammen mit elektronischen Beats und Texten, die sich auch mit hohem Alkoholpegel noch problemlos mitgrölen lassen.
Sechs Jahre Pauker bei den Füdlichnüblern
Die beiden Familienväter sind schon «seit immer» Kollegen, wie sie sagen. Und das, obwohl Mäge, der in Hittnau ZH wohnt, als Sozialpädagoge und als Sänger einer Heavy-Metal-Coverband in anderen Kreisen verkehrt als EffE aus Emmenbrücke LU. Der hat sich in den vergangenen Jahrzehnten einen Namen als Mundart-Rapper gemacht und war bis vor kurzem noch als Pöstler tätig.
Die Idee, Guggenmusik cool machen zu wollen, sei spontan bei einem Bier entstanden, sagt Mäge. Er spielte selbst sechs Jahre Pauke bei den Füdlichnüblern von Wangen ZH. Es sei schade, dass diese Musik nur jeweils wenige Tage für die Öffentlichkeit zugänglich sei. «Wir wollen sie das ganze Jahr über zelebrieren.»
Eine Produktion der Schweizer Hitfabrik
Dass dieses Vorhaben keine Schnapsidee ist, zeigt der Umstand, dass Mäge und EffE die Schweizer Musikproduktionsfirma Hitmill davon überzeugen konnten. Roman Camenzind (46), Gründer von Hitmill, und seine Kollegen haben ein gutes Gespür dafür, für welche Art von Musik es in der Schweiz eine Nachfrage gibt. Severin Häne (30), auch bekannt als Mundart-Popmusiker ZID und jüngster Zuwachs im Produzententeam von Hitmill, hat die 13 Songs des Debütalbums von Gugge 3000 produziert.
Sie hören sich gar nicht so anders an als vieles, was wir aus der Popmusik kennen. Der Beat der ersten Single «3000» erinnert zum Beispiel an den Sound amerikanischer Marching Bands, den sich Stars wie Beyoncé (41), Madonna (64) oder Gwen Stefani (53) für einige ihrer grössten Hits zu eigen machten.
Oder der Song «Flicke»: Er könnte auch als Club-Hit von EDM-Bands wie Major Lazer durchgehen – mal abgesehen vom Text. Inhaltlich sind die Songs an vielen Stellen so doof, dass es schon wieder Spass macht. «Wir versuchen, uns nicht zu ernst zu nehmen», sagt EffE. Konfetti-Punk nennt er das. Wenn es in Songs wie «Ohni Niveau» heisst: «Gruess an die oberschti Etage us der unterschtä Schublade», hat das tatsächlich etwas Subversives.
Auf jedem Song spielt eine andere Gugge mit
Eigentlich war das Album in einer früheren Version schon lange mit einer Studio-Band eingespielt und stand kurz vor Veröffentlichung. Doch dann kam Corona. «Plötzlich hatten wir Zeit, mit der wir nicht gerechnet haben», sagt Mäge. Warum nicht jeden Song mit einer anderen Schweizer Gugge einspielen, hätten sie sich gefragt.
Es begann eine Tour de Suisse nach Basel zu den Schränz-Gritte, nach Welschenrohr SO zu den Böögge Brätscher oder nach Leibstadt AG zu den Seifesüder. Sie hätten in dieser Zeit die Vielfältigkeit der Schweizer Guggenszene kennengelernt, sagt EffE. «Wir haben mit Guggen zusammengearbeitet, die als Mitglieder nur Musiker aufnehmen, die Noten lesen können. Andere Guggen haben quasi vor den Aufnahmen noch ausgelost, wer welches Instrument spielt.»
Das «original Fasnachtsfeeling» der Gugge-3000-Songs soll auch bei den Live-Auftritten zur Geltung kommen. Je nach Ort, an dem das Duo auftritt, kann sich eine andere Gugge auf einer erhöhten Plattform auf der Bühne dazugesellen. Das erste Mal wird das die Glöggli Clique an der Plattentaufe am 11. November im Pentorama in Amriswil TG tun. Das Konzert findet im Rahmen der Vorfasnachtsveranstaltung Schälläfäscht statt.
Obwohl die Basler Fasnacht nicht in erster Linie aufgrund ihrer Guggenmusiken bekannt ist, stammt diese Tradition von dort. Die älteste Schrift, in der das Wort Erwähnung findet, stammt von Anfang 20. Jahrhundert. Als Gugger bezeichnete man zu dieser Zeit einen unbegabten Blechbläser. Guggenmusiken persiflierten die Marschmusik des preussischen Militarismus, der auch in der Schweizer Armee herrschte, wie ein Fasnachtsexperte im «Zofinger Tagblatt» schreibt.
Der richtige Boom setzte nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Zu dieser Zeit entstanden auch in Luzern und in deutschen Nachbarstädten Basels die ersten Guggenmusiken. Ab den 80er-Jahren breitet sich die Tradition in der ganzen Schweiz, in ganz Süddeutschland und in Vorarlberg Ö aus. In Basel und Luzern gibt es heute je rund 100 Guggenmusiken. Die Luzerner Guggen gelten mit ihren Samba-Rhythmen als Trendsetter.
Obwohl die Basler Fasnacht nicht in erster Linie aufgrund ihrer Guggenmusiken bekannt ist, stammt diese Tradition von dort. Die älteste Schrift, in der das Wort Erwähnung findet, stammt von Anfang 20. Jahrhundert. Als Gugger bezeichnete man zu dieser Zeit einen unbegabten Blechbläser. Guggenmusiken persiflierten die Marschmusik des preussischen Militarismus, der auch in der Schweizer Armee herrschte, wie ein Fasnachtsexperte im «Zofinger Tagblatt» schreibt.
Der richtige Boom setzte nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Zu dieser Zeit entstanden auch in Luzern und in deutschen Nachbarstädten Basels die ersten Guggenmusiken. Ab den 80er-Jahren breitet sich die Tradition in der ganzen Schweiz, in ganz Süddeutschland und in Vorarlberg Ö aus. In Basel und Luzern gibt es heute je rund 100 Guggenmusiken. Die Luzerner Guggen gelten mit ihren Samba-Rhythmen als Trendsetter.