Jeder hat ihn: den einen Song, der die Stimmung verdirbt. «Ma Chérie» von DJ Antoine mag ein Kandidat sein, oder «My Heart Will Go On» von Céline Dion. Nach wenigen Takten will der unfreiwillige Zuhörer am liebsten fliehen.
Dumm nur, wenn er gerade dabei ist, einer attraktiven Bekanntschaft die Kleider auszuziehen. Noch dümmer, wenn das ungeliebte Geräusch aus der Stereoanlage der attraktiven Bekanntschaft kommt. Welche Musik hört man zu Sex, um sich zu entspannen und den optimalen Lustgewinn für alle Par-teien zu erreichen? Die Frage wird so heiss diskutiert, wie das Thema es verlangt. Ein Rezept hat noch niemand gefunden.
Vielleicht liegt es daran, dass die Beziehung zwischen Musiker und Zuhörer bereits so sinnlich ist, dass eine dritte Person nur noch stört. Wenn Whitney Houston «I Will Always Love You» schwört, dann fühlt sich nicht nur Kevin Costner angesprochen, sondern jeder, der gerne mit dem «Bodyguard» tauschen würde. Der «Sexy Motherfucker», den Prince beschwört: Er könnte uns damit meinen. Und wer hat noch Ohren für jemand anderen, wenn Sade mit ihrem «Smooth Operator» sanft in unsere Gehörgänge dringt?
«Heavy petting» war das höchste der Gefühle
Dass Musik keine Nebenbuhler zulässt, wusste bereits John Miles. «Musik war meine erste Liebe und sie wird meine letzte sein», singt er übersetzt auf «Music (was my first love)». Die Rock-Ballade schaffte es 1989 auf die dritte Ausgabe von «Kuschelrock». Die bekannte Compilations-Reihe bot eine Zusammenstellung von alten und neuen Balladen und einer jungen Zielgruppe eine Vorstellung von Sex, die ihn noch nicht gehabt hatte oder nur in der «Bravo» davon las.
Nun ja, ein wenig «heavy petting» wird zu «Kuschelrock» stattgefunden haben unter der einen oder anderen Bettdecke in den 80er-Jahren. Aber für mehr war die Musik dann doch zu kuschelig. In den Nineties gings für den Schmusesong so richtig ab. Afroamerikanische Boygroups wie Boys II Men («End of the Road») und Blackstreet («No Diggity») oder Solo-Acts wie R. Kelly («I Believe I Can Fly») und Ginuwine («Pony») stürmten die Charts. Ihr Sound: R’ n ’B – vieles davon eine Weiterentwicklung des Motown-Sounds aus Detroit oder des zuckersüssen «Sound of Philadelphia».
Von dort stammte auch «Mr. Love» himself: Barry White. Seine Songs hören sich an, als würde er sie einem direkt ins Ohr raunen. Die Acts von damals trugen weisse Anzüge, offene Seidenhemden und Gilets, ihre Musikvideos waren mit einem Weichzeichner gefiltert, der in den Augen schmerzte. Die Sänger waren schwarz, muskulös und hatten oft ein flaumiges Schnäuzchen auf der Oberlippe. Wenn sie mit den Hüften zuckten, kreischte das grösstenteils weibliche Publikum wie an einer Show der Chippendales.
Ed Sheeran und Nordisch schlafen
Inzwischen hat sich der übersexte 90er-R ’n B weitgehend aus der Hitparade verabschiedet. Die Songs von damals passen nicht in die Nordisch-schlafen-Interieurs von heute. So dominieren die aktuelle, 31. Ausgabe von «Kuschelrock», bleiche Engländer wie Ed Sheeran oder James Blunt. Wer bei ihren zerbrechlichen Stimmen an Sex denkt, muss schon sehr unter Strom stehen.
Was früher die Compilations waren, sind heute die zahlreichen Playlists auf den Portalen der Streaming-Anbieter. Alleine beim Branchenleader Spotify gibt es Hunderte Liedzusammenstellungen zum Stichwort Sex. Die schwedische Firma hat auf Anfrage von SonntagsBlick Magazin diejenigen Songs innerhalb der Sex-Playlisten ermittelt, die in der Schweiz von Januar bis Juni am häufigsten gehört wurden.
Auf Platz eins der Top Ten steht «Sex ohne Grund» von Ali Bumaye. Ein frauenverachtender Song eines stark übergewichtigen deutschen Rappers, der laut eigenen Angaben unglaublich gut ankommt beim anderen Geschlecht. Die Vermutung liegt nahe, dass er eine junge Zielgruppe bedient, die vom Playboy-Dasein träumt, ohne es zu leben.
«Non-Cheesy Sex Playlist for Millennials»
Der Rest der beliebtesten Sex-Songs der Schweizer Spotify-Nutzer deckt sich einigermassen mit den globalen Favoriten. «Sexy Back» von Justin Timberlake und «Earned it (Fifty Shades of Grey)» von The Weeknd sind beliebt, plus ein sehr merkwürdiger Ausreisser in Form des Steel-Drum-Stücks «Cantina Band» aus der «Star Wars»-Trilogie.
Machoid geprägt scheinen die Kids in Singapur zu sein, wo Kendrick Lamars «Humble» laut Spotify weit oben rangiert. «Sei bescheiden, Schlampe», rappt Lamar. Die Zeilen sind zwar an seine Rap-Konkurrenz gerichtet – aber im Kontext Bett kriegt der Text eine ganz andere Bedeutung, die Frauen nicht gefallen dürfte.
Bei Spotify gibts auch eine «Non-Cheesy Sex Playlist for Millennials»: unkitschige Songs für die Generation der zwischen 1980 und 2000 Geborenen. Mit dabei das amerikanische Pop-Duo Terror Jr mit «Come First». «Baby, ich komme zuerst», singt die Frau im Refrain. Wie viele Männer zu Höchstleistungen auflaufen, wenn sie mit dieser klaren Ansage beschallt werden, ist fraglich.
Wer hört schon auf Texte, wenn er spitz ist? Wer sich das fragt, dem sei versichert: Es gibt Menschen, die nicht anders können, als gesungene Wörter zu Sätzen zusammenzusetzen. Sätze, die einen Sinn ergeben. Das bringt uns zu einem weiteren Konfliktfeld: Für Sex braucht es mindestens zwei Personen, und die haben selten den gleichen Musikgeschmack. Genauso wie den gleichen Einrichtungsstil.
Gerade wenn Liebhaber sich nicht gut kennen, kann der erste Besuch in der Wohnung des anderen ein Turn-off sein und eine Situation, die Blödelkomödien oder TV-Serien wie «Sex and the City» dankbaren Stoff liefert. Das Gute am Anblick eines vergrösserten Ferienfotos mit der Ex über dem King-Size-Bett oder einer Wasserpfeife neben einer vergammelten Matratze: Man kann wegsehen. Weghören ist schwieriger.
Kein Gospelgesang nachdem Technoclub
Vor allem, wenn Sie jemanden vom Ausgang mit nach Hause nehmen, empfiehlt es sich, mit dem Sound weiterzufahren, der bereits an dem Ort lief, wo der Flirt begann. Indie-Rock nach dem Oktoberfest passt weniger, genauso wie Trance nach einer R ’n’ B-Party oder Gospelgesang nach einer Nacht im Techno-Club. Aber eigentlich ist die beste Musik für Sex: keine. Öffnen Sie die Fenster und lassen Sie sich zu Vögel- und Verkehrsgeräuschen gehen. Ihren eigenen.