Einer der wichtigsten Männer der Kunstszene – und nach seiner grossen Picasso-Ausstellung, die Anfang Februar beginnt, wohl noch wichtiger –, wartet im Wintergarten des Beyeler Museums in Riehen BS auf uns: Sam Keller. Sein Lieblingsplatz, wie wir bald erfahren werden. Doch er will nicht sitzen, viel lieber will er zeigen, wie die Vorbereitungen für Picasso laufen. Da ein Raum, in dem das Leben des Jahrhundertkünstlers von der Decke herab auf weisse Bücher projiziert wird, dort ein französisches Bistro, das extra für die Ausstellung konzipiert wird. Irgendwann findet der 53-Jährige den Weg zurück in den Wintergarten und fläzt sich in eines der beigen Sofas. Hinter der Glasfront liegt ein brauner Acker. «Ein Reiher!», ruft Keller, und es sieht fast so aus, als ob er gleich wieder aufstünde.
Herr Keller, still sitzen fällt Ihnen schwer, oder?
Sam Keller: Zwischendurch tut es gut. Allzu lange lieber nicht. Die Ruhe vor dem Sturm hatte ich während der Ferien zwischen Weihnachten und Neujahr, jetzt ist Schlussspurt.
Sie sagen, Picasso werde Ihre ambitionierteste Ausstellung sein. Wegen der Zeit? Der Kosten?
Wegen allem. Die Idee hatten wir vor vielen Jahren. Vor vier Jahren taten wir uns dann mit dem Musée national Picasso und dem Musée d’Orsay in Paris zusammen, um die Ausstellung zu organisieren.
Konnten Sie sie nicht alleine realisieren?
Zusammen kann man das erreichen, was man sonst nicht kann. Nämlich dass andere Museen ihre Publikumslieblinge ausleihen, die sie eigentlich nicht ausleihen möchten. Betreibt man diesen Aufwand, ist es sinnvoll, dass die Ausstellung so viele Leute wie möglich sehen. In Paris sind 670'000 Besucher gekommen, ein Rekord in der Geschichte des Musée d’Orsay.
Wieso ist es Ihre aufwendigste Ausstellung?
Es ist mit grossem Abstand unsere teuerste Ausstellung und wohl auch international ein Spitzenwert. Alleine die Ausstellungskosten betragen rund 7 Millionen Schweizer Franken. Die 75 Werke haben einen Versicherungswert von etwa 4 Milliarden. Die Kunstwerke kommen von 41 Sammlungen aus 13 Ländern. Damit das Cleveland Museum of Art in den USA einwilligte, «La vie», das Hauptwerk der Blauen Periode, auszuleihen flog ich zweimal und der Kurator noch einmal dorthin. Drei Reisen für ein Werk.
Was muss man denn bei den Museen tun – den Schmus bringen?
(lacht) Das reicht nicht. Es braucht Argumente und Verhandlungen. Man muss erst mal klarmachen, warum das Bild für die Ausstellung wichtig ist. Dann kriegt man es manchmal noch nicht. Beim zweiten Mal muss man zeigen, welche anderen Bilder man hat und wie es präsentiert wird. Schliesslich fragt man: «Was können wir für euch tun?» Wir hatten Glück, sie planen etwas, für das wir Bilder leihen. Wir leihen mehrere, damit wird dieses eine Meisterwerk zeigen dürfen.
Nehmen Sie die Ausgaben wieder ein?
Es ist unmöglich, die Ausgaben mit Eintrittskarten wieder reinzuholen. Dafür braucht man Stiftungen, Sponsoren und Private. Ohne diese Förderung würde es nicht gehen.
Der Basler Sam Keller (53) ist Museumsdirektor der Fondation Beyeler in Riehen BS. Von 2000 bis 2007 war er Direktor der Kunstmesse Art Basel. Er studierte von 1985 bis 1990 Kunstgeschichte und Philosophie an der Universität Basel. Als Letztes stellte er den umstrittenen Maler Balthus aus. Seine nächste Ausstellung «Picasso – Blaue und Rosa Periode» ist die bisher grösste und teuerste in der Fondation Beyeler. Dazu sagt er: «Man muss schon etwas verrückt sein, um so eine Ausstellung zu realisieren.» Sam Keller ist verheiratet und Vater eines Sohnes.
Der Basler Sam Keller (53) ist Museumsdirektor der Fondation Beyeler in Riehen BS. Von 2000 bis 2007 war er Direktor der Kunstmesse Art Basel. Er studierte von 1985 bis 1990 Kunstgeschichte und Philosophie an der Universität Basel. Als Letztes stellte er den umstrittenen Maler Balthus aus. Seine nächste Ausstellung «Picasso – Blaue und Rosa Periode» ist die bisher grösste und teuerste in der Fondation Beyeler. Dazu sagt er: «Man muss schon etwas verrückt sein, um so eine Ausstellung zu realisieren.» Sam Keller ist verheiratet und Vater eines Sohnes.
Sie werden Picasso-Werke aus Museen und von Privaten zeigen. An welche kommt man schwerer ran?
An Private. Man muss erst recherchieren, wem sie gehören. Das ist manchmal jahrelange Detektivarbeit. Man muss ihnen Briefe schreiben, sie besuchen. Bei dieser Ausstellung waren aber die Museen schwieriger zu gewinnen.
Weshalb?
Jedes Museum hat ein paar Publikumslieblinge, die ungern ausgeliehen werden. Ausserdem sind die Werke über 100 Jahre alt. Picassos Gemälde und Papierarbeiten sind fragil und dürfen nur ausnahmsweise reisen.
Hat eines Nein gesagt?
Nein. Aber manche Museen, die mehrere Werke aus der Blauen und Rosa Periode haben, haben entschieden: Ihr könnt das eine haben, das andere muss bei uns bleiben.
Werden Privatleute bezahlt?
Nein, weder Museen noch Private. Dafür tragen wir alle damit verbundenen Kosten, wie Kuriere, Reisekosten und manchmal auch Restaurierungen. Man nennt diese Kosten von «Nagel zu Nagel». Sie können für einzelne Werke in unserer Picasso-Ausstellung bis zu Hunderttausend Franken betragen.
Hat jemand Privates seinen Picasso nicht rausgerückt?
Alle zu bekommen ist unrealistisch. Wir haben diverse private Picasso-Werke gefunden, die seit Jahrzehnten erstmals öffentlich präsentiert werden. Von einem Werk haben wir beispielsweise die Besitzer nicht gefunden. Wir glauben, ganz nah dran zu sein, aber die Zeit wird langsam knapp. Dieses Bild wird seit Jahren gesucht, und noch niemand hat es geschafft.
Wieso ist das so schwierig, die Person wird doch nicht öffentlich?
Nein, die Namen der Besitzer werden vertraulich behandelt. Sie entscheiden selbst, ob sie privat bleiben oder ihren Namen publizieren möchten. Die meisten Kunstsammler haben nichts zu verheimlichen, wollen aber aus Sicherheitsgründen nicht, dass bekannt wird, dass sie die Besitzer sind. Manche sind hingegen stolz, dass ihre Kunstwerke in so einer wichtigen Ausstellung gezeigt werden.
Glauben Sie wirklich, dass jemand zu Hause einen Picasso hängen hat und das Umfeld es bei der Znacht-Einladung nicht bemerkt? Der hängt ja wohl nicht in einer 2½-Zimmer-Ikea-Wohnung in Schlieren.
Das nicht. Es kann vorkommen, dass jemand in der Ausstellung bemerkt: Das habe ich doch bei XY im Wohnzimmer gesehen. Manche Kunstsammler laden Gäste ein, andere leben zurückgezogen.
Sie waren sieben Jahre alt, als Picasso starb. Haben Sie Erinnerungen an ihn?
Ich erinnere mich dunkel: Als Picasso und Elvis starben, hörte man das von den Erwachsenen. Ihr Tod wurde zum Tagesgespräch.
Hätten Sie ihn gerne gekannt? Persönlich muss er ja ein ziemliches A... gewesen sein.
Ja. Und das glaube ich nicht. Bei jeder öffentlichen Person ist es spannend, sie kennenzulernen, anstatt sich auf Klischees zu verlassen. Ich kenne einige Menschen, die Picasso gut kannten, und bin mit Mitgliedern der Picasso-Familie befreundet. Man hört sehr Unterschiedliches. Die einen sind total begeistert von ihm und sagen, wie humorvoll und charmant er war, und dann gibt es die anderen. Vielleicht bekamen die nicht das von ihm, was sie sich erhofften.
Sie zeigen Werke des etwa 20-jährigen Picassos.
Ja, das war die Zeit, in der ein junger Maler zu Picasso wurde. Wir kennen ihn als erfolgreichen Künstler, aber er wurde ja erst zu Picasso. Unsere Ausstellung zeigt: Wie er in wenigen Jahren, von 20 bis 26, so einen kometenhaften Aufstieg macht und Kunstwerke schaffte, die zu den schönsten und berührendsten unserer Zivilisation gehören.
Man sagt, er habe sich selbst geliebt. Wie steht es um Ihre Selbstliebe?
Ich finde, jeder Mensch sollte sich selber lieben, sonst ist es ganz schwierig, andere zu lieben. Gleichzeitig muss man aufpassen, dass die eigene Liebe nicht grösser wird als die zu anderen.
Fällt Ihnen das schwer?
Ich möchte mir morgens im Spiegel in die Augen schauen können, aber nicht denken, wie toll ich bin. Wenn man in der Öffentlichkeit steht und vom SonntagsBlick interviewt wird, könnte dies zur Eitelkeit verleiten. Zum Glück habe ich ein Team und eine Familie, die nicht leicht zu beeindrucken sind. Sie sehen, wie ich Tag und Nacht bin, das hält einen auf dem Boden.
Aber es ist Ihre grösste Ausstellung. Ich frage Sie im Sommer noch mal. Vielleicht reden Sie dann gar nicht mehr mit mir.
Das glaube ich nicht. Es ist einfach so: Früher dachte ich, wenn ich die Bilder der Blauen und Rosa Periode von Picasso bloss einmal sehen könnte, wäre das schon wunderbar. Eine Ausstellung mit ihnen zu organisieren, galt praktisch als unrealisierbar und wird es in dieser Fülle wohl für lange Zeit nicht wieder geben. Jetzt ist ein Traum wahr geworden. Das ist der Grund für meine Begeisterung.
Sie sagten einmal, dass Kunst immer teurer werde. Vor allem unbekannte Kunst. Finden Sie denn, das Kunst zu teuer geworden ist?
Ja, teilweise. Problematisch ist vor allem, dass sogar Werke von Künstlern, die noch vor wenigen Jahren unbekannt waren, manchmal die Millionengrenze überschreiten. Das ist unverständlich, vor allem wenn man es mit Museumswerken aus der Kunstgeschichte vergleicht. Und erst recht mit den Löhnen von Arbeitern und Angestellten.
Welches ist das teuerste Werk?
Das dürfen wir natürlich nicht sagen. Es gibt einige Bilder, die über 100 Millionen Franken wert sind. Immerhin sind sie seit über 100 Jahren als Meisterwerke von Picasso und Schätze unserer Kultur anerkannt. Im Museum gibt es aber aus gutem Grund keine Preisschilder. Kunst und Bildung sind seit jeher essenziell für die Menschheit. Im Gegensatz zu Luxusgütern, für die überflüssigerweise Unsummen ausgegeben werden.
Wie meinen Sie das?
Es gibt Leute, die mehrere Villen und Yachten besitzen. Das finde ich persönlich ebenso fragwürdig wie die Milliarden, die für Wolkenkratzer und Waffen ausgegeben werden. Auch auf dem Kunstmarkt gibt es Spekulation und Dekadenz.
Man hört immer wieder, dass die teuersten Kunstwerke von Herrscherfamilien im Nahen Osten gekauft werden. Was halten Sie davon?
Dass die Machthaber von heute moderne Kunst aus Europa kaufen, zeigt auch eine Wertschätzung dieser Werke. Vielleicht nicht als Sammler im klassischen Sinn. Es gibt ja keine bedeutende Stadt, die nicht auch eine Kulturstadt ist. Schon früher waren es vor allem Päpste, Könige und Fürsten, die Kunstwerke gesammelt und in Auftrag gegeben haben. Erst später kaufte auch das Bürgertum Kunst. Heute können es in der Schweiz fast alle. Natürlich nicht einen originalen Picasso, aber eine Edition.
Sie bleiben dem Beyeler treu. Was muss passieren, damit Sie gehen?
Ich bin kein Prophet, aber momentan kann ich mir nicht vorstellen, wer oder was mich hier wegholen könnte. Wenn ich nichts mehr bewegen oder dazulernen könnte, wäre das vielleicht ein Grund. Aber solange wir so spannende Projekte realisieren können, bin ich hier weiterhin sehr happy. Und es gibt noch weitere auf der Wunschliste.
Welche?
Wir arbeiten seit vielen Jahren an einer Goya-Ausstellung. Er ist der Urvater der modernen Kunst und war auch ein Vorbild von Picasso.
Ist es vielleicht einfacher, in der Schweiz erfolgreich zu sein, und ein Stück Bequemlichkeit?
Das hoffe ich nicht. Es ist schön, im eigenen Land arbeiten zu können, und einfacher, wo man die Mentalität der Menschen versteht. In den Grossstädten wohnen mehr Künstler, und die grossen Museen haben mehr Besucher. Man hat grössere Budgets, mehr Mitarbeiter. Wenn man sich anstrengt, kann man aber auch in der Schweiz ein international beachtetes Museum führen. Die Freiheit, die wir hier haben, ist mir wichtiger, als jede Woche ein Staatsoberhaupt oder einen Hollywoodstar zu begrüssen.
Ich muss Ihnen noch etwas gestehen: Ich war noch nie im Beyeler Museum. Bin ich jetzt bei Ihnen unten durch?
Nein, wenn Sie mir versprechen, dass Sie wiederkommen, wenn die Ausstellung eröffnet ist.