SonntagsBlick: Herr Dobelli, Sie lächeln. Geht es Ihnen gut?
Rolf Dobelli: Sehr gut, sehr gut.
Woran spüren Sie das?
Ich fühle mich gut. Auch objektiv betrachtet, quasi aus der Adlerperspektive, ist mein Leben besser als früher. Vor allem emotional.
Seit wann ist Ihr Leben gut?
Seit ich meine Frau kennengelernt habe und wir Kinder bekommen haben. Das klingt seltsam, denn alle Studien belegen, dass Kinder ein Happiness-Killer sind.
Sie haben dreieinhalbjährige Zwillinge.
Ja, und dadurch schlafen meine Frau und ich nicht mehr durch und schleppen uns ermattet durch den Tag. Aber Kinder geben Sinn – und das ist ein Teil des guten Lebens.
«Die Kunst des guten Lebens» heisst Ihr neues Buch. Warum streben Sie nicht nach einem besseren Leben, gar nach dem besten?
«Die Kunst des guten Lebens» ist ein feststehender Begriff aus der Stoa der alten Griechen – den gibt es schon seit 2500 Jahren.
Befolgen Sie alle Ihre eigenen Ratschläge, die Sie im Buch vorlegen?
Ja.
Konkret: Bussen von Spenden abziehen, die man eh zahlen würde; Hotelrechnungen im Voraus bezahlen, um sich am Schluss der Ferien nicht die Freude zu verderben. Machen Sie das wirklich immer?
Es ist emotional sinnvoll, so zu handeln. Bei Beträgen unter zehn Franken rege ich mich nicht mehr auf.
Hat es Sie früher aufgeregt?
Ja, ich war auch einer, der erhitzt sagte: «Der Kaffee kostet vier Franken, früher waren es 3.50 Franken.» Das ist vorbei. Die Zeit ist mir viel zu wertvoll, um sie an solche Dinge zu verschwenden. Zeit ist wichtiger als Geld. Verlorenes Geld kann man sich immer wieder erarbeiten, verlorene Zeit nicht. Es gibt eine Menge Tricks, die einen innerlich ruhiger machen.
Sie schreiben, man brauche einen ganzen Handwerkerkasten für ein gutes Leben. Das Buch hat 52 Kapitel, quasi 52 Werkzeuge – für jede Woche im Jahr ein anderes?
Ich habe die 52 Kapitel gewählt, weil die beiden Vorgängerbände «Die Kunst des klaren Denkens» und «Die Kunst des klugen Handelns» auch in 52 Kapitel aufgeteilt waren – die sind damals vor der Buchveröffentlichung ein Jahr lang als wöchentliche Kolumnen in Sonntagszeitungen erschienen.
Um beim Bild der Werkzeuge zu bleiben: Wann kommt die Zange zum Einsatz, wann der Hammer?
So direkt kann man das nicht übertragen. Mit der Metapher der Werkzeugkiste will ich sagen: Für ein Problem braucht man ein, zwei Lösungsansätze, nie alle. Aber man kann mit einem Gedankenwerkzeug nie alle Probleme lösen. Dieses Patentrezept gibt es nicht – nicht in der Politik, nicht in der Medizin, nicht in der Wirtschaft.
Wie verwende ich Ihre Werkzeuge richtig?
Aus dem Werkzeugkasten kann man sich je nach Bedarf und Lebenssituation bedienen. Wichtig: Man muss den Umgang mit diesen gedanklichen Werkzeugen lernen, so wie wir lernen mussten, wie man eine Zange hält oder eine Säge bedient. Je öfter man diese Gedankenwerkzeuge verwendet, desto besser funktionieren sie.
Einer Ihrer zentralen Sätze: «Das gute Leben hat viel mit der konstruktiven Interpretation von Tatsachen zu tun.» Bildlich gesprochen: Wenn ich schon ein hässliches Loch in der Wand habe, dann drehe ich eine Schraube rein und hänge ein schönes Gemälde drüber.
Es geht vor allem um Tatsachen in der Umwelt. Ihr Nachbar hat zum Beispiel einen Bonus von seinem Chef bekommen und nun einen dicken Schlitten gekauft, von dem Sie auch immer geträumt haben. Nun können Sie sich vom Neid zerfressen lassen oder sich sagen: «Okay, der Nachbar hat einfach Glück gehabt.»
Wie kommt man zu solchen Einsichten?
Solche Interpretationen muss man bewusst vorantreiben, denn der erste Impuls ist meist ein anderer, nicht selten Neid. Und mit solchen Interpretationen lügt man sich ja nicht an. Es ist tatsächlich so, dass der Nachbar Glück gehabt hat, selbst wenn er hart für diesen Bonus gearbeitet hat.
Ist es nicht fatalistisch, sich immer mit der Situation abzufinden? Man könnte die Lebensenergie auch in die Veränderung der Umstände setzen.
Es ist eine der grossen Illusionen der heutigen Zeit, dass man die Welt verändern könne. Ein Einzelner kann die Welt nicht verändern. Natürlich, Sie können es versuchen, aber die Wahrscheinlichkeit ist winzig, dass es klappt. Akzeptieren Sie lieber die Welt, wie sie ist, und richten Sie sich so ein, dass Ihnen in dieser vorgegebenen Welt ein gutes Leben gelingt.
Für Karl Marx bestimmt das Sein das Bewusstsein eines Menschen. Sie kehren diese Formel um: Sie bestimmen mit dem Bewusstsein das Sein.
Das ist nicht nur die Haltung der stoischen Philosophie der alten Griechen. Der Buddhismus verfolgt ebenfalls diese Denkweise. Sogar die mittelalterlichen Mystiker in Europa dachten so. Das Bewusstsein, also die Art, wie wir denken, ist wichtiger als der materielle Wohlstand. Marx’ Sichtweise hingegen ist vergleichsweise neu – und falsch.
Doch ein Arbeiter im 19. Jahrhundert konnte mehr damit anfangen als mit dem Buddhismus.
Fakt ist: Mit dem Denken kann man sein Leben beeinflussen, egal wie schlecht es einem geht. Denken ist eine so ungeheure Kraft. Das ist die Freiheit jedes Menschen: Denken, was man will! Das kann einem niemand nehmen. Viele Schicksalsgeschichten sind davon bestimmt: die von Alexander Solschenizyn im Gulag oder von Primo Levi im KZ. Diese Männer haben ihre Freiheit im Kopf behalten, selbst unter den schlimmsten Bedingungen. Es ist durchaus möglich, eine verschissene Situation so zu interpretieren, dass man nicht an ihr zerbricht.
Aber es gab doch immer wieder Menschen, die sich nicht bloss gedanklich über Wasser hielten, sondern mit ihrem Handeln die Welt positiv verändert haben – sonst wären wir nicht da, wo wir heute sind.
Wenn Sie Nelson Mandela oder Deng Xiaoping anschauen, dann waren das Politiker, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Gesellschaftliche Veränderungen finden ihre Protagonisten – nicht umgekehrt.
Das müssen Sie erklären.
Dass die Apartheid in Südafrika zu einem Ende kommen musste, war klar. Dass nach dem Tod von Mao ein anderer Chinese kommt und etwas mit Marktwirtschaft versucht, lag auch auf der Hand.
143 Wochen lang war «Die Kunst des klaren Denkens» (2011) auf Platz 1 der Sachbücher in der «Spiegel»-Bestsellerliste.
35 «Fünfunddreissig – eine Midlife-Crisis» war der erste Roman von Rolf Dobelli, der 2003 im Diogenes-Verlag erschien.
52 ist jeweils die Anzahl Empfehlungen, die Rolf Dobelli in seinen Ratgebern «Die Kunst des klaren Denkens» (2011), «Die Kunst des klugen Handelns» (2012) und jetzt in «Die Kunst des guten Lebens» gibt.
777 «indiskrete Fragen» stellte er 2007 in seinem Buch «Wer bin ich?». Im gleichen Jahr veröffentlichte er «777 bodenlose Gedanken» im Buch «Turbulenzen».
1 .6 Millionen Mal verkauften sich die beiden Bände «Die Kunst des klaren Denkens» und «Die Kunst des klugen Handelns».
143 Wochen lang war «Die Kunst des klaren Denkens» (2011) auf Platz 1 der Sachbücher in der «Spiegel»-Bestsellerliste.
35 «Fünfunddreissig – eine Midlife-Crisis» war der erste Roman von Rolf Dobelli, der 2003 im Diogenes-Verlag erschien.
52 ist jeweils die Anzahl Empfehlungen, die Rolf Dobelli in seinen Ratgebern «Die Kunst des klaren Denkens» (2011), «Die Kunst des klugen Handelns» (2012) und jetzt in «Die Kunst des guten Lebens» gibt.
777 «indiskrete Fragen» stellte er 2007 in seinem Buch «Wer bin ich?». Im gleichen Jahr veröffentlichte er «777 bodenlose Gedanken» im Buch «Turbulenzen».
1 .6 Millionen Mal verkauften sich die beiden Bände «Die Kunst des klaren Denkens» und «Die Kunst des klugen Handelns».
War das alles voraussehbar?
Nein, aber solche Veränderungen lagen im Zeitgeist.
Das klingt nach Schicksal.
Die Welt hat keinen Plan.
Sind Sie religiös? Im Glauben hat das Schicksal auch eine grosse Bedeutung.
Nein, überhaupt nicht. Das ist eine rein rationale Haltung.
Aber im Leben steht man doch immer wieder vor bewussten Entscheidungen – da kann es auf die eine oder auf die andere Seite gehen.
Ja, für sich selber kann man entscheiden. Und im kleinen Bereich – Familie, Freundeskreis, Gemeindepolitik – kann man allenfalls etwas bewirken. Aber geopolitische Veränderungen, welche Technologien auf uns zukommen oder wie sich die Wirtschaft verändert, kann man nicht beeinflussen.
Das klingt resigniert.
Die Realität objektiv zu sehen und zu akzeptieren, gehört zu einem guten Leben.
Sind Sie Hedonist?
Im Gegenteil. Ich halte wenig von Luxus. Das krampfhafte Maximieren von Lust führt zu keinem guten Leben. Lieber entferne ich Dinge aus meinem Leben, die mir nicht guttun, statt immer Neues, noch Besseres, noch Schöneres anzuhäufen.
Sie leben hier in Bern. Die hohen Steuern akzeptieren Sie, indem Sie sich hässliche Steueroasen wie Riad, Monaco oder den Mond vorstellen. So kann man jede Lebenssituation schönreden.
Damit will ich verdeutlichen, dass ich Steuerflüchtlinge nicht verstehe, die an hässliche Orte ziehen, um Steuern zu sparen. Für die hohen Steuern in Bern bekomme ich ja auch etwas. Die Stadt ist wunderschön, gepflegt, ein Paradies, besonders für Familien.
Glücksgewinn durch Steuereinsparung versus Glücks-verlust wegen des Ortswechsels – wie wägt man das gegeneinander ab?
Steuern dürfen kein Anlass für einen Umzug sein. Überlegen Sie sich mal Folgendes: Die Schweiz hat sieben Millionen Einwohner, die Welt sieben Milliarden. Wir sind mit einer winzigen Wahrscheinlichkeit von einem Promille hier zur Welt kommen. Wenn man in der Schweiz lebt und Steuern bezahlen kann, hat man schon mal sehr viel Glück im Leben gehabt. Ausserdem ist es doch völlig vernünftig, mit Steuern jenen etwas zu geben, die mit dem falschen Erbmaterial in die falschen Familien, in die falschen Postleitzahlen geboren wurden. Was mich bei Steuern aufregt, ist einzig, wenn die Gelder nicht effizient eingesetzt werden.
Sie akzeptieren also Fiskalabgaben, doch bei einer Strassenumfrage würde sich die Mehrzahl über die Steuerlast beschweren.
Der Investor Warren Buffett machte einmal das Gedankenspiel, wie viele Steuern des zukünftigen Einkommens man bereit wäre zu zahlen, wenn man als identischer Zwilling die Wahl hätte, entweder in Bangladesch oder in den USA auf die Welt zu kommen.
Und?
Ich wäre bereit, deutlich höhere Steuern zu zahlen – denn so ginge es mir immer noch besser als in Bangladesch. Statt der USA können Sie natürlich die Schweiz einsetzen.
Da haben Sie gut reden: Sie sind mit den beiden Bestsellern «Die Kunst des klaren Denkens» und «Die Kunst des klugen Handelns» bestimmt reich geworden.
Reich nicht. Kein Schweizer wurde je mit Bücherschreiben reich. Zwar konnte ich Geld zur Seite legen, aber ich muss immer noch arbeiten. Und das ist auch gut so.
Rolf Dobelli kommt als Rolf Döbeli 1966 in Luzern zur Welt. Er studiert an der HSG St. Gallen Philosophie und Betriebswirtschaft und schreibt 1995 seine Doktorarbeit zur «Dekonstruktion des ökonomischen Diskurses». 1999 gründet er die Firma getAbstract, die Managementbücher zusammenfasst. Rolf Dobelli gründete 2006 World.Minds, eine Community führender Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft. Nach Jahren in Hongkong, Australien, England und den USA lebt Dobelli heute mit seiner Frau und den gemeinsamen Zwillingen in Bern.
Rolf Dobelli kommt als Rolf Döbeli 1966 in Luzern zur Welt. Er studiert an der HSG St. Gallen Philosophie und Betriebswirtschaft und schreibt 1995 seine Doktorarbeit zur «Dekonstruktion des ökonomischen Diskurses». 1999 gründet er die Firma getAbstract, die Managementbücher zusammenfasst. Rolf Dobelli gründete 2006 World.Minds, eine Community führender Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft. Nach Jahren in Hongkong, Australien, England und den USA lebt Dobelli heute mit seiner Frau und den gemeinsamen Zwillingen in Bern.
Aber berühmt sind Sie geworden.
Das geht bei mir leider nicht anders, da ich mit Büchern etwas für die Öffentlichkeit produziere und mein Geld nicht anonym mit der Herstellung von Spezialschrauben verdiene. Ich verstehe nicht, wieso Menschen berühmt sein wollen. Berühmtheit ist das Dümmste, was man anstreben kann. Aber Bücher sind halt schöner als Spezialschrauben.
In die Schlagzeilen kamen Sie 2013, weil man Sie nach der Veröffentlichung von «Die Kunst des klaren Denkens» mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert hat. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Natürlich waren das schreckliche Tage, zumal die Vorwürfe unbegründet waren, aber sie gingen vorbei. Nachdem die FAZ einen Artikel publiziert hatte, in dem sie die Vorwürfe entkräftet hat, hat sich das Thema in Luft aufgelöst. Aber das Stigma bleibt natürlich – sonst würden Sie mich nach vier Jahren nicht wieder danach fragen.
Rolf Dobelli: Die Kunst des guten Lebens, Piper.