«Ich. Elton John. Die Autobiografie» Alkoholabhängig und grössenwahnsinnig
Er war drogenabhängig, kaufsüchtig, sexbesessen. Und nun hat Pop-Legende Elton John über all das geschrieben. Anekdotenhaft, unterhaltsam und selbstironisch erzählt er, wie aus dem aus ganz einfachen Verhältnissen kommenden Kind Reginald Dwight einer der erfolgreichsten Künstler weltweit wird. Wie er in die Drogensucht schlittert, alkoholabhängig wird, bulimisch, grössenwahnsinnig und arbeitswütig. Bis er gerade noch die Kurve kriegt, sich engagiert gegen Aids einsetzt und mit seinem Mann eine Familie gründet. Die Geschichte eines märchenhaften Aufstiegs und schwierigen Lebens zugleich.
«Ich. Elton John. Die Autobiografie», Heyne
Wilhelm Schmid, «Von der Kraft der Berührung» Berührende Lebenskunst
Die Bücher des deutschen Philosophen Wilhelm Schmid sind zwar oft schmal, aber sehr gehaltvoll. Seine Philosophie der «Lebenskunst» widmet sich den grossen Lebensthemen wie Gelassenheit, Liebe, Glück oder Freundschaft. In seinem aktuellen Buch schreibt Schmid über die Kraft der Berührung – ein Thema, das in Zeiten des Coronavirus von besonderer Bedeutung ist. Er denkt nach über geistige, körperliche, seelische und transzendente Berührungen, über die Sinnlichkeit, die die Berührung des eigenen Körpers auslöst, oder auch übers Lesen, das uns durch Gefühle, Gedanken, Vorstellungen, Träume und Ideen berührt.
Wilhelm Schmid, «Von der Kraft der Berührung», Insel
Ann Petry, «The Street» - Doppelbödige Raffinesse
Dieses Buch ist eine Wiederentdeckung, die bei ihrem Erscheinen 1946 in den USA ein Riesenerfolg war und sich 1,5 Millionen Mal verkauft hat. Der Roman spielt in New York, in Harlem, und erzählt die Geschichte einer jungen alleinerziehenden Frau, die um jeden Preis versucht, ihrem Sohn ein besseres Leben zu ermöglichen. Es zeigt die sozialen und gesellschaftlichen Grenzen einer Gesellschaft, die auf Ausbeutung – vor allem von Frauen – beruht und den erfolglosen Versuch, sich daraus zu befreien. Petry schildert ungeheuer eindringlich, doppelbödig und raffiniert eine Welt, die zwar weit weg scheint, aber doch erschreckend zeitlos ist.
Ann Petry, «The Street», Nagel & Kimche
Abbas Khider, «Palast der Miserablen» - «Land der unterirdischen Kerker»
Der neue Roman des irakischen Schriftstellers Abbas Khider, der alle seine Bücher auf Deutsch schreibt, geht zurück in dessen Heimat und seine bewegte Geschichte. Das Buch erzählt von Shams, einem jungen Mann, dessen Familie nach dem Ausbruch des Ersten Golfkriegs in der Hoffnung auf ein besseres Leben in eine Blechhüttensiedlung nach Bagdad zieht. Doch das Leben und der Krieg sind erbarmungslos: Immer, wenn wieder Hoffnung aufkeimt, dass sich eine Art von Normalität einstellen könnte, wird im nächsten Moment alles wieder zunichtegemacht. Khider zeigt uns Lesenden dieses «Land der unterirdischen Kerker» – hautnah und beklemmend.
Abbas Khider, «Palast der Miserablen», Hanser
Tonio Schachinger, «Nicht wie ihr» - Verkorkstes Männerbild
Ein ungewöhnliches Setting für einen Roman: Das Buch erzählt von der veritablen Midlife-Crisis des jungen Profi-Fussballers Ivo, dessen Reichtum und Erfolg wenig zählen, wenn alles mal ins Wanken gerät. Enorm unterhaltsam und pointiert verhandelt der junge Österreicher Tonio Schachinger in seinem Debütroman ernste Themen wie Identität und Fremdheit, «toxic masculanity» und verkorkste Männerbilder. Ein Buchtipp für all jene, die immer behaupten, Fussball sei nichts für sie.
Tonio Schachinger, «Nicht wie ihr», Kremayr & Scheriau
Ta-Nehisi Coates, «Der Wassertänzer» - Freiheit und Selbstbestimmung
Ta-Nehisi Coates ist einer der wichtigsten Intellektuellen und Essayisten der USA. Und er schreibt Comics. Diese Kombination macht seinen ersten Roman besonders spannend: «Der Wassertänzer» führt uns zurück in die Zeit der Sklaverei und erzählt die Geschichte von Hiram Walker, der seiner Gefangenschaft entkommt. Das Buch behandelt die grossen und auch heute noch zentralen Themen wie Freiheit und Selbstbestimmung. So stellt sich Coates in die Tradition grosser Erzählerinnen und Erzähler wie Toni Morrison, James Baldwin, Colson Whitehead oder Maya Angelou.
Ta-Nehisi Coates, «Der Wassertänzer», Blessing
Tom Kummer, «Von schlechten Eltern» - Besonderer Sound
Fast 20 Jahre ist es her, dass Tom Kummer mit seinen fiktiven Interviews einen veritablen Medienskandal ausgelöst hat. Und der Ruf als «Bad Boy Kummer», so der Titel eines Dokumentarfilms über die Hintergründe, verfolgt ihn immer noch. Sein aktueller Roman ist nicht frei erfunden, sondern stark autobiografisch grundiert: Der Ich-Erzähler namens Tom Kummer fährt für ein Luxus-Taxi-Unternehmen nachts afrikanische Geschäftsleute durch die Schweiz. Tagsüber kümmert er sich um seinen Sohn. Der literarische Wert dieses Buchs liegt jedoch weniger im Plot oder seinen Themen wie Tod und Umgang mit Trauer, sondern in seinem besonderen Sound.
Tom Kummer, «Von schlechten Eltern», Klett-Cotta
Monika Helfer, «Die Bagage» - Bittere Schönheit
Die österreichische Autorin Monika Helfer erzählt in ihrem aktuellen Roman die Geschichte ihrer Grossmutter Maria, die für ihre besondere Schönheit bitter büssen muss. Alle Männer des österreichischen Dorfs, in dem die Familie lebt, rennen Maria hinterher – und deshalb glaubt ihr auch niemand, dass das Kind, das während des Ersten Weltkriegs geboren wird, vom Vater ist, der nur zweimal auf Heimaturlaub war. Auch der Vater selbst nicht. Ein zauberhaftes und intensives Buch über Herkunft, Aussenseitertum, Frausein in männerdominierten Zeiten ohne Männer und über den Wert der Familie.
Monika Helfer, «Die Bagage», Hanser
Vicki Baum, «Vor Rehen wird gewarnt» - Erstklassig hinterlistig
«Eine erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte», nannte sie sich. «Eine erstklassige Schriftstellerin erster Güte!» nennt Elke Heidenreich sie. Ihr habe ich diese Entdeckung von Vicky Baum zu verdanken! Erst «Menschen im Hotel», jetzt die Neuauflage von «Vor Rehen wird gewarnt», die Geschichte der ziemlich hinterlistigen und neurotischen Ann Ambros, deren Lebensmotto Programm ist: «Ich kriege immer, was ich will.» Sie kriegt den Mann der Schwester, sie kriegt die Tochter ihrer Schwester. Sie benutzt und zerstört Menschen. Vicky Baum zeichnet Menschen von zeitloser Gültigkeit. Meisterhaft!
Vicki Baum, «Vor Rehen wird gewarnt», Arche
Peter-André Alt, «Jemand musste Josef K. verleumdet haben. Erste Sätze der Weltliteratur und was sie uns verraten» - Lust auf mehr
«Allem Anfang wohnt ein Zauber inne», schrieb Hermann Hesse so treffend. Aber es heisst auch: Aller Anfang ist schwer. Auch der Anfang eines Buchs ist ein Knackpunkt. Der erste Satz ist oft der schwierigste, denn er muss uns Lesenden Lust machen aufs Weiterlesen. Der deutsche Literaturwissenschaftler Peter-André Alt hat sich mit grosser Sachkenntnis den Tücken des ersten Satzes angenommen. Es erzählt von der Schwierigkeit, mit dem Erzählen zu beginnen, und macht Lust auf mehr. Mein liebster erster Satz steht übrigens bei Karl May: «Immer fällt mir, wenn ich an den Indianer denke, der Türke ein.»
Peter-André Alt, «Jemand musste Josef K. verleumdet haben. Erste Sätze der Weltliteratur und was sie uns verraten», C.H. Beck