Die Auktion sorgte weit über die Kunstwelt hinaus für Aufsehen: Anfang März versteigerte das 255 Jahre alte Auktionshaus Christie's zum ersten Mal ein komplett digitales Werk und gab den Zuschlag an ein Höchstgebot von 69,3 Millionen Dollar.
Der Verkauf des Werks, eine Collage mit dem Titel «Everydays: The First 5000 Days», macht Mike Winkelmann (39) alias Beeple, der es kreierte, zum teuersten lebenden Künstler nach Jeff Koons (66) und David Hockney (83). Der Grafikdesigner und Familienvater aus South Carolina (USA) hatte quasi als Nebenjob begonnen, Eigenkreationen online zu verkaufen. Meistens für Beträge von rund 100 Dollar.
«Holy fuck» schrieb Beeple auf seiner Twitter-Seite. Worte, die Vertreter des Kunstmarktes in dieser Kombination niemals öffentlich benutzen würden. Das passt zum Hype um eine neue Art von Kunst. Sie versetzt eine alteingesessene Elite in Aufregung, die ihre Umsätze mit Gemälden, Skulpturen und Installationen macht.
Das Zauberwort heisst Non-Fungible Token
Was den hohen Verkaufspreis von «The First 5000 Days» spektakulär macht, ist nicht nur die Tatsache, dass das Kunstwerk aus einer Bilddatei in der bescheidenen Grösse von rund 300 Megabyte besteht, sondern der Ort, an dem diese gespeichert ist: in einer Blockchain.
«Block-Ketten» sind das Speichersystem, das am sichersten ist vor Hackerangriffen und Datendiebstahl. Sie dienen deshalb als Lagerort für Kryptowährungen wie Bitcoin. Und seit einiger Zeit für digitale Kunst, die dort in Form eines sogenannten Non-Fungible Token (NFT) gespeichert und mit einer Art Stempel versehen ist, der sie ihrem Besitzer zuordnet und ihre Echt- und Einzigartigkeit garantiert.
Ein NFT ist deshalb fälschungssicher und leicht handelbar. Als Zahlungsmittel dient ausschliesslich Kryptowährung, Käufer können sich allfällige Transport- und Versicherungskosten sparen, Gutachten von Kunsthistorikern erübrigen sich. Auch für Künstler hat die Technologie Vorteile. Sie verdienen nicht nur beim ersten Verkauf eines Werkes. Auch wenn es zum zweiten, dritten, vierten Mal den Besitzer wechselt, erhalten sie in den meisten Fällen eine relativ hohe Provision.
Eine Kunstwelt, in der Galeristen & Co. ersetzbar sind
Die Rolle des Galeristen und Kunsthändlers sei von den heutigen Verkaufs-Plattformen für NFTs nicht vorgesehen, sagt Nina Röhrs (46), Expertin für digitale Kunst und Mitinhaberin der Zürcher Galerie Roehrs & Boetsch. Zynisch formuliert, habe Christie’s mit der Auktion des Werkes von Beeple die ganze Welt darauf aufmerksam gemacht, wie ersetzbar ein Auktionshaus eigentlich sei.
Weil NFTs im Netz immer höhere Preise erzielen, sagt Röhrs, würden jetzt auch diejenigen ein Stück vom Kuchen wollen, die bisher «analoge» Kunst verkauft hätten. «Die Kunstwelt hat Angst, dass sie aussen vor gelassen wird.»
Was am aktuellen Diskurs über Kunst in der Blockchain auffällt: Er dreht sich häufig um Millionenbeträge und selten um die Qualität der Kunst selbst. «The First 5000 Days» besteht aus 5000 Bildern. Beeple kreierte sie während mehr als 13 Jahren – täglich eines – am Computer und verarbeitete Dinge, die ihn am jeweiligen Tag beschäftigt hatten. Manchmal dauerte das ein paar Stunden, manchmal nur einige Minuten.
«Vordergründig und unterkomplex»
Auf den Bildern von Beeple, die sich jeder im Internet ansehen kann, sind häufig Astronauten zu sehen, die Ästhetik erinnert mal an Airbrush-Poster aus den 1980er-Jahren, mal an computeranimierte Filme wie «Inception». Es sind Science-Fiction-Dystopien, die den Betrachter auf eine angenehme Art gruseln.
Die Kunstszene hält wenig von solchen Werken. Die deutsche Kunsthistorikerin Isabelle Graw bezeichnete sie im «Spiegel» als visuell meist «sehr vordergründig und unterkomplex». Man spreche kaum darüber, weil es in künstlerischer Hinsicht nicht interessiere.
Warum geben Menschen trotzdem Hunderttausende Franken dafür aus? «Käufer von Blockchain-Kunst haben ein anderes Kunstverständnis als herkömmliche Sammler», sagt Hansen Wang (29), CEO der in Zug stationierten Firma Suum Cuique Labs. Seine Kundschaft besteht aus einer relativ in sich geschlossenen Gruppe von Usern, einer sogenannten Bubble, ihre Mitglieder sind männlich, technikbegeistert und zwischen 20 und 40 Jahre alt.
Der Käufer ist ein tamilischer Multimillionär
Oft geht es darum zu zeigen, wie weit man es gebracht hat. Das trifft auch auf den Käufer von Beeples «The First 5000 Days» zu, den in Indien geborenen Multimillionär Vignesh Sundaresan. Mit seinem Kauf habe er demonstrieren wollen, dass auch «nicht weisse» Menschen Mäzene sein können, schreibt der Blockchain-Unternehmer auf seinem Blog.
Hansen Wang und sein Geschäftspartner gelten mit ihrer Zuger Firma als NFT-Pioniere und wollen so anonym wie möglich bleiben. Anfang Jahr verkauften sie eine Serie von digitalen Masken-Bildern, genannt Hashmasks, für insgesamt 16 Millionen Dollar. An jedem der Bilder war ein 70-köpfiges, über die ganze Welt verteiltes Künstlerteam beteiligt.
Hashmasks enthalten versteckte Nachrichten, manche sind seltener als andere. Jeder kenne die Pokémon-Sammelkarten, sagt Wang. Sie zeigen Figuren, die in einer Hierarchie zueinander stehen. Besitzer können sie untereinander tauschen. «Wir wollten etwas Ähnliches machen. Einfach mit Kunstwerken.»
Gekommen, um zu bleiben?
Wie viel wird vom Hype um NFT-Kunst übrig bleiben? Nina Röhrs, die sich intensiv mit Kunst und Blockchain-Technologie beschäftigt, ist sich sicher, dass der Markt dafür wachsen wird. Jugendliche gäben heute bereits viel Geld für digitale Objekte aus – sei es innerhalb von Computerspielen oder in Form digitaler Sammelkarten. «Ich kann mir gut vorstellen, dass ein digitales Kunstwerk für sie eines Tages den genau gleichen emotionalen Stellenwert haben wird wie ein physisches.»
Die interessantesten Werke machen gemäss Röhrs Künstlerinnen und Künstler, die eine inhaltliche Verschmelzung von Kunstwerk und Blockchain herstellen, mit ihr spielen und so eine neue Art von Kunstwerken schaffen.
Der gelbe Lamborghini als digitales Statussymbol
Vorne mit dabei in dieser Disziplin ist der irisch-amerikanische Konzeptkünstler Kevin Abosch (51), der vor wenigen Jahren mit dem chinesischen Kunst-Star Ai Weiwei (63) ein Blockchain-Projekt realisierte. Für sein Kunstwerk «Yellow Lambo» liess sich Abosch vom Schlagwort #lambo inspirieren. Mitglieder der Krypto-Gemeinschaft verwenden es, um spasseshalber damit anzugeben, dass sie Profite dafür verwenden, um sich einen Lamborghini zu kaufen.
Abosch kreierte ein ähnliches Schlagwort, indem er dem Lamborghini noch eine Farbe gab: Gelb, auf Englisch yellow. Daraus wurde das Schlagwort #ylambo. Er speicherte es in Form eines NFT in der Blockchain ab und erhielt dafür einen Code aus 42 Zahlen und Buchstaben. Diesen machte er in Form einer gelben Leuchtschrift, die an einer Wand hängt, zum eigentlichen Kunstwerk.
In der Krypto-Welt treffe man Menschen, die Millionen für Kunst ausgeben würden, aber keine Ahnung hätten, warum ein Kunstwerk überhaupt einen Wert habe, sagte Abosch zur «New York Times». Gleichzeitig gebe es in der Kunstwelt Menschen, die nicht verstehen würden, warum man Geld in etwas investiere, das nicht physisch existiere. «Hier wird es für mich interessant.»
Die «Yellow Lambo»-Installation kaufte der ehemalige CEO von Skype für 400'000 Dollar. Das ist mehr, als ein echter Lamborghini gekostet hätte.
Nicht nur mit Kunst lässt sich mit Hilfe der Blockchain-Technik Geld verdienen. Die amerikanische Basketball-Profiliga NBA verkauft mit ihr erfolgreich Video-Schnipsel mit legendären Szenen vom Spielfeld. Einem Fan war ein Video, in dem LeBron James (36) einen Korb abwehrt, 100'000 Dollar wert. Er darf ein Stück Basketball-Geschichte sein Eigen nennen, das Video kann aber jeder Internet-User abrufen und herunterladen. Auch Musikerinnen wie Grimes (33), Freundin von Tesla-CEO Elon Musk (49), verdienen mit Film- und Musikmaterial, das sie mit Hilfe der Blockchain-Technik anbieten, viel Geld: Ein Set vertonter Digitalbilder war Anfang April in weniger als 20 Minuten für rund 6 Millionen Dollar verkauft. Je nach Grösse sind die Originale von Kunst- und Musikprojekten nicht direkt in der Blockchain gespeichert, sondern nur die «Urkunden», die bezeugen, wem sie gehören.
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