Im Rausch des Wiener Walzers
Eins, zwei, drei – Prinzessin

Steif ist hier nur der Frack: Auf dem Ball der Wiener Philharmoniker geht es festlich, aber dennoch erstaunlich locker übers Tanzparkett. Eine Nacht im Rausch des Dreivierteltakts.
Publiziert: 28.01.2023 um 13:25 Uhr
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Aktualisiert: 30.01.2023 um 11:18 Uhr
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Der Märchenprinz ist ein Taxitänzer: Blick-Redaktorin Katja Richard mit Philipp Böck, Student und begeisterter Ballroom-Tänzer.
Foto: Paul Bauer
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Für eine Debütantin habe ich die Altersgrenze längst überschritten – aber für eine Nacht Prinzessin sein, dafür ist man an einem Wiener Ball nie zu alt. Die klassische Kulisse dafür bietet der Ball der Philharmoniker im Goldenen Saal des Musikvereins. Alles, was es dazu braucht, ist – neben einem der begehrten Tickets – ein langes Abendkleid. Das kann man sich mieten. Den Märchenprinzen auch: Philipp Böck (21) ist Taxitänzer.

Tanznacht im goldenen Saal des Musikvereins der Wiener Philharmoniker.
Foto: Paul Bauer

Gekonnt, aber vorsichtig führt er mich übers Parkett. Er will mir nicht aufs Kleid treten, der grüne Tüll reicht bis auf den Boden, die Schuhe mit den Absätzen habe ich längst gegen bequeme Ballerinas ausgetauscht. Der Student der Wirtschaftswissenschaften tanzt sich auf diese Weise durch die Ballsaison – ein kleiner Nebenverdienst, und den Eintritt gibts umsonst. Über 400 Bälle finden jährlich in Wien statt, Höhepunkt ist im Januar und Februar zur Faschingszeit. Dank jungen Tänzern wie Böck lebt die Tradition weiter. Walzer, das ist für Österreicher so was wie für uns Schweizer das Jassen, irgendwie kann es jeder, auch wenn heutzutage nicht mehr alle in die Tanzschule gehen. «Wenigstes den Walzer rechtsrum sollte man beherrschen», so der Student.

Die Ballhauptstadt der Welt

Nirgendwo sonst auf der Welt wird die Balltradition zur Faschingszeit so gelebt wie in Wien. Der Ursprung liegt im 18. Jahrhundert, damals war das Tragen von Masken und Kostümen dem Adel vorbehalten. Zum Ausgleich öffnete Kaiser Joseph II. die Tanzveranstaltungen in der Wiener Hofburg für alle. Dort guckte man sich das höfische Zeremoniell ab, und Folgendes gilt bis heute: strenge Kleidungsvorschriften, Eröffnungsfanfare, der Einzug der Debütantinnen und Debütanten, der Ausruf «Alles Walzer!» und die Quadrille als Mitternachtseinlage. Der Wiener Kongress, der 1814/1815 zur Neuordnung Europas nach Napoleons Feldzügen in Wien tagte, war von vielen Bällen begleitet und machte den Walzer europaweit bekannt.

Höhepunkt der Ballsaison: Der Kaffeesiederball in der Wiener Hofburg.
imago images/K.Piles

Nirgendwo sonst auf der Welt wird die Balltradition zur Faschingszeit so gelebt wie in Wien. Der Ursprung liegt im 18. Jahrhundert, damals war das Tragen von Masken und Kostümen dem Adel vorbehalten. Zum Ausgleich öffnete Kaiser Joseph II. die Tanzveranstaltungen in der Wiener Hofburg für alle. Dort guckte man sich das höfische Zeremoniell ab, und Folgendes gilt bis heute: strenge Kleidungsvorschriften, Eröffnungsfanfare, der Einzug der Debütantinnen und Debütanten, der Ausruf «Alles Walzer!» und die Quadrille als Mitternachtseinlage. Der Wiener Kongress, der 1814/1815 zur Neuordnung Europas nach Napoleons Feldzügen in Wien tagte, war von vielen Bällen begleitet und machte den Walzer europaweit bekannt.

Crash-Kurs mit Corsage

Den habe ich in einem Crashkurs bei der altehrwürdigen Tanzschule Elmayer geübt – eine Ballnacht will gut vorbereitet sein. Das Kleid ist von Flossmann ausgeliehen, die Auswahl für Festmode ist riesig: Wie reife Bonbons hängen die Ballkleider angeordnet in den Farben des Regenbogens zur Auswahl. Ich entscheide mich für ein elastisches Kleid – weil es so bequem ist. Bis mir klar wird, dass darunter eine Corsage gehört: So was habe ich noch nie getragen. Eingeschnürt und mit der kunstvoll hochgesteckten Frisur fühle ich mich dann doch ein bisschen steif wie Sissi. Die Kaiserin von Österreich (1837–1898) ist im Hotel Imperial allgegenwärtig, hier findet das Gala-Dinner vor dem Ball statt.

Welches Ballkleid soll es sein: Die Qual der Wahl beim Flossmann für Festmode.
Foto: Paul Bauer

Logiert hat Sissi hier allerdings nicht. «Sie hat sich mit anderen Royals getroffen und Gäste empfangen», weiss Michael Moser (70), der als ehemaliger Chefconcierge des Imperials dem Hochadel der Welt begegnet ist. «Alle Königinnen, Könige und Kaiser sind schon die Fürstentreppe, die von der Lobby in die Beletage führt, hochgegangen», erzählt er. Darum seien die Stufen niedrig, damit die Damen mit den langen Kleidern nicht stolpern. Die Lobby diente ursprünglich als Einfahrt für die Kutschen – im prunkvollen Saal, in dem wir speisen, waren früher die Pferde untergebracht. Das Dinner ist eine Tradition mit praktischem Nutzen: Vom Hinterausgang des Hotels geht es direkt über die Strasse in den Musikverein.

Gedränge wie am Rockkonzert

Der Ball beginnt um Punkt 22 Uhr, es herrscht ein Gedränge wie am Rockkonzert, bloss dass die Damen im Abendkleid und die Herren im Frack in blumengeschmückten Logen stehen. Niemand will die Choreografie der Debütantinnen und Debütanten verpassen. Bis es nachher heisst: «Alles Walzer!» und die Tanzfläche für alle eröffnet ist. Anfänger wie ich beobachten das synchronisierte Treiben erst mal aus sicherer Distanz. Beim Crashkurs habe ich gelernt: Wer schnell dreht, tanzt aussen – ruhiger ist es im Auge des Tanzsturms.

Warten auf die Eröffnung: Punkt 22 Uhr zieht zur Fanfare das Ehrenkomitee ein.

Allein bleibe ich nicht lange: Es dauert keine fünf Minuten, bis mich ein älterer Herr auffordert, sein Frack scheint etwas angestaubt, seine Tanzkünste nicht. Schon bald schwebe ich mit ihm in gemächlichen Kreisen durch den Saal und verstehe, warum Drehtänze einst als skandalös galten. Bis der Wiener Walzer im späten 18. Jahrhundert salonfähig wurde, galten sie wegen des nahen Körperkontakts als unzüchtig. Aber nicht nur deshalb wurde der Tanz als Teufelszeug verschrien: Das stetige Drehen ist so berauschend wie drei Gläser Champagner auf einmal.

Die schönsten Bälle der Saison

Über 400 Bälle mit total 2000 Tanzstunden werden in Wien gefeiert – das sind die schönsten Veranstaltungen im Februar:

Jägerball, 30. Januar
Die Ballbesucher gehen in Dirndl und Tracht in der Wiener Hofburg und der Spanischen Hofreitschule auf die Pirsch, dieses Jahr wird die 100. Ausgabe gefeiert. 180 Euro.

Kaffeesiederball, 3. Februar
Das imperiale Ambiente der Hofburg bietet den prunkvollen Rahmen eines der traditionsreichsten Bälle. 180 Euro.

Opernball, 16. Februar
Der Ball der Bälle in der Wiener Staatsoper gilt als Treffpunkt der internationalen Prominenz. 350 Euro.

Juristenball, 18. Februar
Unter dem Motto «La Dolce Vita» wird mit italienischem Flair in der Hofburg gefeiert. 170 Euro.

Elmayer-Kränzchen, 21. Februar
Den Ausklang der Ballsaison feiert die Tanzschule Elmayer: Mehr als 300 Debütantenpaare eröffnen den Abend in der Hofburg bereits um 18 Uhr. 60 Euro.

Katharina Schiffl

Über 400 Bälle mit total 2000 Tanzstunden werden in Wien gefeiert – das sind die schönsten Veranstaltungen im Februar:

Jägerball, 30. Januar
Die Ballbesucher gehen in Dirndl und Tracht in der Wiener Hofburg und der Spanischen Hofreitschule auf die Pirsch, dieses Jahr wird die 100. Ausgabe gefeiert. 180 Euro.

Kaffeesiederball, 3. Februar
Das imperiale Ambiente der Hofburg bietet den prunkvollen Rahmen eines der traditionsreichsten Bälle. 180 Euro.

Opernball, 16. Februar
Der Ball der Bälle in der Wiener Staatsoper gilt als Treffpunkt der internationalen Prominenz. 350 Euro.

Juristenball, 18. Februar
Unter dem Motto «La Dolce Vita» wird mit italienischem Flair in der Hofburg gefeiert. 170 Euro.

Elmayer-Kränzchen, 21. Februar
Den Ausklang der Ballsaison feiert die Tanzschule Elmayer: Mehr als 300 Debütantenpaare eröffnen den Abend in der Hofburg bereits um 18 Uhr. 60 Euro.

Mit 2500 Gästen ist es nicht der grösste oder berühmteste Ball in Wien, dafür gilt er als der eleganteste. Das Besondere daran: Normalerweise kommt etwa ein Drittel der Gäste von auswärts, bei den Philharmonikern bleibt die Wiener Gesellschaft eher unter sich. Dazu gehören Politprominenz und hochkarätige Gäste, dieses Jahr wird die 80. Ausgabe gefeiert, mit dabei sind die Opernstars Anna Netrebko (51) und Placido Domingo (82). Oft stehen die Leute Schlange, um kurzfristig noch ein Ticket zu ergattern, denn für 195 Euro gibt es nicht nur einen Ball, viele wollen das weltberühmte Orchester der Philharmoniker spielen hören. «Es ist ein Fest für die Gäste, aber auch für uns Künstler», sagt Organisator Paul Halwax. «Normalerweise gehen wir nach dem Konzert nach Hause, hier tanzen wir weiter.»

Ganz im Zeichen von Sissi: Die österreichische Kaiserin im Hotel Imperial.

Aufatmen nach der Pandemie

Halwax spielt im Orchester die Tuba, die kommt aber bei der festlichen Eröffnung nicht zum Einsatz. Die Fanfare, die 1924 von Richard Strauss extra für diesen Anlass komponiert worden ist, spielen die Blechbläser. «Und ich kann die Musik geniessen», meint er und lacht. Wenn dazu das Ehrenkomitee in den Saal schreitet, dann sei das für ihn immer wieder ein «Gänsehaut-Moment». Auf den hat man ihn Wien drei Jahre lang warten müssen, die Pandemie hat die Ballsaison stillgelegt. Zudem waren die Auflagen in Österreich besonders streng – bis heute muss im öffentlichen Verkehr in Wien eine FFP2-Maske getragen werden.

Höhepunkt der Ballnacht: Nach der Quadrille gehts im Galopp durch den Saal.

Das scheint alles vergessen, als der Ball mit der Quadrille um Mitternacht seinen ersten Höhepunkt erreicht: Für den Contre-Dance stellen sich die Paare dicht gedrängt in langen Reihen im Saal auf und warten auf die Kommandos von Thomas Elmayer (76), dem Besitzer der berühmtesten Tanzschule Wiens. «Chaîne anglaise!», «tour de main!», «promenade!» tönt es auf Französisch. Was man aus Sissi-Filmen als höfischen Tanz kennt, geht mit vielen Fehltritten und noch mehr Gelächter übers Parkett. Zum Glück steht mir dabei Taxitänzer Böck zur Seite – er kennt die Abfolge perfekt. Mit ihm wage ich auch den Galopp durch die Tanzreihen hindurch. Dabei wird jede Steifheit abgelegt, ein Paar stolpert tatsächlich über den Rock, beide fallen hin. Während wir andern überholen, rappeln sie sich auf und tanzen weiter – es ist fast wie beim Skifahren.

Nach Hause gehts erst in den frühen Morgenstunden.
Foto: Paul Bauer

Dabei machen Jung und Alt gleichermassen mit, und das bis in die Morgenstunden. Als ich mich gegen vier Uhr auf den Weg hinaus mache, begegnet mir im Lift ein älteres Paar – die lachen mich aus: «Schon ins Bett? Wir sind doch erst mittendrin!» Tatsächlich ist der Saal auch um 5 Uhr noch mit Tanzpaaren gefüllt, und es ist noch nicht Schluss. Danach gehts direkt zum Würstelstand oder ins nahe Café Schwarzenberg für ein Gulasch – dabei glitzern die Abendkleider der Damen auf dem dunklen Asphalt wie Sterne – jede ist eine Prinzessin für eine Nacht.

*Die Reportage wurde unterstützt von Wien Tourismus.


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