«Eine Drama-Queen in der Band ist ja wohl genug!» – Freddie Mercury sagt das irgendwann in «Bohemian Rhapsody», als sich die anderen Bandmitglieder gerade wegen des Queen-Songs «I’m In Love With My Car» in die Haare geraten sind. Süffisant weist der Paradiesvogel also darauf hin, dass er der Egozentriker in der Gruppe ist – und ja kein anderer. Tatsächlich umschreibt das Wort «Drama» die Karriere des Sängers und seiner Band ausgezeichnet: Höhenflüge und Abstürze, Sex, Drogen, Krankheit, Exzess, Einsamkeit, Euphorie, Talent, Kitsch, Egozentrik, Familie und Freundschaft – kaum eine andere Band hat eine derart cineastische Geschichte vorzuweisen wie Queen. Nur: Ergibt das automatisch einen guten Film?
Die Vorgeschichte zu «Bohemian Rhapsody» liess Zweifel daran aufkommen. Monatelang jagte eine schlechte Nachricht die andere. Erst stieg der designierte Freddie-Mercury-Darsteller Sacha Baron Cohen aus, weil er sich mit den verbliebenen Queen-Migliedern nicht über die Tonalität einigen konnte. Der «Borat»-Star wollte einen harten Film für ein erwachsenes Publikum, der die dunklen Seiten des Sängers nicht beschönigt. Im letzten November wurde auch noch Regisseur Bryan Singer gefeuert, weil er sich am Set «nicht professionell» verhalten und sich mit dem neuen Freddie-Darsteller Rami Malek überworfen haben soll.
Trotz seiner vielen Schwächen ist der Film ein echter Triumph
Das alles klingt nicht wirklich nach einem Film, der einen vom Hocker reisst. Doch jetzt ist er endlich da, und nach 134 Minuten «Bohemian Rhapsody» darf man sagen: Er ist ein wahrer Triumph geworden. Nicht etwa, weil er perfekt wäre. Im Gegenteil, die Schwächen sind offensichtlich: Der Film weiss nicht recht, was er sein will, wechselt zwischen Bio-Pic und Musik-Dok hin und her. Er ist oberflächlich, zu brav, ungenau und unvollständig. Das Erstaunliche jedoch ist, dass das alles keine Rolle spielt. Denn die Art und Weise, wie Freddie Mercury, Queen und ihre unsterblichen Hits zum Leben erweckt werden, ist atemberaubend. Jeder, der Musik nur ein wenig mag, wird – ja muss – diesen Film lieben.
Perfekt den Ton trifft dabei vor allem einer: Rami Malek. Er schafft, was kaum jemand für möglich gehalten hat: Er ist Freddie. Seine Bewegungen, seine Ansagen, seine Art zu singen, seine Optik, alles stimmt. Bislang war der 37-Jährige nur durch seine Rolle als Hacker in der Serie «Mr. Robot» aufgefallen. Nach diesem Film wird sich das ändern. Erste Stimmen sprechen bereits davon, dass das Oscar-Rennen um die beste männliche Hauptrolle entschieden sei.
Das mag etwas voreilig sein. Fakt aber ist: Eine solch einzigartige Figur wie den Queen-Sänger so zu verkörpern, dass man vergisst, dass da nicht der echte Freddie Mercury auf der Leinwand singt, ist eine Meisterleistung. Nicht die einzige: Gwilym Lee ist mehr Brian May als der Queen-Gitarrist selbst, und auch die Darsteller von Schlagzeuger Roger Taylor und Bassist John Deacon machen einen guten Job. Dreh- und Angelpunkt des Films ist jedoch Maleks Mercury. Kein Wunder: Der wahrscheinlich beste Rock-Frontmann aller Zeiten hat tausend Leben gelebt. Seine Vita allein würde Stoff für Serien hergeben.
Als Mensch bleibt Freddie Mercury eine mystische Figur
«Bohemian Rhapsody» konzentriert sich deshalb auf Mercurys Aufstieg vom Kofferabfertiger in London Heathrow zum gefeierten Rock-Gott – mit dem sensationellen Comeback von Queen am Live-Aid-Konzert vom Juli 1985 im Londoner Wembley-Stadion. Dieser Höhepunkt wird im Film exzessiv zelebriert – als Fest für Aug’ und Ohr.
Auf der Strecke bleiben dafür einige der Abgründe. Zwar wird die Einsamkeit des Sängers als Ursache für seinen Drogenkonsum mit sensiblen Szenen immer wieder angedeutet. Auch der schwierige Umgang mit seiner Homosexualität wird nicht verschwiegen; sein schwuler Manager Paul Prenter muss im Film sogar die etwas platte Rolle des Bad Guy übernehmen. Doch statt Exzessen stellt «Bohemian Rhapsody» lieber Mercurys Beziehung zu seiner Frau Mary Austin ins Zentrum – eine Folge davon, dass Brian May und Roger Taylor als Produzenten wirkten und ihrem Sänger jene Mystik bewahrten, die ihn Zeit seines Lebens so faszinierend gemacht hat.
Aids bleibt im Film nichtaussen vor – die Schweiz schon
Eher nüchtern wird im Film auch Mercurys Aids-Erkrankung abgehandelt. Gezeigt werden Hustenanfälle und die Diagnose – und wie sich der Sänger aufrafft, um seine verbleibenden Jahre zu nutzen. Er will, so sagt er trotzig, nicht als «Posterboy für eine Krankheit in Erinnerung bleiben».
Auf der Strecke bleibt so auch seine Zeit in der Schweiz. Die letzten Jahre in Montreux bleiben aussen vor, genauso wie die Aufnahmen in Schweizer Studios. Doch Momente der Rührung gibt es in «Bohemian Rhapsody» auch ohne Fokus auf das tragische Ende des Sängers zuhauf – jede Menge Drama sogar. Der Film würde Freddie Mercury gefallen.