Drei Schweizerinnen an der brutalsten Lesung
Das grosse Fertigmachen

Das jährliche Wettlesen von Klagenfurt in Kärnten (A) ist die Reality-Show für den deutschsprachigen Literaturbetrieb. Das Fernsehen überträgt vier Tage lang live auf 3sat. Mit dabei drei Autorinnen aus der Schweiz.
Publiziert: 02.07.2018 um 23:33 Uhr
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Aktualisiert: 17.10.2018 um 15:02 Uhr
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Bücher, Bücher, Bücher – ab Donnerstag lesen 14 Autorinnen und Autoren am brutalsten Literaturwettbewerb in Klagenfurt (A), darunter drei Schweizerinnen.
Foto: Ikea.ch
Christian Maurer

14 Autorinnen und Autoren tragen ab Donnerstag ihre noch unveröffentlichten Texte vor – und lassen sie öffentlich vor laufender Kamera von einer Kritiker-Jury sezieren und zerpflücken. Dabei kann es bisweilen richtig unfreundlich zu und her gehen – man nennt das auch Autorenschlachtung oder das grosse Fertigmachen. Wers am besten übersteht, bekommt den mit 25'000 Euro dotierten Bachmannpreis.

Schon bei der ersten Ausgabe des Wettlesens 1977 schoss der damalige deutsche Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki (†93) derart heftig gegen die selbst auch sehr streitbare Autorin Karin Struck (†59), dass die das Wettlesen heulend verliess und heimreiste: «Das ist ein Skandal, wie sie schreibt. Das ist keine Literatur, das ist ein Verbrechen», meinte Reich-Ranicki.

Schweizer Skandalautor mit Schreibblockade

Nicht nur Kritiker, auch Autoren provozieren gerne. Der Schweizer Lyriker Urs Allemann (70) verursachte 1991 mit seinem Prosatext «Babyficker» einen der grössten Literaturskandale: Der Dichter variierte endlos den Satz «Ich ficke Babys. Also bin ich vielleicht.» Ein Jurymitglied verliess tobend den Saal. Trotzdem bekam Allemann einen Nebenpreis – und eine Schreibblockade. Zehn Jahre machte er keine Literatur mehr.

Dieses Jahr stellen sich nun drei Frauen aus der Schweiz dem brutalsten Literaturwettbewerb im deutschsprachigen Raum: Anna Stern (28), Martina Clavadetscher (38) und Corinna T. Sievers (52).

Die ETH-Forscherin 

Im Hauptberuf forscht Anna Stern an der ETH Zürich über Antibiotikaresistenzen, schreibt ihre Doktorarbeit und heisst Anna Bischofberger. Daneben denkt sie sich Geschichten aus und gilt als grösstes Talent unter den jungen Schweizer Autoren. Zwei Romane hat sie schon veröffentlicht, «Schneestill» (2014) und «Der Gutachter» (2016). Nächstes Jahr soll ihr dritter Roman «Denn du bist wild wie die Wellen des Meeres» erscheinen.

Ihren Autorennamen hat sie sich zugelegt, weil dem Verleger ihr richtiger Name zu wenig nach Schriftstellerin tönte. Die Wahl ist perfekt für lobende Kritiker, die mit dem Künstlernamen gerne Sprachbilder basteln. So zum Beispiel die für Buchbesprechungen renommierte «Frankfurter Allgemeine Zeitung» dichtete hymnisch über «Beim Auftauchen der Himmel», das jüngste Buch von Stern: «Mit ihrem Erzählungsband bestätigt Anna Stern ihre Rolle als neuer Fixpunkt am literarischen Firmament.» Ob das die Jury in Kärnten auch so sieht?

Die Schönheitschirurgin

Einen wissenschaftlichen Hauptberuf hat auch Corinna T. Sievers (52): Sie ist Kieferorthopädin, spezialisiert auf angeborene Gesichtsfehlbildungen, mit eigener Schönheitspraxis an der Zürcher Goldküste. Ihre Doktorarbeit schrieb sie über die Prognostizierbarkeit von Schönheit. Jetzt schreibt sie auch Romane. Zum Ausgleich. «Ich glaube, dass ich alles, was ich nicht sein darf, in meine Figuren lege und mich dort austobe und auch etwas verarbeite», sagte sie in einem Interview.

Ihr erstes Buch hiess «Samenklau», ihr bisher letztes «Die Halbwertszeit». Immer geht es um Eros und Liebe, starke Frauen mit einem Gefühlsmanko. Männer kommen immer schlecht weg, und Tote gibt es auch. Und die Sprache der Ärztin ist zwischen erotisch-obszön und klinisch-direkt. Ein Stil, der beim Wettlesen oft ganz gut ankommt.

Beim Buchpreis leer ausgegangen

Die einzige Frau des Wortes unter den Schweizer Wettleserinnen ist Martina Clavadetscher (38). Sie kennt man aus den Radio-Kolumnen Apropos auf SRF1, als Theaterfrau in Luzern und Zürich. Letztes Jahr war sie auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis nominiert. Ihr sprachlich und inhaltlich sehr eigenwilliger Roman «Knochenlieder» über zwei apokalyptische Aussteigerfamilien ging allerdings leer aus. Der Jury in Klagenfurt gefällts vielleicht besser als jener in der Schweiz.

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