«Wir frisierten Töffli und schauten zusammen den ‹Playboy› an»
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Zora del Buonos «Marschallin»:Von der Architektin zur Autorin

«Die Marschallin» von Zora del Buono
«Wir frisierten Töffli und schauten zusammen den ‹Playboy› an»

Die Schweizer Schriftstellerin Zora del Buono (57) über «Züri brännt», das Jugendbuch «Die rote Zora» und ihre kommunistische Grossmutter, der sie ihren neuen Roman widmet.
Publiziert: 11.07.2020 um 11:38 Uhr
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Aktualisiert: 13.07.2020 um 11:29 Uhr
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Die Dame mit dem Hündchen: Zora del Buono (57) mit der neapolitanischen Strassenmischung Mica (7) auf dem Lindenhof in Zürich.
Foto: STEFAN BOHRER
Daniel Arnet

BLICK: Sie haben einen Roman über Zora del Buono geschrieben, und trotzdem sind das nicht Sie. Verwirrend!
Zora del Buono: «Die Marschallin» ist keine Autobiografie. Das Buch handelt von meiner Grossmutter väterlicherseits, deren Name ich trage. Zusätzlich habe ich noch eine Cousine in Bari, die auch so heisst – drei Gleichnamige in einer Familie, in Italien nicht ungewöhnlich. Um eine Unterscheidung zu schaffen, nannte man uns neben Zora noch Zorica, Zorina oder Zörli.

Letztere waren wohl Sie?
Ja, das Zörli us Züri, weil ich als Einzige der Sippe ausserhalb Italiens in der Schweiz bei meiner Mutter aufwuchs.

Vom Bausatz zum Satzbau

1962 kommt Zora del Buono als Tochter einer Aargauerin und eines Süditalieners in Zürich zur Welt. Sie ist kein Jahr alt, als ihr Vater auf der Autofahrt von Davos nach Zürich wegen eines Rasers ums Leben kommt. Del Buono studiert an der ETH Zürich Architektur und ist nach dem Mauerfall fünf Jahre lang Bauleiterin in Berlin. 1996 ist sie Mitbegründerin der Zeitschrift «Mare» und schreibt Artikel. 2008 veröffentlicht sie ihren ersten Roman «Canitz’ Verlangen» und bezeichnet sich fortan als freie Autorin. 2015 erscheint die vielbeachtete Novelle «Gotthard». Zora del Buono lebt in Zürich und Berlin.

1962 kommt Zora del Buono als Tochter einer Aargauerin und eines Süditalieners in Zürich zur Welt. Sie ist kein Jahr alt, als ihr Vater auf der Autofahrt von Davos nach Zürich wegen eines Rasers ums Leben kommt. Del Buono studiert an der ETH Zürich Architektur und ist nach dem Mauerfall fünf Jahre lang Bauleiterin in Berlin. 1996 ist sie Mitbegründerin der Zeitschrift «Mare» und schreibt Artikel. 2008 veröffentlicht sie ihren ersten Roman «Canitz’ Verlangen» und bezeichnet sich fortan als freie Autorin. 2015 erscheint die vielbeachtete Novelle «Gotthard». Zora del Buono lebt in Zürich und Berlin.

Schuf die Namensgleichheit mit Ihrer Grossmutter eine engere Beziehung zu ihr?
Unbedingt. Ich glaube sowieso, dass Namen prägend sind: del Buono, vom Guten – da fühlt man sich als Kind gleich besser. Aber Zora war in Slowenien, wo meine Grossmutter ursprünglich herkam, ein gängiger Name; ich wuchs dann mit dem Jugendroman «Die rote Zora und ihre Bande» auf.

Der Roman des Wahlschweizers Kurt Held spielt in Jugoslawien, der Heimat Ihrer Grossmutter. Identifizierten Sie sich mit dem Buch?
Sehr. Ich hiess Zora und hatte feuerrotes Haar. Und dann hat die Romanheldin eine Bubengang um sich rum – das war bei mir auch so. Ich war immer mehr die Kumpanin der Knaben als das Objekt der Begierde. Das fand ich gut. Dadurch hatte ich nicht den Stress, gefallen zu müssen.

Ihre Grossmutter war eine eigentliche rote Zora: Sie war Kommunistin.
Als Kind war ich stolz darauf, in einer Kommunisten-Familie aufgewachsen zu sein.

Die del Buonos waren Aristokraten aus dem Süden Italiens und trotzdem Kommunisten. Wie kam das?
Meine Grosseltern wollten, dass es allen so gut geht wie ihnen selbst. Ein etwas naiver Ansatz vielleicht. Aber sie finanzierten die Partei. Sie waren klassische Salon-Kommunisten: gebildet und reich. Nichtsdestotrotz behandelte die Grossmutter ihr Personal nicht wirklich gut.

«Die Marschallin» schildert eine gestrenge Frau. War sie auch streng gegenüber Ihnen?
Sie war die Herrscherin der Familie. Ich hatte sie allerdings nicht so erlebt, denn in Italien ist es so, dass Kinder alles machen dürfen – mir verbot sie nie etwas. Aber für ihre Schwiegertöchter war es sehr schwierig mit ihr. Die Grossmutter führte das Regiment und duldete keine Frau neben sich. Meine Mutter hatte diesbezüglich Glück.

Weshalb?
Weil mein Vater – der jüngste Sohn von Zora del Buono – bei einem Autounfall früh starb und die Grossmutter das Gefühl hatte, dass meine Mutter in der Schweiz gut für mich sorgte.

Sie waren in der Primarschule, als vor 50 Jahren die Schwarzenbach-Initiative zur Abstimmung kam. Spürten Sie damals Ressentiments wegen Ihres italienischen Nachnamens?
Meine Mutter bürgerte mich nach dem Tod des Vaters ein, aber ich spürte natürlich die italofeindliche Stimmung: Tschingg und Spaghettifresser waren gängige Schimpfworte.

Sie waren ja privilegiert, denn Ihr Vater war Radiologe am Universitätsspital.
Schon, aber die schlechte Behandlung der Gastarbeiter prägte mich. Ich habe ein starkes Gerechtigkeitsgefühl. Deshalb schrieb ich die Arbeiter-Novelle «Gotthard», um zu zeigen, wer diesen Tunnel baute.

Sind Sie stolz auf Ihre italienischen Wurzeln?
Nein, stolz nicht, Herkunft ist ja keine Leistung. Aber als Kind flogen wir mehrmals jährlich nach Bari in die Ferien, während meine Schulkameraden in der Schweiz blieben. Das war schon etwas Besonderes.

In Bari trafen Sie jeweils Ihre Grossmutter. Welches ist die schönste Erinnerung?
Der Geruch von Puder. Ich krabbelte als Kind häufig auf ihr rum – das war ein weicher, weisser Grossmutterkörper. Und der verströmte diesen warmen Duft.

Ihre Grossmutter ist 1980 im Alter von 84 gestorben. Warum veröffentlichen Sie gerade heute ein Buch über sie?
Ich dachte immer, das sei ein toller Romanstoff, aber ich konnte die Grundgeschichte, dass mein Grossvater dem jugoslawischen Herrscher Tito das Leben gerettet haben soll, nie verifizieren. So trug ich dieses Projekt stets mit mir rum und verwirklichte zunächst andere Bücher.

Und jetzt «Die Marschallin». Weshalb?
Weil ich wollte, dass meine betagte Mutter das Buch noch lesen kann. Sie sagte immer: Wenn du über unsere Familie schreibst, will ich es lesen.

Und so recherchierten Sie den Tito-Stoff.
Ja, aber je mehr ich die Verwandtschaft befragte, umso verwirrender wurde alles.

«Die Marschallin»: Die rote Zora

«Vergiss nicht, du trägst ihren Namen.» Mit dieser Warnung von Tante Mila beginnt der neue Roman der Schweizer Autorin Zora del Buono (57). In ihrem vierten, bislang umfangreichsten Roman beschreibt sie das Leben ihrer gleichnamigen Grossmutter (1896–1980). Im Kern geht es um die Jahre nach dem Ersten bis nach dem Zweiten Weltkrieg – Jahre, in denen die kommunistischen Aristokraten Del Buono gegen Mussolini in Italien und für Tito in der Heimat der Grossmutter kämpfen. Doch «die Marschallin» verliert zusehends an Macht. Eine spannende Geschichtslektion, welcher die Zoras Leben einhauchen – die Vorfahrin mit ihrer Biografie, die Autorin mit ihrer Sprache.

Zora del Buono, «Die Marschallin», C. H. Beck; der Roman ist ab 16. Juli erhältlich.

«Vergiss nicht, du trägst ihren Namen.» Mit dieser Warnung von Tante Mila beginnt der neue Roman der Schweizer Autorin Zora del Buono (57). In ihrem vierten, bislang umfangreichsten Roman beschreibt sie das Leben ihrer gleichnamigen Grossmutter (1896–1980). Im Kern geht es um die Jahre nach dem Ersten bis nach dem Zweiten Weltkrieg – Jahre, in denen die kommunistischen Aristokraten Del Buono gegen Mussolini in Italien und für Tito in der Heimat der Grossmutter kämpfen. Doch «die Marschallin» verliert zusehends an Macht. Eine spannende Geschichtslektion, welcher die Zoras Leben einhauchen – die Vorfahrin mit ihrer Biografie, die Autorin mit ihrer Sprache.

Zora del Buono, «Die Marschallin», C. H. Beck; der Roman ist ab 16. Juli erhältlich.

Mussten Sie die Familiensaga also erfinden?
Nein, ich hatte ich noch eine Tante, die schon sehr alt war. Die gab mir einige abgründige Familiengeheimnisse preis, weil sie am Ende ihres Lebens stand. In der Zwischenzeit ist sie auch verstorben.

Dann wird sie Veröffentlichung Ihres Romans gar nicht mehr erleben!
Was auch gut ist, denn sie warnte mich vor diesem Buchprojekt: Das sei zu gefährlich. Ich modifizierte einiges, um niemanden in Gefahr zu bringen.

Die Personenliste, die Sie zu Beginn des Romans aufführen, entspricht aber Ihrer Familie, oder?
Fast. Ich liess gewisse Mitglieder weg, weil ich wusste, dass sie es nicht goutieren würden. Zudem veränderte ich die Gewichtung: Menschen, die grosse Rollen hatten, machte ich zu Nebenfiguren, und umgekehrt. Wie mein Grossvater sagen würde: Se non è vero, è ben trovato.

Recherchierten Sie die Fakten fürs Buch im Nachhinein, oder sprachen Sie mit der Grossmutter noch zu Lebzeiten darüber?
Leider gar nicht. Ich habe nur Erinnerungen an sie.

Erkannten Sie sich beim Schreiben in Ihrer Grossmutter wieder?
Durchaus. Ich habe zwar keine Familie, führe kein Regiment und hoffe auch, dass ich nicht so manipulativ bin wie sie. Aber ich erkannte mich schon in ihr.

Auch politisch? Sie leben ja mit einem Marxisten in einer WG.
Nun gut, ich bin ein 80er-Jahre-Züri-Chind. «Züri brännt» war meine Sozialisation. Zürich war damals klein, langweilig und bieder.

Deshalb gingen Sie 1987 nach Berlin.
Dort war nichts mehr kleinteilig, sondern leer, gross und dunkel – die Westberliner Subkultur war grossartig! 1989 kam der Mauerfall, und alles ging verloren. Ich brauchte Jahre, um mich an das vereinte Berlin zu gewöhnen.

Als studierte Architektin ETH arbeiteten Sie Anfang der 1990er-Jahre als Bauleiterin in Berlin. Weshalb nur fünf Jahre?
Nach dem Mauerfall bekamen viele Westdeutsche Häuser im Osten zurückerstattet. Die sollten möglichst schnell und möglichst billig saniert werden, um sie möglichst teuer zu verkaufen oder zu vermieten – das war mir zuwider.

Und so gründeten Sie 1996 die Zeitschrift «Mare» zusammen mit Nikolaus Gelpke, einem Mitschüler aus Gymnasiumszeiten in Zürich.
«Dä Niggi» war mein Schulfreund: Wir frisierten Töffli und schauten zusammen den «Playboy» an. Er ging später als Meeresbiologe nach Kiel in Norddeutschland, ich als Architektin nach Berlin. Und dann kam der wichtigste Anruf meines Lebens.

Von Nikolaus Gelpke?
Genau. Er sagte mir: Ich will einen «Spiegel» der Meere machen. Machst du mit? Ich antwortete: «Spiegel» finde ich ein bisschen langweilig. Wollen wir nicht so etwas wie die Kulturzeitschrift «Du» für die Meere machen? Und so entwickelten wir am Küchentisch bei ihm in Kiel die Zeitschrift «Mare».

«Seit Sommer 2008 freie Autorin», heisst es auf Ihrer Website. Was passierte in jenem Sommer?
Ich merkte irgendwann, dass ich nicht jeden Tag in ein Büro gehen will. Deshalb machte ich ein Sabbatical und veröffentlichte 2008 meinen ersten Roman «Canitz’ Verlangen» im Mare-Verlag.

Es gab schon einmal einen Architekten, der dann Schriftsteller wurde: Max Frisch. Sind Sie die weibliche Variante dieses Modells?
Schön wärs! Aber interessanterweise musste jeder und jede im Gymnasium das Gesamtwerk eines Schriftstellers lesen – und ich wählte Max Frisch. Seine Sprache prägte mich, er war für mich ein Vorbild. Wenn ich ihn heute lese, wird es allerdings schwierig. Sein moralischer Zeigefinger wirkt altherrenhaft und antiquiert.

Heute gibt es wieder moralisierende Autoren.
Ich weiss!

Nicht Ihr Stil?
Gibt es moralisierende Frauen?

Alice Schwarzer? Sibylle Berg?
Die Schwarzer war ungeheuer wichtig früher. Sie hat Generationen von Frauen selbstbewusst gemacht. Insofern verzeihe ich ihr vieles. Und die Berg ist schlicht brillant.

In Ihrem letzten Roman «Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt» trägt die Hauptfigur den Namen Vita Ostan, den Mädchen-Nachnamen Ihrer Grossmutter Zora. Eine erste Annäherung an Ihre Vorfahrin?
Vita Ostan ist die Verbindung des grossmütterlichen Nachnamens und des Vornamens der Urgrossmutter. Und zugleich ist der Roman autobiografisch – er vermengt also alle Generationen.

Genau, Vita Ostan ist Dozentin in den USA – wie Sie ab 2010. Was unterrichteten Sie dort?
Deutschen Journalismus für amerikanische Studenten. Das war jeweils ein siebenwöchiger Sommerkurs.

2016 erschien das Buch, seither unterrichten Sie nicht mehr. Wegen des Buchs?
Wahrscheinlich. Im Buch geht es um eine Beziehung zwischen einer älteren Dozentin und einem jüngeren Studenten. Und um allerlei Eigenheiten des Campus-Lebens. Nicht unbedingt das, was ein College an Publicity mag. Allerdings erschienen über jene Hochschule schon mehrere kritische Romane von Klaus Modick bis Martin Walser.

Welchem Thema widmen Sie sich als Nächstes?
Ich bleibe nach der «Marschallin» bei der Familie und schreibe über unverheiratete Frauen, «Fräuleins», wie man früher sagte – meine Tante Anni ist das Vorbild. Sie wollte nie heiraten und Fräulein genannt werden.

Sie sind auch unverheiratet.
Ja, sonst müsste ich den schönen Namen hergeben. Nein, im Ernst: Dadurch, dass ich mit einer alleinstehenden Mutter aufwuchs, ist das für mich der Normalzustand.

Zora del Buono, «Die Marschallin», C. H. Beck; der Roman ist ab 16. Juli erhältlich.

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