Suchen Sie die drei Unterschiede! Hier Irvine Welshs Bestsellerroman «Trainspotting», der 1996 auf Deutsch herauskam, da das eben aus dem Englischen übersetzte grosse Finale von Trainspotting, der Roman «Die Hosen der Toten» («Dead Men’s Trousers»).
Der erste Satz aus «Trainspotting» lautet: «Sick Boy schwitzte wie'n Schwein; er zitterte.» Darauf der Ich-Erzähler Mark Renton: «Ich sass bloss da, starrte in die Glotze und versuchte, das Arschloch zu ignorieren.»
In «Die Hosen der Toten» beginnt Renton mit den Worten: «Weil ich auf die Schnelle keinen Platz mehr in der Business Class gekriegt hab, sitz ich mit schweissüberströmtem Nacken, flatternden Nerven und klappernden Zähnen auf nem beschissenen Mittelsitz in der Economy Class.»
Und, herausgefunden? Genau: Schwitzte früher das Gegenüber, so ist jetzt Mark Renton selber schweissüberströmt, zitterte damals der andere, so klappern nun Renton die Zähne. Aber dem stets abgebrannten Junkie aus «Trainspotting» scheint es heute zumindest finanziell gut zu gehen, wollte er doch Business Class fliegen.
«Trainspotting» machte Ewan McGregor berühmt
Vom Trainspotter zum Jetsetter, vom Fixer zum Vielflieger, von der schiefen Bahn zum Linienflug: Kein Zweifel, der smarte Mark Renton hat es geschafft. 1986, in welchem Jahr «Trainspotting» spielt, hängt er an der Nadel; Nadelstreifen trägt er 2016, dem Handlungsjahr von «Die Hosen der Toten», zwar nicht gerade, aber Renton ist Manager erfolgreicher DJs.
Alles in Butter also? Nicht ganz, denn ausgerechnet im Flugzeug begegnet Renton seinem früheren Kumpan Frank Begbie. «Mein erster Gedanke is: O nein», so Renton im Buch. «Mein zweiter is: Fuck.» Denn Renton hat Begbie einst nach einem Drogendeal um dessen Anteil geprellt. Doch Begbie will sich gar nicht rächen, denn er ist selber erfolgreich als bildender Künstler mit bildhübscher Frau.
Weit weniger gut geht es den beiden anderen im Bund: Simon Williamson, Rentons ältestem Freund, und Danny Murphy. Während sich Williamson mit einem Escortservice mehr schlecht als recht über Wasser halten kann, gerät Murphy in den Strudel des illegalen Organhandels.
Mark «Rent Boy» Renton, Frank «Franco» Begbie, Simon «Sick Boy» Williamson und Danny «Spud» Murphy: Durch die kongeniale «Trainspotting»-Verfilmung von Danny Boyle (63) haben die vier Romanfiguren 1996 weltberühmte Gesichter erhalten. Für Ewan McGregor (48) bedeutete seine Rolle als Mark Renton sogar den internationalen Durchbruch. Er hob ab, wurde ein Star und spielte danach mehrfach in «Star Wars»-Filmen mit.
Die dreckige Variante von Nick Hornby
Doch «Trainspotting» war auch für die Macher ein Ritterschlag – für Regisseur Danny Boyle, der danach Filme wie «The Beach» (2000) und «Slumdog Millionaire» (2008) realisieren durfte und für den neusten James-Bond-Film vorgesehen war (er zog sich 2018 zurück); und natürlich für den Schriftsteller Irvine Welsh, der sich nach Schulabbruch, Punkszene, Gefängnisaufenthalten und Managementstudium ab Mitte der 1990er-Jahre aufs Schreiben konzentrieren konnte.
«Ich dachte, Trainspotting könnte ein Kultbuch werden», sagt Irvine Welsh anlässlich der Veröffentlichung von «Dead Men’s Trousers» der britischen Zeitung «The Guardian», «aber ich dachte nicht, dass es ein generationenbestimmendes Buch sein würde.» «Trainspotting» habe ein Eigenleben entwickelt. Und wenn er heute den Roman in einer Buchhandlung sehe, fühle es sich an, als habe es jemand anderes geschrieben.
Wie bei «Trainspotting» haben die einzelnen Episoden von «Die Hosen der Toten» einen Sog, ziehen einen rein wie etwa der Musikroman «High Fidelity» von Nick Hornby (62). Kein Wunder, sind sowohl «Trainspotting» wie «High Fidelity» erfolgreich verfilmt worden. Die zwei etwa gleich alten Schriftsteller bestechen in ihren Werken durch schnörkellose Storyline, Cliffhanger und klare Sprache.
In einem unterscheiden sich die beiden britischen Bestseller-Autoren aber wesentlich: Liefert Hornby propere Storys, die wie in der Verfilmung von «About a Boy» auch mal Saubermann Hugh Grant (59) darstellen kann, so sind die Inhalte bei Welsh alles andere als jugendfrei. Sex, Drugs and Rock 'n' Roll: Betont Hornby Letzteres, wirft Welsh alles auf die ersten beiden Begriffe. Welsh ist die dreckige Variante von Hornby, sozusagen der horny Hornby.
Brexit ist ein «Akt der Dummheit»
Welsh, Sohn eines Hafenarbeiters in Edinburgh, sieht sich zwar nicht als schottischen Nationalisten, ist aber dennoch für die Zerschlagung des britischen Königreichs. Dass nun ausgerechnet der Brexit, den Welsh via Twitter als «act of stupidity» bezeichnete, nun diese unbeabsichtigte Konsequenz haben könnte, erfüllt den Schotten mit Schadenfreude.
Vom «Guardian» darauf angesprochen, lacht Welsh und sagt: «Mit dem Brexit ist alles in der Schwebe.» Und er beschwört eine neue Demokratie im Kleinen. «Ich habe das Gefühl, dass kleinere Staaten besser funktionieren», sagt er der Zeitung und schränkt gleich ein: «Aber weg mit der Idee des Nationalismus, weg mit Ländern.» Es sei egal, wie man das nenne, solange es für die Mehrheit der Bevölkerung funktioniere.
«Die Hosen der Toten» spielt wohl nicht zufällig um das Datum der Brexit-Abstimmung im Juni 2016. Aber Welsh nutzt nicht einmal das Kapitel «Brexit» für eine politische Standpauke. Dort steht nur der resignierte Satz: «Egal, wie das laufen wird, ich kann garantieren, dass für die meisten nix als Scheisse dabei rauskommt.» Weit ausführlicher, über mehrere Seiten, beschreibt Welsh im selben Kapitel stattdessen einen sadistischen Mord – Schadenfreude eben.
Neben dieser Romanfigur stirbt in diesem vierten «Trainspotting»-Buch auch einer der vier Jugendfreunde – wer, das sei hier nicht verraten. Doch wie bei den Fab Four aus Liverpool, den Beatles, ist also auch beim Quartett aus Edinburgh keine Reunion mehr möglich. Damit dürfte «Die Hosen der Toten» tatsächlich «das grosse Finale von Trainspotting» sein, wie es auf dem Cover heisst.
Das Quartett ist tot, es lebe das Quartett
Das bedeutet aber nicht das Ende des Quartetts an sich. Denn im Epilog beschwört Mark Renton – ja, er lebt noch – einen neuen Viererbund: den seiner Familie im Westen der USA. «Mit unserer Billo-Angel sind wir schon ein echt schräges Quartett», so Renton. «Zumindest im Vergleich zu den anderen Anglern mit ihrer professionellen Ausrüstung.»
Renton treibt nun viel Sport, isst gesund und lässt die Finger von Drogen und Alkohol – fast schon ein wenig langweilig. «Und da kommt auch schon das nächste schräge Quartett, obwohl der Rest der Welt die vier wahrscheinlich für eine überdurchschnittlich durchschnittlich kalifornische Familie halten dürfte.»
Auch wenn «Die Hosen der Toten» ein furioses Finale mit vielen Verlusten ist, am Schluss steht fest: Vier gewinnt!
Irvine Welsh: «Die Hosen der Toten – das grosse Finale von Trainspotting», Heyne Hardcore