Bruch Brothers in Luzern
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Heavy-Metal-Mekka:Bruch Brothers in Luzern

Bei den Heavy-Metal-Fans
Schafe im Wolfspelz

Musikstile kommen und gehen – Heavy Metal bleibt. Seine Fans sehen sich gerne als Aussenseiter, die gegen den Strom schwimmen. Aber sind sie das? Unterwegs im Ausgang in Luzern.
Publiziert: 02.11.2019 um 14:20 Uhr
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Aktualisiert: 19.11.2019 um 09:31 Uhr
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Louis Keller (r.) ist unter der Woche LKW-Chauffeur. Er feiert regelmässig mit seinen zwei besten Freunden im «Bruch».
Foto: Anja Wurm
Jonas Dreyfus

Die Fotografin wird langsam nervös. Seit einer Stunde schiesst sie im Konzertlokal Bruch Brothers in Luzern Bilder von schwarz gekleideten Männern mit langen Haaren – und noch keiner hat sein wahres Gesicht gezeigt.

Sobald sie die Linse auf einen von ihnen richtet, streckt er sofort die Zunge heraus, zeigt seine Zähne und hält die Faust mit zwei ausgestreckten Fingern vor die Kamera.

Die Fratzen. Das Handzeichen, das an einen Teufelskopf erinnert. Es sind die typischen Posen der Heavy-Metal-Fans, unter denen wir an diesem Abend weilen. Möglichst dämonisch wollen sie wirken.

«Bei mir in der Klasse hören ausser mir alle Hip-Hop», sagt Donagh (20) aus Romanshorn TG, der nur mit Vornamen genannt werden möchte. «Als Heavy-Metal-Fan ist man Aussenseiter.»

Metal hält sich eisern in der Hitparade

Heavy Metal, eine harte Ausprägung von Rockmusik, hält sich seit den späten 1970er-Jahren hartnäckig in den Charts. Wenn Bands wie Judas Priest, die das Genre seit seinen Anfängen prägen, neue Alben herausbringen, haben sie einen Top-Ten-Platz auf sicher.

Die Fans des Musikstils sind altmodisch: Sie wollen die Musik ihrer Lieblinge in den Händen halten. Laut dem Verband der Schweizer Musiklabels IFPI wurden hierzulande in dieser Sparte seit Beginn des Jahres 2019 mehr als doppelt so viele CDs wie Downloads verkauft. Beim Streaming ist die Differenz noch grösser.

Der Erfolg des Genres zeigt sich auch bei den Ticketverkäufen. Die Superstars des Genres, Metallica, spielten bereits im Jahr 1993 im Basler St.-Jakob-Stadion vor 40'000 Zuschauern. Vergangenen Mai kamen 50'000 ins Stadion Letzigrund nach Zürich, um die amerikanische Band zu sehen.

Maskierte besiegen Rotschopf

Gleichzeitig erobern Acts wie Slipknot – engl. für Henkersknoten – den Markt. Mit ihrer zwanzigjährigen Geschichte ist die Band aus dem Bundesstaat Iowa vergleichsweise jung. Ihre Mitglieder tragen bei ihren Auftritten Horrormasken.

Vergangenen Sommer verdrängten Slipknot Popstar Ed Sheeran als Nummer eins der britischen Albumcharts. Zur selben Zeit waren sie die Hauptattraktion am Greenfield Festival in Interlaken, das an drei Tagen 82'000 Besucher anzog.

Greenfield ist nur einer von vielen Mega-Events, die mit härterem Rock ein grosses Publikum anziehen. Als grösstes reines Metal-Festival der Welt gilt das zweitägige Wacken Open Air in Schleswig-Holstein (D). Die 75'000 Tickets fürs die Ausgabe 2020 waren in 21 Stunden verkauft.

Auf der Bühne des «Bruch» in Luzern steht die Metal-Band Comaniac aus dem Aargau. Warum das Lokal aufgrund von Lärmklagen für mehrere Tausend Franken isoliert werden musste, leuchtet ein in Anbetracht der Lautstärke, mit der die Musik hier aus den Boxen kracht. Für ein Lokal in einem Metal-Mekka wie Luzern scheint sich diese Investition zu lohnen.

Ein Hammer in einer Blutlache

Der Drummer hämmert ultrapräzise Rhythmen auf seinem Schlagzeug, der Bassist pfeffert sie mit dumpfem Gewummer. Tempowechsel. Gitarrensolo. Saiten kreischen. Dann setzt die Stimme des Sängers ein, in Harmonie mit den Background-Vocals. Tiefes Fauchen, dramatisches Gebrüll.

Überhaupt: der Sänger! Er sieht aus wie aus den 1980er-Jahren hergebeamt, trägt ein ärmelloses Metallica-Shirt, das einen Hammer in einer Blutlache zeigt. Seine Oberarme sind tätowiert, das Scheinwerferlicht beleuchtet seine voluminöse Mähne. Er schwingt sie nach vorne, seine Haarspitzen berühren die der Zuschauer vor der Bühne, die ebenfalls wild ihre Köpfe schwenken. Frauen hat es im «Bruch» fast keine. Haare sind hier ein männliches Statussymbol.

Die Geschichte des schnell gespielten Heavy Metals, wie wir ihn heute kennen, beginnt in den späten 70er-Jahren in England. Von dort kommt damals fast alles, was in den Hitparaden erfolgreich ist. Der langsam gespielte Hardrock von Bands wie Black Sabbath oder Led Zeppelin büsst zu dieser Zeit Popularität ein zugunsten des neuen, aufregenden Punk-Sounds von Bands wie den Sex Pistols.

Hardrock plus Punk gibt Heavy-Metal

Punk ist urban und ideologisch aufgeladen, feiert «No Future» und Anarchie. Die intellektuelle Elite liebäugelt mit der Bewegung. Modedesigner verkaufen die zerrissenen Kleider – ein Merkmal der Bewegung – für viel Geld, die Stars des Genres bewegen sich in den hipsten Kreisen von London und New York.

Die Bands der sogenannten New Wave of British Heavy Metal, die sich zu dieser Zeit formiert, verbinden nun auf musikalischer Ebene die Tradition des Hardrock mit dem Tempo des Punk. Sie heissen Iron Maiden, Def Leppard – oder eben Judas Priest.

Ihre Mitglieder sind bodenständig, kommen aus der Arbeiterklasse. Statt der abgewetzten Jeans-Kluft der Punks tragen die «Heavys» Biker-Klamotten aus Leder, statt Verlierertum feiern sie machoide Männlichkeitsbilder: keltische Götter, Soldaten, Wikinger.

Gleich, aber anders

«Weisst du, eigentlich sind wir liebe Siechen», sagt Louis Keller (24). Er feiert heute mit seinen zwei besten Freunden im «Bruch». Die drei Luzerner kommen vom Land und sind perfekt auf bedrohlich gestylt mit schwarzen Stirnbändern und Jacken, die sie kunstvoll mit Aufnähern ihrer Lieblingsbands bestickt haben. Oder mit Totenköpfen. Totenköpfe funktionieren immer.

«Wir sind keine Asis, arbeiten unter der Woche hart», sagt er über sich und seine Kumpel. «Aber wir wollen schon ein bisschen böse aussehen. Das gefällt uns.»

Louis Keller ist LKW-Chauffeur, zeigt auf seinem iPhone Fotos von seinem «Chlapf». Seine Freunde sind Strassenbauer, Stromer. Der Sänger von Comaniac, der sich nach dem Auftritt als Jonas Schmid vorstellt, arbeitet als Lehrer. Ein höflicher 27-Jähriger, der für die Arbeit ein Hemd anzieht und sich die Haare zusammenbindet.

Harter Rock als Offenbarung

Heavy Metal sei ein Landphänomen, sagt Historiker Erich Keller (51). «Lange Zeit war es die Musik der Proletarier.» Keller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Zürich und erforscht als Präsident der Swiss Music Archives die Geschichte der populären Musik in der Schweiz.

Als Teenager zog er von St. Gallen nach Herisau in eine rollstuhlgängige Wohnung, weil sein Vater nach einem Arbeitsunfall nicht mehr gehen konnte. «Ich war der Auswärtige – meine Mitschüler und sogar einige Lehrer mobbten mich, auf dem Nachhauseweg verprügelten mich die Eishockey-Fans.» Keller fand bei einer Gruppe Jugendlicher Anschluss, die lange Haare hatten und eine neue Art von hartem Rock hörten. «Heavy Metal war für mich eine Offenbarung.»

Es war eine Zeit, in der Menschen, die optisch auffielen, gesellschaftlich nicht geduldet waren. Wiederholt habe ihn die Polizei von der Strasse mit auf den Posten genommen, sagt Keller, weil er sich anders gekleidet habe als der Durchschnitt, andere Musik hörte und – vor allem – eine Frisur trug, die sich für Männer nicht gehörte.

«Heavy-Metal-Fans sind konservativ»

Keller machte in Herisau eine Lehre als Kabelmaschinenoperateur. Eigentlich hätte er Schriftsetzer werden wollen. Dazu fehle es ihm an Intelligenz, sagte man ihm. Keller: «Gestossen hat man sich wohl vor allem an den langen Haaren und der Lederjacke. Bis in die 80er-Jahre war man als Heavy-Metal-Fan in der Schweiz ein absoluter Aussenseiter. Nicht weil man einer sein wollte, sondern weil einen das Umfeld zu einem machte.»

Das habe sich in der Zwischenzeit stark geändert. «Lange Haare und T-Shirts mit Totenköpfen schockieren heute zum Glück niemanden mehr.» Dasselbe gelte für härtere Musik. «Heavy Metal ist salonfähig.»

Der Soundstil, fügt Keller an, habe sich kaum weiterentwickelt und lebe immer noch von den goldenen Zeiten in den 80er-Jahren. «Heavy-Metal-Hörer sind konservativ. Selbst junge glorifizieren noch immer dieselben Bands wie ich damals. Wenn heute noch jemand Heavy-Metal-Fans als Aussenseiter betrachtet, sind es sie selbst.»

Bis der erste Zug fährt

Die Nacht lassen die «Heavys» aus dem «Bruch» im «Down» ausklingen. Das Down Town, wie die Bar ungekürzt heisst, ist eine Luzerner Institution. Sie bleibt am Wochenende bis um sieben Uhr morgens geöffnet – perfekt für die vielen Gäste, die auf den ersten Zug warten müssen, der sie in schlecht angebundene Wohngegenden bringt.

In einer kleinen Box mit Glasfenster am Ende des schlauchförmigen Raums sitzt ein DJ auf einem Barhocker, vor ihm ein CD-Player. Er nimmt Wünsche entgegen. Es laufen Klassiker, die bereits seit Jahrzehnten in Schweizer Rockbars zu hören sind: «Poison» von Alice Cooper, «Ace of Spades» von Motörhead und gefühlt jeder Song von den Guns N' Roses.

Ein schlaksiger Typ, Tomislav Stefancic (38) aus Rapperswil SG, steht beobachtend in der Ecke und wippt mit einem Bier in der Hand zu einem Lied, das er sich gewünscht hat. Der Song stammt von der Band, deren Name auf seinem T-Shirt steht: Airbourne. «Einer meiner Lieblings-Acts», sagt Stefancic.

Wenn «Heavys» Perücken tragen

Airbourne haben gerade ein neues Album am Start – das letzte schaffte es auf Platz vier der Schweizer Charts. Wenn das Quartett nicht eigene Lieder veröffentlichen würde, könnte man es als Coverband bezeichnen. Die einfachen Akkorde, die giftig hohe Stimme des Sängers, sein australischer Akzent – alles klingt exakt nach AC/DC, eine der erfolgreichsten Bands der Musikgeschichte.

Stefancic stört das überhaupt nicht – Imitation ist in dieser Szene verbreiteter als Innovation und ein gern gesehenes Mittel, um Tribut zu zollen. Das führt so weit, dass Bands wie Steel Panther von ihren Fans vergöttert werden, obwohl sie Glam-Metal im Stil von Europe und Mötley Crüe persiflieren. Stefancic liebt Steel Panther.

Für den Fakt, dass die Bandmitglieder für ihre Auftritte Perücken tragen anstelle von echten, langen Haaren, hat er nur ein Schulterzucken übrig. «Meine sind aber echt», fügt er an und lacht herzlich. Seit er sie lang trage, seien die Leute viel freundlicher zu ihm, nehmen im Tram ihre Taschen vom Sitz, damit er Platz nehmen kann. «Meine langen Haare öffnen mir Türen.»

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