Die beiden haben sich herausgeputzt. Christine Glauser aus Hettiswil BE trägt ein maritimes Ensemble mit Jeansjacke, ihre Schwester Monika Hämmerli (54) ein rockig angehauchtes Outfit in Schwarz. Wenn die beiden vor Aufregung nicht gerade so furchtbar schweigsam wären, würden sie sich nicht gross von den Kunstliebhabern unterscheiden, die um sie herumhetzen.
Es ist Mittwochvormittag, wir stehen auf dem Messeplatz im Kleinbasel, wo die beiden Bernerinnen aus Hettiswil heute zum ersten Mal die Art Basel besuchen werden, die wichtigste Kunstmesse der Welt.
Glauser hat mit ihrem Mann, der heute nicht dabei sein kann, beim grossen BLICK-Kunst-Experiment mitgemacht. Zwei Monate beherbergte das Paar eine schneeweisse Wandskulptur in Form eines Cheminées, auf dem Fotorahmen mit rätselhaftem Inhalt standen.
Am Ende des Experiments sagte die Mitarbeiterin eines Altersheims, die ein Faible für die Bilder von Rolf Knie hat: «Ich werde Kunst von nun an mit anderen Augen betrachten.»
Der Mann aus Kuba, den Frau Glauser nicht anstarren will
Wir betreten die Art Unlimited - es ist im wahrsten Sinne des Worts die grösste Attraktion der Messe. In einer riesigen Halle stehen überdimensionale Skulpturen und Installationen - viele von ihnen begehbar. Hier wird Videokunst auf Kinoleinwänden gezeigt oder Werke, bei denen Menschen ein Teil davon sind.
Gleich am Eingang sitzt ein Mann vor einer kleinen Tür, die in eine riesige Wand aus Wellblech eingelassen ist. Er heisst Raúl Portillo Zamá und kommt aus Kuba. Sislej Xhafa, ein in New York lebender, kosovarischer Künstler, hat Zamá jahrelang in dessen Heimatland beobachtet, wie er aus der Türe aus der Wellblechwand hinaus, Eier verkaufte. Er baute den Laden nach und brachte den Eierverkäufer für eine Woche an die Art Basel.
Wer passt zwischenzeitlich auf seinen Laden auf?
Die Idee ist, dass man dem Mann Fragen stellt. Wer denn jetzt zwischenzeitlich auf seinen Stand aufpasse, fragt Hämmerli. «Mi hijo», sagt er - sein Sohn. Reist Zamá viel? Nein, er war noch nie ausserhalb Kubas. Da kriege man grad Lust auf Ferien, sagt Hämmerli. Frau Glauser findet die Situation befremdend, obwohl der Mann zum Kunstwerk dazugehört. «Man will ihn ja nicht anstarren.»
Sie zielt jetzt in Richtung eines dunklen Raums mit Casino-Atmosphäre, in dem zahlreiche Spieltische stehen. Neben ihnen Männer, die jedes Feld der Spielfelder, jede Linie, jede Zahl und jeden grasgrünen Hintergrund mit farbigem Sand auf den Tisch zeichnen wie das buddhistische Mönche mit ihren Mandalas tun. Am Schluss der Art werden die Sandzeichnungen zerstört. «Also ich hätte die Geduld ja nicht», sagt Glauser, die vom Kunstwerk schwer beeindruckt ist. «Dass man nur schon auf so eine Idee kommen kann!»
Ein Geschlechtsteil sorgt für Gekicher
Wir machen uns jetzt auf den Weg in den Teil, in dem die grossen Galerien sind. Das ist nicht so einfach in dem Gewusel. Frau Glauser und ihre Schwester bleiben immer wieder stehen. Einmal tuscheln sie kichernd vor einer Skulptur von Künstlerin Sarah Lucas, die verdächtig an ein männliches Geschlechtsteil erinnert. Handyfotos werden gemacht.
«Was ist das?», fragt Frau Glauser, und zeigt auf eine futuristische Station mit zig Bildschirmen. Es handelt sich um ein Virtual-Reality-Kunstwerk, das man nur durch eine Brillenkonstruktion sehen kann, in der sich ein Bildschirm befindet. Frau Glauser setzt zum ersten Mal eine solche Brille auf. «Wo bin ich hier?», fragt sie und dreht sich von der Aussenwelt abgeschnitten um die eigene Achse. Es ist ein absolut menschenleeres Hotel, in dem sie sich befindet. Eine Stimme erklärt ihr über die Kopfhörer, dass Gäste hier absolute Privatsphäre geniessen können. «Verreckt!», sagt Glauser. «Ich bin in einer ganz anderen Welt.»
Ein bisschen sehr viel Eindrücke auf einmal
Wir haben es endlich in den Hauptteil geschafft und sind jetzt bei der Galerie des Amerikaners Larry Gagosian (74), dem mächtigsten Kunsthändler der Welt. Glauser und Hämmerli posieren vor einem Herz mit Schleife von Künstler Jeff Koons. Es ist rund 3,5 Meter hoch und sieht leicht aus, obwohl es keinen Hohlraum hat und Tonnen wiegen muss. 90 Millionen Dollar erzielte ein einziges Kunstwerk des Amerikaners jüngst bei einer Auktion. So viel wurde noch nie für ein Werk eines lebenden Künstlers bezahlt. «Ui, ich hätte so Lust, dieses Herz anzufassen», sagt Hämmerli. Die Security-Angestellte, die es bewacht, würde das nicht zulassen.
Am Schluss der Tour gibt es im Innenhof der Messe Bratwurst mit Brot und Senf. Sie habe Bedenken gehabt, ob sie hier reinpasse, sagt Glauser. «Aber die Leute sind angenehm. Ich fühle mich sehr wohl.» Es seien schon sehr viel Eindrücke auf einmal gewesen. «Es war fantastisch, aber wir können jetzt nichts mehr aufnehmen.»
Das günstigste Ticket für die Art kostet 30 Franken und ist von 17 bis 19 Uhr gültig. Gratis ist die Tanz-Performance mit rund 60 Darstellern, die am Donnerstag, 13., und Freitag, 14. Juni, von 16 bis 20 Uhr in einem Pavillon auf dem Messeplatz gezeigt wird. Ebenfalls kostenlos: Der am Samstag, 15. Juni, und Sonntag, 16. Juni, tagsüber begehbare Kunstparcours mit grossformatigen Installationen rund um den Münsterplatz. Für die Art Unlimited gibt es Führungen für Kinder bis 12 Jahre in Deutsch und Englisch. Sie dauern 45 Minuten und kosten 25 Franken. Reservation via artbasel.com
Das günstigste Ticket für die Art kostet 30 Franken und ist von 17 bis 19 Uhr gültig. Gratis ist die Tanz-Performance mit rund 60 Darstellern, die am Donnerstag, 13., und Freitag, 14. Juni, von 16 bis 20 Uhr in einem Pavillon auf dem Messeplatz gezeigt wird. Ebenfalls kostenlos: Der am Samstag, 15. Juni, und Sonntag, 16. Juni, tagsüber begehbare Kunstparcours mit grossformatigen Installationen rund um den Münsterplatz. Für die Art Unlimited gibt es Führungen für Kinder bis 12 Jahre in Deutsch und Englisch. Sie dauern 45 Minuten und kosten 25 Franken. Reservation via artbasel.com